Kontrolle der Textilindustrie:Chronik eines Versagens

Kontrolle der Textilindustrie: Retten, wo es kaum mehr etwas zu retten gibt: Eine abgebrannte Textilfabrik in Dhaka, Bangladesch, eine von vielen.

Retten, wo es kaum mehr etwas zu retten gibt: Eine abgebrannte Textilfabrik in Dhaka, Bangladesch, eine von vielen.

(Foto: AFP)

Eine pakistanische Textilfabrik war gerade erst geprüft worden, als bei einem Brand fast 300 Menschen starben. Der Bericht der zuständigen Organisation SAI zeigt, was Kontrolleure und Industrie falsch machen.

Von Elisabeth Dostert

Es ist der Versuch, auch das eigene Versagen aufzuarbeiten: Am 11. September 2012 kamen fast 300 Menschen bei einem Feuer in einer Textilfabrik in Karatschi ums Leben. Dabei war die Firma erst kurz vorher geprüft worden - von der Nichtregierungsorganisation Social Accountability International (SAI). Wie aber konnte es geschehen, dass sich eine solche Tragödie in einer Fabrik ereignete, die mehrmals gecheckt worden war und die auch das Zertifikat SA8000 trug, den von SAI entwickelten Standard? Die Wortwahl in ihrem Bericht, der nun vorliegt, macht deutlich: Alleine will SAI nicht die Verantwortung für das Unglück tragen. Und das Wort Schuld kommt darin nicht vor.

Die Norm SA8000 hat die SAI mit Sitz in New York schon in den 1990er Jahren entwickelt. Wie viele andere Organisationen widmet sich SAI nur einem Aspekt der Produktion, in diesem Fall der Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechten. Der Standard orientiert sich an der Internationalen Arbeitsorganisation ILO und den Vereinten Nationen. Ali Enterprises sei vermutlich der erste Großbrand in einer SA8000-zertifizierten Fabrik, in einer von rund 4500 Anlagen, die in mehr als 15 Jahren zertifiziert worden seien - wieder eine Relativierung.

Externe Überprüfung reicht nicht aus

Doch der SAI-Bericht offenbart, wie das System funktioniert. Und er räumt ein, dass eine externe Überprüfung und Zertifizierung nicht ausreiche. Schließlich werde ja auch ein "Schwein durch Wiegen nicht fetter". Ein Audit könne Arbeitsgesetze nicht durchsetzen und starke frei gewählte Gewerkschaften nicht ersetzen, sondern nur sicherstellen, dass die Prinzipien der ILO angemessen angewendet würden. Immerhin habe die SAI nach dem Brand in Pakistan ihr System überarbeitet, neue Leitlinien entwickelt und neue Schulungen konzipiert. Die Prüfungskriterien sind nunmehr strenger.

SAI überprüft nicht selbst die Einhaltung seines Standards. Dafür ist die Akkreditierungsstelle Social Accountability Accreditation Services (SAAS) zuständig; die frühere SAI-Abteilung wurde 2007 verselbständigt. Sie lässt jene Firmen zu, die die Einhaltung der Standards kontrollieren. Zu den anerkannten Prüfgesellschaften der SAAS gehört unter anderem der TÜV Nord, der TÜV Rheinland, Eurocert und Intertek; für Pakistan besaßen zum Zeitpunkt des Brandes Bureau Veritas, SGS und die italienische Firma Rina eine Zulassung.

Rina war es, die Ali Enterprises das SA8000-Zertifikat am 20. August, nicht einmal einen Monat vor dem Brand, erteilte. Im Oktober 2012 schickte die SAAS dann den Sicherheitsexperten Dundar Sahin nach Pakistan, um sich die abgebrannte Fabrik anzusehen. Die pakistanische Regierung habe, so der Bericht, Sahin den Zugang zum Gebäude verweigert. Aus Gesprächen Sahins mit Gewerkschaften, Arbeitern, Ermittlungsbehörden, einem Subunternehmer von Rina und anderen lassen sich die Zustände rekonstruieren.

