Süddeutsche Zeitung

Konzept zur Steuerreform:So radikal stutzt Kirchhof das Steuerrecht

Es werde Licht: weniger Steuerarten, weniger Privilegien, weniger Bürokratie. Paul Kirchhof ist ein positiv Verrückter und glaubt an den großen Wurf. Der "Professor aus Heidelberg" will das deutsche Steuersystem radikal vereinfachen. Das hätte auch Einfluss auf Erbschaften - und auf den Bierpreis.

Claus Hulverscheidt

Wer neun Jahre lang im Hobbykeller an einem Kunstwerk bastelt, das niemand in Auftrag gegeben hat, wer seiner Passion Tage, Nächte und Wochenenden opfert, wer sich mit dem fertigen Œuvre freiwillig ins politische und mediale Kreuzfeuer stürzt, den muss man wohl für verrückt halten. Paul Kirchhof ist so ein Verrückter, ein positiv Verrückter wohlgemerkt.

Gemeinsam mit vielen Dutzend Helfern arbeitet er daran, das deutsche Steuerrecht zu reformieren - und zwar grundlegend, denn das tägliche Klein-Klein der Steuerpolitik, das Union und FDP dieser Tage wieder einmal in aller Grässlichkeit aufführen, ist dem Top-Juristen mindestens ebenso zuwider wie das Steuersystem selbst, das er als einengend, ungerecht, ja, freiheitsberaubend empfindet. Kirchhof träumt vom ganz großen Wurf - und ein wenig sicher auch davon, einmal im Geschichtsbuch aufzutauchen.

Die Idee für ein radikal einfaches Gesetz mit niedrigen einheitlichen Steuersätzen und praktisch ohne Sonderregeln spukte ihm bereits während seiner Zeit als Jura-Professor an den Universitäten Heidelberg und Münster und als Richter am Bundesverfassungsgericht im Kopf herum.

Seit seinem Kurzauftritt als Schattenfinanzminister im Kompetenz-Team der Kanzlerkandidatin Angela Merkel im Jahr 2005 kennt er auch all die Einwände, die in den kommenden Tagen gegen seine Reformidee vorgebracht werden dürften - vor allem die, dass sie ungerecht und für den Staat zu teuer sei. Zumindest Letzteres glaubt er widerlegen zu können, schließlich hat er das Konzept anhand realer Steuerfälle von sechs Landesfinanzministerien durchrechnen lassen. Auch ansonsten sieht sich Kirchhof für den Sturm gerüstet, denn am Ende, so ist er überzeugt, wird sich die Politik seinen Argumenten nicht entziehen können.

Lesen Sie auf den nächsten Seiten, wie Kirchhof das Steuersystem umkrempeln will.

Bisher zahlen Erben je nach Verwandtschaftsgrad und Höhe des Nachlasses Steuersätze zwischen sieben und 50 Prozent. Es gibt drei Steuerklassen, 13 verschiedene Steuersätze und fünf unterschiedliche Freibeträge, die von 500.000 Euro bei Ehepartnern über 400.000 Euro bei Kindern bis 20.000 Euro bei Nichtverwandten reichen. Vor allem die Vorschriften für Erben von Unternehmen sind höchst kompliziert.

Einerseits will niemand, dass sie zum Verkauf des Betriebs gezwungen sind, nur um die Erbschaftsteuer bezahlen zu können. Andererseits sollen sie gegenüber Erben von Bargeld aber auch nicht bevorzugt werden. Das hat schon das Bundesverfassungsgericht so entschieden. Deshalb gibt es eine Fülle höchst umstrittener Vorschriften, die dafür sorgen, dass ein Firmenerbe nur so lange weitgehend von der Erbschaftsteuerzahlung verschont bleibt, wie er den Betrieb fortführt und die Zahl der Beschäftigten nicht in großem Stil zurückfährt.

Im Kirchhof-Konzept bleiben Zuwendungen unter Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern grundsätzlich steuerfrei. Alle anderen Fälle werden pauschal mit zehn Prozent besteuert, wobei Kinder einen Freibetrag von 400.000 Euro und alle anderen Erben von 50.000 Euro in Anspruch nehmen können.

Firmenerben können die Zahlung der Erbschaftsteuer über zehn Jahre abstottern, die Belastung liegt also nur bei einem Prozent pro Jahr. Das Gesamtaufkommen der Erbschaftsteuer steigt Kirchhof zufolge mit seinem Modell dennoch von heute vier Milliarden auf zwölf Milliarden Euro pro Jahr.

