Süddeutsche Zeitung

Konzern-Umbau:20 000 Jobs bei Siemens in Gefahr? "Unsinn"

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Von Thomas Fromm

Eigentlich war es immer das gleiche alte Spiel, seit Jahrzehnten. Der Konzern wurde in regelmäßigen Abständen umgebaut, Abteilungen und Sparten neu geschnitten, Fabriken wurden verlegt, Tochterfirmen verkauft, an die Börse gebracht oder in Gemeinschaftsunternehmen mit anderen gegeben. In der Siemens-Zentrale hinter dem Münchner Odeonsplatz aber, dem Zentrum der Macht, wähnte man sich meistens in Sicherheit. Doch die Zeiten ändern sich auch hier.

Spätestens seit Siemens-Chef Joe Kaeser Anfang des Monats seinen Umbauplan vorgestellt hatte, kippt die Stimmung. Denn es geht bei Kaesers Plänen nicht nur darum, aus den bisher fünf Konzernsparten drei zu machen und sich künftig auf Energiethemen, die Digitalisierung der Industrie und auf Infrastrukturprojekte wie etwa die Gebäudetechnik zu konzentrieren. Mit Hilfe der "Vision 2020+" - so der offizielle Name der Großbaustelle - will der Chef eine Menge Geld einsparen und das Unternehmen schneller machen, indem Funktionen aus der Zentrale nach draußen in die Einheiten verlagert werden. Schlanker in der Zentrale, mehr Eigenständigkeit für die Siemensianer vor Ort: Es sind Aussichten, die so manchen Manager in der Zentrale nervös machen. Allerdings: Wie viele Jobs überhaupt gestrichen oder verlagert werden sollen, darüber schweigt sich der Konzern bislang aus.

Analysten und Investoren mögen konkrete Zahlen - nur gibt es die nicht immer und sofort

Am Donnerstag nun berichtete das Manager-Magazin vorab, dass der Umbau bei Siemens diesmal 20 000 Arbeitsplätze kosten werde. Nicht in den Werken, sondern in den weltweiten Zentralbüros, in denen Abteilungen wie Personal, Finanzen oder Recht angesiedelt sind. 20 000 Jobs überflüssig bei insgesamt 370 000 Siemens-Stellen weltweit - das ist ein Wort. Wenn es denn tatsächlich so wäre.

Aus Insiderkreisen des Konzerns heißt es dazu, die in den Medien verbreitete Zahl von 20 000 Stellen sei "Unsinn". Die Zahl möglicher Stellenstreichungen sei zudem "noch lange nicht durchgerechnet"; mit Details zum Umbau sei erst in den kommenden Monaten zu rechnen. Dass Stellen wegfallen, ist ziemlich sicher. Auch am Wittelsbacher Platz in München, wo erst vor einigen Jahren ein neuer Bürokomplex entstand, könnten Hunderte der 1200 Stellen verloren gehen. Aber gleich 20 000?

Für einen Großkonzern wie Siemens ist die Lage symptomatisch. Das Management baut um, und hinter den Kulissen wird spekuliert. Laut Manager-Magazin soll die Sache so gelaufen sein: Kaeser selbst soll die Zahl in Einzelgesprächen mit mehreren Investoren am Monatsanfang hinter verschlossener Tür ins Spiel gebracht haben. Da ging es um die Frage, wie viele Tätigkeiten aus den Zentralen in die selbständigen Einzelbereiche verlegt werden. Kaeser nannte bei jenen Treffen wohl auch eine Zahl, die da bereits Teil einer Strategiepräsentation des Konzerns war: Eine angepeilte Verbesserung der Effizienz um 20 Prozent, die der Umbau bringen sollte. 20 Prozent, 20 000 Jobs - war hier irgend etwas durcheinandergeraten? Alles ein Missverständnis?

Oder hat Kaeser tatsächlich eine Zahl genannt und ist dabei falsch verstanden worden? Fest steht: Analysten und Investoren mögen konkrete Zahlen, und sie mögen es gar nicht, wenn die Dinge unkonkret bleiben. Was nun? "Ein klares Dementi wäre jetzt dringend nötig", heißt es bei der IG Metall. Aber wie soll das gehen? Für die Siemens-Sprecher ist das alles ein großes Dilemma: Offiziell dementieren können sie die Zahl nicht, bestätigen schon gar nicht. Denn außer Kaeser und den betreffenden Investoren war wohl niemand bei den Gesprächen dabei.

Bei Siemens wächst nun die Unruhe

Bei den Arbeitnehmervertretern heißt es, man habe "die Zusage des Vorstands, dass die neue Strategie kein verkapptes Abbauprogramm ist" - so sei die Strategie ja nicht zufällig im Aufsichtsrat auch mit den Stimmen der Arbeitnehmervertreter abgesegnet worden. Außerdem sei bislang auch nicht über ein konkretes Stellenabbauziel gesprochen worden. Zusagen von ganz oben, noch keine konkreten Zahlen in den Verhandlungen - die IG Metall hält die Debatte für ein spätes Sommertheater.

Und doch: Wie immer, wenn plötzlich eine Zahl im Raum steht, über die die Betroffenen schon lange spekulieren, wächst die Unruhe. In einem Konzern wie Siemens, der seit vielen Jahren permanent umgebaut wird, wächst die Unruhe dann ganz besonders schnell.

Nicht zufällig hatte die Gesamtbetriebsratschefin von Siemens, Birgit Steinborn, erst vor einigen Tagen mit der Strategie ihres Hauses abgerechnet. "Seit mehreren Jahren verhandeln wir quartalsweise im Wirtschaftsausschuss Stellenabbauprogramme", sagte sie dem Tagesspiegel. Die Zugsparte soll an den französischen Konzern Alstom gehen, die Medizintechnik wurde an die Börse gebracht, das Windenergiegeschäft mit dem spanischen Anlagenhersteller Gamesa zusammengeschlossen - was nicht passt, wird passend gemacht. Insgesamt habe der Betriebsrat in viereinhalb Jahren über die Ausgliederung von rund 30 000 Beschäftigten und den Abbau von 15 000 Jobs verhandelt, sagte die stellvertretende Aufsichtsratschefin Steinborn. "Der einzelne Mitarbeiter kann das gar nicht für sich runterbrechen und erklären, was das alles soll." Hier der Mitarbeiter, dort der Vorstand - es gibt bei Siemens wohl noch viel Redebedarf.

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Quelle:
SZ vom 24.08.2018
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