Konzerne:Aus der Haft entlassen

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Anlagen zur Energiegewinnung, auch auf hoher See, das ist das Geschäft des neuerdings eigenständigen Konzerns Siemens Energy. (Foto: Ulrich Wirrwa/oh)

Siemens, Metro, Bayer, RWE: Ab- und Aufspaltungen sind in Deutschland gerade schwer in Mode. Die Hoffnungen sind meistens groß - doch die Realität sieht oft ganz anders aus.

Von Caspar Busse und Benedikt Müller-Arnold, München/Düsseldorf

Wenn der scheidende Siemens-Chef Joe Kaeser in der Vergangenheit seine Strategie besonders anschaulich erklären wollte, dann kam er nicht selten auf diese riesenhafte Tiere zu sprechen, die vor sehr langer Zeit einmal die Welt bevölkerten und von denen heute nichts mehr übrig ist, außer ein paar Knochen und ein paar Mythen. "Die Dinosaurier sind ausgestorben", sagte Kaeser dann, "aber Siemens ist noch da - und wie." Größe alleine reiche eben nicht aus, um zu überleben. Im Gegenteil: Manchmal ist die schiere Größe sogar hinderlich. Deshalb, so die Erkenntnis von Kaeser, müsse man sich ständig verändern, denn ein Konzern wie Siemens dürfe nicht zum Dinosaurier werden, zu einer Spezies also, die schnell vom Aussterben bedroht sein kann. Die mehr als 170 Jahre alte Firma hat sich deswegen in den vergangenen Jahren wie kaum ein anderer Konzern verändert - und dabei auch ganze Geschäfte weggegeben und abgespalten.

Siemens ist bei Weitem kein Einzelfall. Ab- und Aufspaltungen sind gerade durchaus in Mode, nicht nur in den USA. Die Energiekonzerne Eon und RWE, Bayer, die Handelsfirma Metro sind nur einige Beispiele, all diese Unternehmen haben sich in zwei oder mehrere Teile aufgespalten, sich mit teilweise drastischen Schritten neu erfunden - immer in der Hoffnung auf eine bessere und sichere Zukunft. Waren die Pläne, die gegen viele Widerstände und mit großer Euphorie in die Tat umgesetzt wurden, am Ende auch erfolgreich? Die Ergebnisse sind durchaus ernüchternd. Hier eine Bilanz.

Siemens

"Siemens Energy hat alle Zutaten, die es für einen guten Börsenstart braucht", jubelte Anfang vergangener Woche Maria Ferraro, sie ist Finanzvorständin von Siemens Energy, das nun eigenständig am Aktienmarkt notiert ist. Siemens Energy ist dabei nicht irgendeine Ausgliederung, es ist der bis dato größte Spin-off in Deutschland. Der ehemalige Mutterkonzern gibt die gesamte Energiesparte aus den Händen, mit rund 90 000 Beschäftigen und einem Umsatz von 27 Milliarden Euro. Siemens-Anteilseigner erhielten Ende September für je zwei Aktien eine von Siemens Energy. Der Konzern ist derzeit noch mit 35 Prozent direkt beteiligt, will aber dieses Paket weiter abschmelzen.

Der Börsenstart von Siemens Energy war - vorsichtig ausgedrückt -verhalten. Es ging los mit einem Preis von 22 Euro, dann pendelte die Aktie wild runter und wieder rauf, inzwischen liegt der Kurs bei 21 Euro. An der Börse ist die Firma damit insgesamt gut 15 Milliarden Euro wert, und damit weniger als von manchen Analysten im Vorfeld erwartet. Und dennoch ist es aus Sicht des Siemens-Konzerns ein gutes Geschäft gewesen: Die Siemens-Aktie hat kaum gelitten, obwohl ein nicht unerheblicher Teil des Geschäftes jetzt nicht mehr dabei ist. Der ehemalige Mutterkonzern ist an der Börse weiterhin deutlich mehr als 90 Milliarden Euro wert. Bis jetzt also hat die Aufspaltung durchaus Wert geschaffen.

Das Problem: Wie es nun mit der Energiesparte weitergeht, ganz ohne den Schutz von Siemens, ist offen. Kann die Firma sich alleine halten, droht ein massiver Personalabbau? Wird auch sie zum Übernahmekandidaten? Der Fall Osram - die ehemalige Siemens-Sparte wird gerade von AMS aus Österreich übernommen - ist dabei kaum ermutigend. Der Chiphersteller Infineon dagegen, bereits vor 20 Jahren aus der Siemens-Haft entlassen, ist eine andere Geschichte. Es gab ziemliche Tiefen, zeitweise drohte sogar mal das Aus, doch inzwischen ist der Konzern ein stabiles Mitglied des Dax - und eines der wenigen auch weltweit führenden Technologieunternehmen, das seinen Sitz noch in Deutschland hat.

Eine Anlage der ehemaligen Eon-Tochter Uniper. (Foto: OH)

Eon und RWE

Auch Deutschlands größte Energiekonzerne - Eon und RWE - haben beide in den vergangenen Jahren jeweils einen Teil von sich abgespalten und an die Börse gebracht. Doch die Neuanfänge endeten ganz anders, als es Beschäftigte und Aktionäre erwartet hatten.

