Konsum:Besteuert das Plastik!

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Plastik ist ein gewaltiges Problem für die Meere. Eine Steuer könnte den Verbrauch senken. (Foto: Mike Nelson/dpa)

Wer den Verbrauch von Kunststoffen reduzieren will, wird mit freundlichen Appellen nicht weit kommen. Der Staat muss einen Anreiz schaffen - durch höhere Preise.

Essay von Pia Ratzesberger

Vor ein paar Wochen kursierte das Bild eines Grindwals in den sozialen Netzwerken. Ein dunkles Tier im Wasser, kurz vor seinem Tod spuckt es Plastik. Eine Kunststofftüte nach der anderen würgt der Wal nach oben, und als die Ärzte ihm später den Bauch aufschneiden, finden sie noch mehr. Acht Kilo Plastik. In Form von 80 Kunststofftüten.

Die Bilder stammten aus Thailand, und es mag auf den ersten Blick beruhigend sein, dass der meiste Plastikmüll nicht aus Europa, sondern aus Asien kommt. Tote Wale, mit Mägen voller Plastik, wurden aber auch schon vor der Küste Spaniens und Norwegens gefunden. 500 000 Tonnen Plastikmüll treiben von Europa aus jedes Jahr in die Meere.

Der Wunderstoff Plastik, der so vieles möglich macht, ist überall dort angekommen, wo man ihn nie haben wollte: im Körper von Fischen und im Blut von Muscheln, im Wasser von Seen und Flüssen, in den Böden und auf den Feldern. Es vergeht keine Woche, in der nicht in irgendeinem Video im Internet die schädlichen Folgen von Plastik zu sehen wären. Warum also kriegen wir es trotzdem nicht hin, auf Plastik zu verzichten?

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Man muss sich nur einmal umsehen. Pullover sind heute aus Plastik, Zahnpastatuben, Steckdosen, Zelte, Lampenschirme, Wasserkocher, Sofas, künstliche Gebisse und Armaturenbretter. Im Supermarkt steht man vor Regalen voller Plastikbecher, Plastikbeutel, Plastikflaschen. Auf der Welt wird heute zweihundert Mal so viel Plastik hergestellt wie in den Fünfzigerjahren. Damals waren es 1,5 Millionen Tonnen, jetzt sind es 322 Millionen Tonnen im Jahr. In den nächsten 20 Jahren soll sich die Menge noch einmal verdoppeln.

Natürlich könnte jeder für sich versuchen, auf Plastik zu verzichten. Man könnte zu einem der neuen verpackungsfreien Supermärkte fahren, eigene Glasflaschen und Edelstahlboxen mitbringen, den Einkauf darin nach Hause tragen. Das wäre ein Anfang, aber ein Leben ganz ohne Plastik, wie es in vielen Blogs und Büchern gerade besprochen wird, wird es nie wieder geben.

Die Frage ist deshalb nicht, wie kriegen wir das Plastik weg? Sondern, wie gehen wir besser mit dem Plastik um? Die eine Antwort lautet: Mit Entlastungen für all jene Firmen, die weniger Plastik verbrauchen und weniger davon für ihre Verpackungen verwenden - sodass künftig weniger Müll entsteht. Die andere lautet: Mit einem klügeren Recycling all jenes Plastikmülls, den es trotzdem geben wird. Beides wird nicht von selbst gelingen, wird sich nicht durch gut gemeinte Appelle erreichen lassen; sondern dafür muss der Staat eingreifen.

Dass Kunststoffe so verbreitet sind, hat einen guten Grund

Wer meint, ein plastikfreies Leben sei möglich, der vergisst, warum Kunststoffe so erfolgreich geworden sind. Sie sind leichter als Holz und Glas, sie passen sich den verschiedensten Erfordernissen an, können hart sein und weich. Kunststoffe machen das Leben einfacher, oftmals auch billiger. Zudem ist es nicht so, dass sie ausschließlich der Umwelt schaden, sondern sie ermöglichen auch vieles, was dem Schutz der Umwelt dient, sie stecken zum Beispiel in Elektroautos oder Windkraftanlagen.

