Kontenabfragen:Orwell lässt grüßen

Die neuen Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzämter sorgen für Aufruhr in der Politik. Nach Meldungen über millionenfache Kontenabfragen kritisierte Bayerns CSU-Fraktionschef Joachim Herrmann die potenzielle Erfassung der gesamten Bevölkerung.

Daniela Kuhr

Sowohl von Seiten der FDP als auch der CSU wird verstärkt Kritik an den umstrittenen Kontenabfragen durch die Finanzämter laut. Beim Bundesfinanzministerium weist man die Bedenken zurück.

Kontenabfragen: Bayerns CSU-Fraktionschef Joachim Herrmann.

Bayerns CSU-Fraktionschef Joachim Herrmann.

(Foto: Foto: ddp)

Die Meldungen sind alarmierend: Erst berichtete der Genossenschaftsverband Frankfurt von mehreren Millionen Kontenabfragen im vergangenen Jahr. Und dann veröffentlichte die Kreis- und Stadtsparkasse Erlangen, dass allein bei ihr im vierten Quartal 2005 insgesamt 72.489 Anfragen erfolgt seien.

Damit sind die seit 1. April vergangenen Jahres erlaubten Kontenabfragen durch Finanzämter und andere Behörden erneut in die Kritik geraten. Datenschützer hatten schon länger vom "Schnüffelstaat" gesprochen. "Wenn mittlerweile die gesamte Bevölkerung erfasst wird, wirft das schon die Problematik 1984 auf", sagte jetzt auch Bayerns CSU-Fraktionschef Joachim Herrmann.

Bundesfinanzministerium dementiert die genannten Zahlen

Das Bundesfinanzministerium (BMF) weist solche Vorwürfe zurück und beharrt darauf, dass die genannten Zahlen falsch seien: Behörden hätten im vergangenen Jahr ganze 10.201 Anfragen gestartet, sagt ein BMF-Sprecher, und davon seien auch nur 8689 abgearbeitet worden.

Der absolut überwiegende Anteil stamme von Finanzämtern. Sozialbehörden dagegen machten von der neuen Möglichkeit bislang kaum Gebrauch.

Die Differenz zu den Angaben aus der Kreditwirtschaft erklärt sich aus einer anderen Zählweise. Das Ministerium zählt das Forschen nach den Konten eines bestimmten Bürgers als eine einzige Abfrage. Da dieser eine Kontenabruf jedoch elektronisch bei sämtlichen Banken im Bundesgebiet erfolgt, sehen einige Kreditinstitute darin gleich mehrere Tausend Abfragen.

Kein Informationszwang

Dennoch haben die Zahlen in der Politik für Aufruhr gesorgt. Vor allem die Tatsache, dass die Bürger über eine Kontenabfrage zwar informiert werden sollen, aber nicht müssen, weckt Bedenken.

Die jüngsten Entwicklungen zeigten, dass das Instrument der Kontenabfragen "vorsichtig gesagt nicht ganz rechtsstaatlich angewendet wird", sagt die FDP-Datenschutzexpertin Gisela Piltz. Deshalb müsse zumindest der Umfang der Abfragen verringert werden.

Orwell lässt grüßen

"Die Nachrichten aus der Kreditwirtschaft machen uns große Sorgen", sagt auch Georg Fahrenschon, Sprecher für finanz- und haushaltspolitische Fragen in der CSU-Landesgruppe im Bundestag. "Wir waren schon damals in dem von rot-grün betriebenen Gesetzgebungsverfahren dagegen, vor allem aus datenschutzrechtlichen Gründen."

Doch auch die gemeldeten Mittelabflüsse nach Österreich seien eine Katastrophe, weil sie das Einlagenvolumen der Banken schmälerten. Die Kreditwirtschaft hatte zuletzt von einer verstärkten Kapitalflucht ins Ausland berichtet.

Abgeltungssteuer

Fahrenschon präferiert eine Abgeltungsteuer, bei der die Banken pauschal einen bestimmten Prozentsatz der Kapitalerträge und Spekulationsgewinne anonym an das Finanzamt überweisen. "Das wäre eine einfache, unbürokratische Lösung", sagt der CSU-Mann.

Auch Piltz, die für die FDP im Innenausschuss des Bundestags sitzt, spricht sich dafür aus. "Natürlich möchten wir nicht Steuerhinterzieher schützen", sagt sie, "aber mit der Abgeltungsteuer wäre das Ganze erheblich einfacher, und da sie anonym erfolgt, wären auch die datenschutzrechtlichen Bedenken vom Tisch."

Beim BMF wiegelt man ab. Einen Anlass, das Gesetz zu ändern, sieht man dort nicht. Möglicherweise könnte jedoch das Bundesverfassungsgericht noch für Handlungsbedarf sorgen. Denn die Karlsruher Richter haben zwar eine Eilklage gegen die Kontenabrufe abgewiesen, in der Hauptsache müssen sie aber noch entscheiden. Ein Verhandlungstermin wird frühestens für Herbst erwartet.

Der Bundesfinanzhof, das oberste deutsche Steuergericht, hat allerdings jüngst in einem Urteil verkündet, dass er keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Kontenabfragen habe.

Rechtshilfe

"Für Steuersünder wird es enger", sagt Ulrich Derlien, Steuerberater bei der Münchner Kanzlei Peters, Schönberger & Partner. Er weist zudem auf ein jüngst in Kraft getretenes EU-Übereinkommen hin. "Auch in Österreich oder Belgien, sind Konten nicht mehr unbedingt sicher vor deutschen Fahndern", sagt der Fachmann. Denn seit 2. Februar sei auch in Deutschland ein Abkommen zur Rechtshilfe in Strafsachen zwischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wirksam.

Seither gelte: "Läuft gegen jemanden ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren, können deutsche Steuerfahnder zum Beispiel auch in Österreich anfragen, ob derjenige dort ein Konto oder Depot besitzt." Die ausländischen Kreditinstitute müssten dann umfassend Auskunft erteilen. "Das Bankgeheimnis bröckelt also auch dort", sagt Derlien.

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