Kirchhof fasst die bisherige Einkommen- und die Körperschaftsteuer zu einer neuen, einheitlichen Einkommensteuer zusammen. Bürger und Unternehmen werden damit identisch behandelt. Auch wird in dem Reformmodell nicht mehr zwischen verschiedenen Einkunftsarten unterschieden, es ist vielmehr egal, ob jemand sein Einkommen aus Arbeitslohn, Vermietung oder Kapitalerträgen erzielt.

10.000 Euro pro Kopf gelten als steuerfreies Existenzminimum, bei einer Familie mit zwei Kindern greift der Fiskus also erst zu, wenn das Jahreseinkommen oberhalb von 40.000 Euro liegt. Im aktuellen Steuerrecht liegen die Freibeträge mit 8004 Euro je Erwachsenem und 7008 Euro je Kind etwas niedriger, allerdings gibt es neben dem Grundfreibetrag noch den Sparerfreibetrag, der bei Kirchhof entfällt. In der Summe kämen vor allem Familien mit Kindern im neuen Konzept besser weg.

Darüber hinaus verabschiedet sich Kirchhof vom sogenannten linear-progressiven Steuertarif, der das deutsche Steuersystem seit vielen Jahrzehnten kennzeichnet. Bei dieser Tarifart wird, vereinfacht gesagt, jeder zusätzlich verdiente Euro mit einem höheren Steuersatz belegt als der vorangegangene. Aktuell wird der erste Euro oberhalb des Grundfreibetrags, also der achttausendundfünfte, mit dem Eingangssteuersatz von 14 Prozent belastet. Mit jedem weiteren Euro steigt diese Belastung minimal an, bis bei 52.881 Euro der Spitzensteuersatz von 42 Prozent erreicht wird. Oberhalb von 250.731 Euro greift dann noch der sogenannte Reichensteuersatz von 45 Prozent.

Bei Kirchhof gilt ein Einheitssteuersatz von 25 Prozent, eine sogenannte Flat Tax - mit einer Besonderheit im unteren Einkommensbereich: Um sich gegen Kritik zu wappnen, sein Konzept sei sozial unausgewogen, will der Jurist das Einkommen zwischen 10.001 und 15.000 Euro nur mit 15 und den Verdienst zwischen 15.001 und 20.000 Euro mit 20 Prozent belasten. Das ist allerdings pure Kosmetik. Politisch schwer wiegen dürfte auch, dass Dividenden steuerfrei bleiben, weil sie aus Gewinnen stammen, die bereits beim Unternehmen versteuert wurden.

Großbetriebe sollen nach dem Willen des Reformers statt 15 Prozent Körperschaftsteuer ebenfalls den neuen Einkommensteuersatz von 25 Prozent zahlen. Dafür fällt die Gewerbesteuer weg, die bisher je nach Gemeinde zwischen sieben und gut 17 Prozent liegt. Stattdessen wird ein Zuschlag auf die Einkommensteuer erhoben, den sowohl alle Bürger als auch alle Betriebe zahlen müssen und der allein der jeweiligen Stadt oder Gemeinde zugute kommt. In der Summe dürften sich die Unternehmen besser stellen als heute. Sie sollen sich allerdings nicht mehr so leicht arm rechnen können, wie das derzeit der Fall ist, sondern ihren Gewinn tatsächlich voll versteuern.

Ein weiteres Plus: Mit der Reform schafft Kirchhof Rechtsformneutralität. Die Eigentümer einer Firma können also allein anhand ökonomischer Kriterien entscheiden, ob sie den Betrieb als Personen- oder als Kapitalgesellschaft organisieren. Die Entscheidung wird nicht mehr durch steuerliche Erwägungen verzerrt.

Geschäftsumsätze werden bislang mit 19 Prozent besteuert - und zwar auf jeder Fertigungsebene, vom Rohstoffproduzenten über den verarbeitenden Betrieb, den Groß- und den Einzelhändler bis zum Endverbraucher. Die Umsatzsteuer wird daher meist als Mehrwertsteuer bezeichnet. Tatsächlich zahlen muss am Ende jedoch nur der Verbraucher, denn die Unternehmen dürfen sich die von ihnen bereits entrichtete Steuer vom Finanzamt erstatten lassen. Dieses System ist aufwendig, kompliziert, teuer und missbrauchsanfällig.

Außerdem gibt es zahllose Ausnahmeregelungen für Güter des täglichen Bedarfs sowie für kulturelle Leistungen. Auf sie werden nur sieben Prozent Umsatzsteuer erhoben, was dem Staat jährliche Einnahmeausfälle von etwa 25 Milliarden Euro beschert. Mit dem reduzierten Mehrwertsteuersatz will der Gesetzgeber sicherstellen, dass auch weniger Vermögende diese Güter und Leistungen bezahlen können. Viele Sonderregelungen sind jedoch unsinnig, widersprüchlich, teilweise sogar grotesk.