Der Unterschied zwischen einer Windkraftanlage und einer Plastikflasche ist nur, dass die Windräder sehr viel länger genutzt werden - und ihre Bilanz für die Umwelt deshalb eine bessere ist. Plastik besteht zwar aus organischem Material, die Grundstoffe fallen zum Beispiel bei der Gewinnung von Erdöl und Erdgas an, ehe sie künstlich verbunden werden. Trotzdem fügt sich Plastik nicht in den Kreislauf der Natur ein. Eine PET-Flasche braucht Schätzungen zufolge 450 Jahre, bis sie zerfällt, eine Windel ebenso, eine Angelschnur gar 600 Jahre.

Das größte Problem ist, dass das Plastik in vielen Fällen nur kurz verwendet und gleich wieder weggeworfen wird - und manchmal am Ende in Flüssen und Meeren landet. Man könnte versuchen dieses Problem anzugehen, indem man an die Vernunft der Menschen appelliert, bitte weniger Müll zu hinterlassen. In München ist auf den Lastern der Müllabfuhr mittlerweile zu lesen, dass in der Stadt so viel Plastikmüll anfällt, dass man jeden Tag das Siegestor damit füllen könnte oder am Ende jeder Woche einen der beiden fast 100 Meter hohen Türme der Frauenkirche. Die Müllabfuhr mahnt, die Verpackungen verbrauchten enorm viel Rohstoffe, Wasser und Energie. Aber die meisten Menschen ignorieren das, kaufen sich den Kaffee im Wegwerfbecher und im Supermarkt den abgepackten Salat mit abgepackter Soße und Plastikbesteck. Sie sind das bequeme Leben mit Plastik gewohnt und sie werden es nicht freiwillig aufgeben.

Auch die meisten Unternehmen haben momentan keinen Anlass, in großem Stil auf Verpackungen zu verzichten. Zwar bieten viele Supermärkte an den Kassen mittlerweile keine Plastiktüten mehr an, in den Regalen finden sich aber nach wie vor unnötige Verpackungen und entsprechend groß ist ihr Anteil am Plastikmüll: In Europa sind es 60 Prozent. Man wäre deshalb einen großen Schritt weiter, wenn die Unternehmen ihre Produkte nicht mehr in Plastik einwickeln und noch in eine Plastikbox legen würden, samt einer Binde aus Kunststoff.

Das Verhalten der Unternehmen und der Verbraucher wird sich nur durch finanziellen Druck oder finanzielle Anreize verändern. So warb die Europäische Kommission zuletzt dafür, eine Plastiksteuer einzuführen und jedes Kilogramm Plastikmüll, das nicht wiederverwertet wird, mit 80 Cent zu besteuern. Dieser Vorschlag greift zu kurz, denn nicht nur Plastikverpackungen sind problematisch für die Umwelt, sondern alle Einweg-Verpackungen. Was es deshalb braucht, ist eine Steuer auf sämtliche Einweg-Verpackungen.

Zwar müssen die Unternehmen in Deutschland schon jetzt für ihre Verpackungen zahlen, sie entrichten Gebühren an eines der dualen Systeme, die - wie zum Beispiel der Grüne Punkt - vor Ort die Verpackungen einsammeln und sich um deren Recycling kümmern. Die Firmen kommen mit diesen Gebühren dafür auf, dass ihr Müll entsorgt wird, sie zahlen aber nicht für all die Kosten, die entstehen, wenn Meere, Flüsse, Böden und Felder verschmutzt werden. Eine Steuer könnte das mit einpreisen.