"Von Notfallplänen wusste keiner was"

An dem Tag, als das Feuer ausbrach, seien einige Hundert mehr Arbeiter in der Fabrik gewesen als im einige Wochen zuvor veröffentlichten Prüfbericht gemeldet. SAI hat dafür mehrere Erklärungen, hier nur zwei: möglicherweise haben sich die Prüfer verzählt, möglicherweise sei die Belegschaft aber auch wegen eines neuen Auftrags aufgestockt worden. In das Gebäude, so die Augenzeugen, sei ein Zwischengeschoss aus Holz eingezogen worden, um Beschäftigte unterzubringen.

Das Zwischengeschoss wollen die Prüfer nicht gesehen haben, weil es vermutlich in einem anderen, nicht zugänglichen Gebäudeteil untergebracht war. Der Haupteingang sei vor Ausbruch und während des Feuers verschlossen gewesen. Auch die Flucht über das Dach sei nicht möglich gewesen, weil der Zugang verschlossen war.

Die für den Brandschutz und entsprechende Übungen zuständige Firma, so fand Sahin heraus, gab es gar nicht. Arbeiter berichteten, dass es keine Brandschutzübungen gab, "von Notfallplänen wusste keiner etwas", heißt es im SAI-Bericht. Auch die Kontrolle anderer Fabriken mit dem SA8000-Zertifikat offenbarte Schwächen auf diesen zwei Gebieten - beim Brandschutz und der Evakuierung: Notfallausgänge, deren Schlüssel fern von der Tür aufbewahrt werden, versperrte Fluchtwege, marode Elektrokabel.

Eine der Lehren aus der Tragödie hat SAAS bereits gezogen

Rina habe binnen vier Jahren mehr als 90 Unternehmen zertifiziert. Mit der Prüfung an Ort und Stelle sei allerdings wegen Reisebeschränkungen zwischen Indien und Pakistan seit 2009 RI & CA beauftragt worden. Die Entscheidung, ob eine Fabrik das Zertifikat erhält, fiel dann bei Rina in Italien. In Pakistan arbeitet SAAS nun nicht mehr mit Rina zusammen, laut Homepage aber noch in Ländern wie Bulgarien, Rumänien, Tunesien, Indien und Brasilien. Eine der Lehren aus der Tragödie in Pakistan hat SAAS bereits gezogen: In Hochrisikoländern, in denen die Weitervergabe der Kontrolle zu hohe Risiken berge, ist Outsourcing mittlerweile verboten.

Fast zynisch wirkt der Bericht auf Seite fünf beim Versuch, den Tragödien in Fernost Gutes abzugewinnen. Sie erinnern, heißt es da, an den Brand in der Textilfabrik Triangle Shirtwaist. In dem Feuer starben 1911 in New York 146 Menschen, vorwiegend minderjährige Mädchen aus Immigrantenfamilien. Die Berichte von damals wirken wie heutige Unglücksmeldungen aus Asien - etwa vom Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes oder dem Brand in der Tazreen-Fabrik, bei denen mehr als Tausend Menschen starben.

Die Räume der Fabrik in New York waren vollgestopft mit Menschen und Maschinen. Während der Arbeitszeit waren die Türen abgeschlossen. Ein Zigarettenstummel und Stoffreste lösten angeblich im achten Stock des Gebäudes in Greenwich Village das Feuer aus. Der Brand dauert eine halbe Stunde. Hinter dem verschlossenen Haupteingang türmten sich Leichen. Die Eigentümer Max Blanck und Isaac Harris wurden in dem folgenden Gerichtsprozess vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen. Immerhin löste die Tragödie eine Reihe von Gesetzen über Brandschutz und Arbeitssicherheit in den USA aus. Statistisch gesehen sei in den Industrieländern die Zahl der Toten durch Brände stetig gesunken, schreibt SAI in seinem Bericht. Das Unglück in Karatschi eröffne doch nun die Chance für alle Beteiligten, gemeinsam an einem vergleichbaren Wandel in Asien mitzuwirken.

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