Auch im Kirchhof-Modell beträgt der Umsatzsteuersatz 19 Prozent. Der Jurist wollte eigentlich 20 Prozent nehmen, weil dies besser zu seinen ebenfalls "glatten" Sätzen bei der Einkommen- und der Erbschaftsteuer gepasst hätte. Aus Angst davor, in eine Steuererhöhungsdiskussion hineinzugeraten, hält er jedoch nun am bisherigen Satz fest. Auch bei der Streichung aller Ausnahmeregelungen geht Kirchhof nicht mit der Konsequenz vor, derer er sich sonst rühmt.

Zwar wird der ermäßigte Steuersatz formell abgeschafft - aber nicht vollständig. So werden medizinische Leistungen, die Vermietung von Wohnraum, Altersvorsorgeversicherungen sowie gemeinnützige Arbeiten wie Altenpflege und Jugendsport weiterhin nur mit sieben Prozent belastet. Damit würde es die teils abstrusen Abgrenzungsprobleme, die schon heute das Umsatzsteuerrecht kennzeichnen, in abgeschwächter Form auch bei der Umsetzung des Kirchhof-Modells geben.

Deutlich einfacher allerdings würde die Besteuerung, denn um Geschäftsumsätze zwischen Unternehmen soll sich das Finanzamt künftig nicht mehr kümmern. Damit fiele ein erheblicher Teil des heutigen Bürokratieaufwands weg - was manchem Unternehmen womöglich mehr brächte als so manche plumpe Steuersatzsenkung. Die Umsatzsteuer wäre damit keine Mehrwertsteuer mehr, sondern würde zu einer Konsumsteuer.

Kirchhof will zudem die Steuererhebung von der Soll- auf die Ist-Besteuerung umstellen. Das heißt: Der Unternehmer muss die Steuer nicht schon in dem Moment abführen, in dem er die Rechnung stellt, sondern erst dann, wenn sein Kunde diese Rechnung auch tatsächlich beglichen hat. Damit kommt der Wissenschaftler einer oft erhobenen Forderung vieler Wirtschaftsverbände nach. Für Kleinunternehmer mit einem Jahresumsatz bis zu 20.000 Euro soll weiter eine Bagatellgrenze gelten, bis zu der sie keine Umsatzsteuer eintreiben müssen. Das bisherige Wahlrecht, die Steuer dennoch zu erheben und dafür die sogenannte Vorsteuer zu kassieren, entfiele jedoch.

Bisher gibt es in Deutschland neben der Umsatzsteuer noch eine Vielzahl weiterer Steuern, die in dem Moment fällig werden, in dem ein Gut verbraucht beziehungsweise verkauft wird: die Tabaksteuer etwa oder die Bier- und die Stromsteuer. Die Steuersätze sind sehr unterschiedlich, manche Produkte werden gleich mit mehreren Steuern belastet, etwa Benzin.

Kirchhof fasst alle diese Steuern zu einer einzigen neuen Verbrauchsteuer zusammen. Sie wird allerdings nur noch auf solche Produkte erhoben, deren Konsum die Allgemeinheit mit besonders hohen Kosten belastet. Das sind Kirchhof zufolge auf der einen Seite Heiz- und Kraftstoffe sowie Strom, deren Verbrauch die Umwelt schädigt, und auf der anderen Seite Alkohol und Tabak, deren Genuss die Krankenversicherungen teuer zu stehen kommt. Benzin, Diesel und Heizöl und andere Kraftstoffe werden mit zehn Euro je Gigajoule belastet, bei Strom beträgt der Steuersatz 20 Euro je Megawattstunde. Wer eine Kleinanlage mit einer elektrischen Nennleistung von bis zu zwei Megawatt betreibt und den Strom selbst verbraucht, wird von der Steuer befreit.

Bier, Wein und andere alkoholische Getränke mit einem Alkoholgehalt von weniger als 15 Volumenprozent will Kirchhof mit zwei Euro je Liter reinen Alkohols belasten. Sehr viel teurer wird es bei Hochprozentigem: Hier soll das Finanzamt bei einer Umsetzung der Reform 13 Euro je Liter reinen Alkohols verlangen. Die Tabaksteuer beträgt 130 Euro je Kilogramm Tabak. Vergällter Tabak ist ebenso wie vergällter Alkohol steuerfrei.

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Quelle:
SZ vom 28.06.2011
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