Konzerne:Kartell der Verweigerer

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Abgastest bei einem VW Golf (Foto: dpa)

Beim Abgas-Skandal ist Brüssel wenig vorzuwerfen. Die EU-Abgasgesetzgebung war - eigentlich wider Erwarten - vorbildlich. Doch die europäischen Staaten scherten sich nicht um die Umsetzung der Normen. Und die Konzerne taten das Ihre.

Rezension von Hans-Jochen Luhmann

Beim Kfz-Abgas-Skandal ist etwas schiefgegangen. Es war zweierlei. Zunächst hat das Unternehmen Volkswagen in den USA versagt. Die Entscheidung für die Manipulation fällte VW im November 2006. Im selben Monat wurde bekanntgegeben, dass Bernd Pischetsrieder geht und Martin Winterkorn zum Jahresbeginn 2007 kommt. Zugleich ging der Siemens-Korruptionsfall durch die Medien, man sah, wie das US-Rechtssystem mit dem Münchner Konzern umging. Die USA sind durchsetzungsstark in solchen Fällen. Winterkorn versäumte nach seinem Amtsantritt die Prüfung US-regulierungsspezifischer Risiken bei der Manipulation am Messstand, einer in der Branche verbreiteten Optimierungsform, auch cycle beating genannt. Das kostete ihn 2015 den Job.

In Europa hingegen war dasselbe Unternehmensverhalten ökonomisch rational. Denn in Europa herrschte Staatsversagen. Die Untersuchung von Kirstin Lindloff spielt in den entscheidenden Phasen des Staatsversagens. Entscheidend ist nicht die Zeitspanne, in der Luxemburg und Malta etwa Typgenehmigungen wie vom Fließband ausspuckten. Entscheidend ist die Phase, in der dieses Versagensgeneigte konzipiert und eingerichtet wurde. Das war in den 1990er-Jahren bis ebenfalls 2007/2008.

In dieser Zeit sollte der europäische Binnenmarkt vollendet werden. Dazu mussten die nationalstaatlichen Schranken für den freien Warenverkehr niedergerissen werden. Die Schranken bestanden wesentlich in nationalstaatlichen Vorschriften für die Produkte, die Sicherheits- und Umwelteigenschaften definierten: die Rechtsetzung - und in Behörden, die das je staatlicherseits überprüften: das System.

Kirstin Lindloffs Frage ist: Muss es in einer solchen Situation zu einer Verwässerung des vorher erreichten Standes des Umweltschutzes kommen, zu einem "Wett-lauf nach unten"? Dazu betrachtet sie allein die Rechtsetzung und vergleicht drei Anläufe für die Abgasbehandlung von Fahrzeugen: die Einführung (a) des Partikelfilters; (b) die CO₂-Abgas-Eigenschaften, also faktisch die Energieeffizienz; sowie schließlich die Typklassen Euro 5/6. Nur Letzteres soll hier interessieren.

Lindloffs Ergebnis ist etwas Positives: Die Konstruktion der legislativen Organe der EU war so gut gemacht, dass das Schutzniveau mit der Einführung des gemeinsamen Binnenmarktes nicht in den Keller gehen musste. Das hat sich in der anspruchsvollen Euro-5/6-Gesetzgebung auch erwiesen. In der Experten-Sprechweise, aufgenommen im Titel des Buches: Ein "trading up" der Rechtsetzung zum Schutz der Umwelt und Gemeingüter konnte gelingen - und ist gelungen.

Im Hinblick auf das nun ans Licht gekommene Desaster hat man zu ergänzen. Das gut eingerichtete Rechtsetzungswesen der EU brachte schließlich nicht den Erfolg in der Realität. Zum Rechtswesen gehört auch, komplementär, das System der Umsetzung. Und da hat die Kopfebene Europas, die EU-Kommission, keine eigenen Kapazitäten - die liegen allein bei den Mitgliedstaaten. Kommt es zum Kartell stillschweigender Verweigerung der Durchsetzung der Rechtslage, wie es bei der Umsetzung der Euro-5/6-Typen der Fall war, dann meint die EU dagegen über keinerlei Mittel zu verfügen. Dann musste sie zusehen, wie das Unglück seinen Lauf nahm.

Rechtsetzung und System waren auf Kollisionskurs. Der Rechtsstaat hatte geliefert, aber das System hatte das konterkariert.

Hans-Jochen Luhmann ist Ökonom und Emeritus am Wuppertal -Institut für Klima, Umwelt, Energie.

Kirstin Lindloff : Beyond "Trading up": Environmental Federalism in the European Union. The Case of Vehicle Emission Legislation. (Policy Analyse, Band 8) Nomos -Verlag, Baden-Baden 2016. 374 Seiten, 79 Euro.

© SZ vom 30.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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