Für viele Deutsche ist es ein magischer Moment, wenn es plötzlich Geld zu regnen scheint. Wenn sich die Plastikscheibe des Münzautomaten in der örtlichen Sparkasse öffnet, der Inhalt von Spardosen und Weckgläsern in den Schlund der Maschine fällt und das Geld später auf dem Konto landet.
Lange schien dieser Akt des Geldzählens wohl der beste Moment, um die Liebe der Deutschen zum Bargeld in der Tasche und dem prall gefüllten Girokonto zu greifen. Nun allerdings dürfte sich diese innige Beziehung abkühlen: Während die Bürger im Land seit der Finanzkrise 2008 Jahr um Jahr mehr Geld auf ihren Konten parkten oder unter die Matratze stopften, dürfte dieses Jahr eine Trendwende einläuten. Von ihrem gesamten Geldvermögen dürften die Deutschen nur noch einen geringeren Teil auf das Girokonto legen. "Der Geldanlagestau bei privaten Haushalten dürfte sich spürbar verringern", sagt Finanzexperte Michael Stappel von der DZ-Bank in einer Studie.
Dass die Bürger im Land die Lust auf Girokonten und Tagesgelder verlieren sollen, erscheint merkwürdig. Schließlich wollen inzwischen viele Notenbanker in der Europäischen Zentralbank vielleicht schon im Juli die Zinsen wieder heraufsetzen. Drei tiefer liegende Trends nehmen den Menschen jedoch offenbar die Lust am Konto: Erstens können viele Menschen angesichts der stark steigenden Preise schlicht gar kein Geld dort parken. "Die hohen Heizkosten, teurer Sprit und gestiegene Lebensmittelpreise sorgen dafür, dass weniger gespart werden kann", sagt DZ-Ökonom Stappel.
Zweitens werfen die Deutschen eine andere alte Finanzregel über Bord. "Normalerweise reagieren private Haushalte auf eine wachsende Unsicherheit in Krisenzeiten, indem sie mehr auf die hohe Kante legen", sagt der DZ-Fachmann. Nach zwei Jahren Corona-Krise allerdings zeigt sich ein anderes Bild, die Menschen wollen wieder shoppen und Restaurants besuchen. Während die Bürger noch im vergangenen Jahr rund 15 Prozent ihres verfügbaren Einkommens gespart haben, dürften es laut den Bankprognosen dieses Jahr nur rund zehn Prozent sein. Die Konsequenz: Weniger Geld landet auf dem sonst so beliebten Girokonto.
Drittens haben sich die lange als finanziell stockkonservativ belächelten Deutschen in den vergangenen Jahren millionenfach an die Börse gewagt. So zeigen Zahlen der Bundesbank, dass die Zahl der Wertpapierdepots in den vergangenen zwei Jahren um mehr als vier Millionen gestiegen ist. Selbst die aktuellen Kurskapriolen scheinen viele Neuanleger kaum zu irritieren, haben sie doch oft in der Corona-Krise zu extrem tiefen Kursen eingekauft.
Ende des Jahres könnte das gesamte Geldvermögen der Menschen im Land unter dem Strich auf mehr als acht Billionen Euro gewachsen sein, prognostiziert die DZ-Bank. In Ein-Euro-Münzen aufgestapelt wäre das wohlgemerkt ein Berg von 19 Millionen Kilometern. Ganz sicher scheinen sich die Menschen bei ihrer neuen Risikolust jedoch nicht zu sein, fast jeder Dritte parkt laut einer Umfrage der Postbank inzwischen nämlich wieder Geld zu Hause. Klar, nur zur Sicherheit.