So gliederte Eon 2016 das alte Gas- und Kohlegeschäft in die Tochter Uniper aus, um sich selbst auf den Betrieb von Netzen und den Vertrieb zu konzentrieren. Uniper erhielt die wenig rühmliche Resterampe, senkte Kosten und tüftelte an einer Strategie - bis die Mutter Eon ihre verbliebene 47-Prozent-Beteiligung als Paket an den finnischen Versorger Fortum verkaufte. Uniper-Manager fühlten sich um ihre neue Freiheit gebracht; viele hatten gehofft, dass Eon die Aktien nach und nach auf den Markt bringen würde. Stattdessen fürchteten Gewerkschafter nun eine Zerschlagung von Uniper. Die Firma wurde zudem Spielball der Börse. Hedgefonds stiegen ein und spekulierten auf höhere Offerten von Fortum für die übrigen Aktien - mit Erfolg: Heute besitzen die Finnen Uniper zu 75 Prozent. Immerhin sichert ein neuer Tarifvertrag seit diesem Sommer die Beschäftigten von Uniper mindestens sechs Jahre lang ab. Beide Firmen feilen nun an einer gemeinsamen Strategie.

Beinahe zeitgleich mit Eon brachte auch RWE 2016 eine Tochter an die Börse: Netze, Ökostrom, Vertrieb - alles, was "grün" aussah, landete in der Firma Innogy. Doch die anfängliche Euphorie währte nur ein gutes Jahr. Dann senkte Innogy Gewinnaussichten, der Aktienkurs brach ein, Vorstandschef Peter Terium musste über Nacht gehen, Übernahmegerüchte brandeten auf. Mittlerweile wurde Innogy zerschlagen: Die Mutter RWE hat Wind- und Solarparks übernommen; Netze und Vertrieb gingen an den Rivalen Eon. Im fusionierten Konzern sollen nun bis zu 5000 Stellen wegfallen, die Marke Innogy ist auf dem Rückzug. Die größten Versorger der Republik haben den Energiemarkt ganz neu unter sich aufgeteilt.

Der Eingang zu einem großen Metro-Markt. (Foto: Ina Fassbender/dpa)

Metro

Der Handelskonzern Metro wollte eines bloß nicht mehr sein: ein Konglomerat, ein Gemischtwarenladen, unattraktiv für Anleger. Die Düsseldorfer verkauften ihre Kette Kaufhof genauso wie die Warenhäuser von Real. Und 2017 spalteten sich die Metro-Großmärkte von den Elektronikketten Mediamarkt und Saturn ab. Seitdem steht Metro nur noch für den Großhandel; über die Elektronik wacht Ceconomy. Metro-Chef Olaf Koch wollte so einen sogenannten Konglomeratsabschlag an der Börse loswerden. Doch auch für die Aktionäre von Metro geht die Rechnung bislang nicht auf.

So hat Ceconomy seit der Teilung mehr als die Hälfte an Börsenwert verloren. Der Elektronikhändler kämpft mit Online-Konkurrenz; viele Filialen erscheinen übergroß. Mit Pieter Haas und Jörn Werner mussten schon zwei Vorstandschefs Ceconomy in kurzer Zeit verlassen. Während der Corona-Krise musste der Konzern Hunderte Märkte zeitweise schließen. Nun will er etwa 3500 Stellen abbauen und 14 Filialen schließen. Neben der Mehrheitsbeteiligung an Media-Saturn hat Ceconomy kaum Gewinnbringendes vorzuweisen.

Auch die Metro-Aktie notiert heute nicht mal halb so hoch wie nach der Teilung. Die Zielgruppen des Großhändlers - Hotels und Einzelhändler, Restaurants und Caterer - leiden unter der Corona-Krise. Vorigen Sommer wollten der tschechische Milliardär Daniel Křetínský und sein slowakischer Geschäftspartner Patrik Tkáč Metro übernehmen, doch scheiterten am Widerstand der Ankeraktionäre. Derzeit läuft eine zweite Offerte beider Investoren; ihr Angebotspreis liegt nur gut halb so hoch wie 2019. Und Metro-Chef Koch, der das Konglomerat beendet hat? Hat für Ende dieses Jahres seinen Abgang angekündigt. Der Konzern sei vielerorts Markführer, habe Milliarden an Schulden abgebaut. "Für die Metro beginnt jetzt eine neue Zeitrechnung", so Koch. Dafür brauche es ein neues, langfristiges Bekenntnis.

Das Bayer-Kreuz ist das Logo des Unternehmens und leuchtet auf dem Werksgelände in Leverkusen. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Bayer

Der Konzern aus Leverkusen hat sich gleich mehrmals von sehr großen Geschäftsbereichen getrennt. 2005 wurde die Spezialchemie-Sparte abgespalten, Lanxess, zwischenzeitlich auch Mitglied im Dax, behauptet sich bis heute. Zehn Jahre später wurde die Bayer-Kunststoffsparte in die Eigenständigkeit entlassen - Covestro schaffte 2018 gar den Aufstieg den Dax, gehört seitdem zu den 30 wichtigen börsennotierten Unternehmen Deutschlands, die Aktie lief gut. Dass gleichzeitig aber die Bayer-Aktionäre sehr leiden mussten - die Aktie notierte so niedrig wie seit rund neun Jahren nicht mehr - hat dagegen ganz andere Gründe: Bayer-Chef Werner Baumann hat vor zwei Jahren den amerikanischen Konzern Monsanto übernommen - was sich bislang als Milliardenflop erwies.

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