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Die Idee für solch eine Verpackungssteuer ist nicht neu, über sie wird in Deutschland seit Längerem diskutiert, und schon in den Neunzigerjahren haben sich manche Städte daran versucht. Kassel zum Beispiel besteuerte Plastikteller mit 50 Pfennig und Plastikgabeln mit 10 Pfennig. Dagegen klagte unter anderem McDonalds und war nach zwei Niederlagen am Ende auch erfolgreich. Die kommunale Steuer sei verfassungswidrig, weil sie sich nicht mit dem Abfallrecht des Bundes vereinbaren lasse, urteilte das Bundesverfassungsgericht damals. Das Kasseler Modell war ohnehin schwer zu durchschauen: So galt die Steuer zum Beispiel nur für "Speisen und Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle". Wer das eingepackte Sandwich mit nach Hause nahm, für den galt die Steuer nicht. Das erschloss sich kaum jemandem.

Einen neuen Versuch ist es wert. Diesmal allerdings sollten nicht einzelne Städte die Steuer einführen, sondern der Bund für das ganze Land. Mit solch einer Steuer könnte man nicht nur erreichen, dass am Ende weniger Verpackungen in den Supermärkten stünden, sondern auch, dass all jene Verpackungen, die es trotzdem noch geben wird, besser wiederverwertet werden. Ohne ein klügeres Recycling nämlich wird sich das Plastikproblem nicht lösen lassen. Würde man den gesamten Plastikmüll der Welt wiederverwenden, statt die gleiche Menge neu herzustellen, ließen sich Schätzungen zufolge 556 Milliarden Liter Erdöl im Jahr sparen, das wären beim jetzigen Preis für Rohöl weit über 200 Milliarden Euro.

Noch allerdings gibt ist es für Hersteller keine Anreize, recyceltes Plastik zu verwenden. Es ist teurer als neues Plastik, und von der Qualität her sogar schlechter, weshalb nur sechs Prozent des Plastiks in Europa aus wiederverwertetem Material stammen. Den Kunststoffen sieht man genau wie dem Altpapier ihre Vorgeschichte an, dunkle Kunststoffe zum Beispiel können nie wieder zu hellem Material verarbeitet werden, und so werden aus altem Plastik nicht neue Verpackungen, sondern oft Blumenkübel oder Lärmschutzwände.

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Die Recyclingquoten in Deutschland sind zwar nicht schlecht, sie besagen aber lediglich, wie viel Prozent des Mülls in einer Sortieranlage ankommen - und nicht, wie viel davon tatsächlich wiederverwertet wird. Wenn in einer Spülmittelflasche heute 15 Prozent recyceltes Plastik enthalten ist, gilt das schon als Erfolg. Deshalb braucht es intelligentere, besser recycelbare Kunststoffe. Die Europäische Kommission hatte Anfang des Jahres angekündigt, 100 Millionen Euro für deren Erforschung bereitzustellen.

Noch wichtiger wäre aber, dass die Politik mit einer Verpackungssteuer eingreift: Diese Steuer sollte so ausgestaltet sein, dass Verpackungen aus neuem Plastik sehr hoch besteuert werden - und Verpackungen, in denen viel wiederverwertetes Material steckt, niedrig besteuert werden. Das Ziel solch einer Steuer muss sein, dass die Spülflasche aus neuem Plastik im Supermarkt am Ende mehr kostet als die Flasche aus recyceltem Kunststoff. Dann würden auch jene Menschen die Flasche aus dem alten Kunststoff kaufen, denen Recycling eigentlich egal ist, die aber auf den Preis achten.

Mit dem Plastik verhält es sich am Ende ähnlich wie mit den Zigaretten, von sich aus schaffen es die wenigsten, mit dem Rauchen aufzuhören. Sie brauchen dafür einen Anstoß von außen, einen Eingriff des Staates. Solange die Unternehmen nicht für ihre Verpackungen und deren Folgen zahlen müssen, wird es immer noch mehr Müll geben - und sich das Plastik irgendwann nicht nur in den Mägen von Walen finden. Auf den Feldern zumindest liegen die Plastikteilchen schon. Manche Bauern verwenden Dünger aus Biogasanlagen, die wiederum schreddern Abfälle aus dem Supermarkt. Unverkaufte Joghurts zum Beispiel. Mitsamt der Verpackung.

© SZ vom 01.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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