Konjunkturprognose:Wirtschaftsweise rechnen mit deutlichem Abschwung

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Wohin steuert die deutsche Wirtschaft? Noch trotzt sie den globalen Problemen - doch nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" sind die Prognosen im Gutachten des Sachverständigenrats schlecht. Das Wachstum sinkt demach auf 0,9 Prozent. Die Politik ist alarmiert.

Markus Zydra

Konferenzraum A12.209, ein Hochhaus in Wiesbaden. Unruhe macht sich breit. Die fünf Mitglieder des Sachverständigenrats ("Wirtschaftsweise") haben hier, in der zwölften Etage des Statistischen Bundesamts, mit 13 wissenschaftlichen Helfern in den vergangenen Wochen die Euro-Krise analysiert. Tag für Tag, manchmal bis tief in den Abend hinein, wenn sie die Debatte in ihrem Stammlokal "Paulaner" bei Abendessen und Absacker fortgesetzt haben.

Monteure arbeiten an Naben für Windkraftanlagen in der Montagehalle des Windanlagenbauers Nordex in Rostock. (Foto: dpa)

Der Rat der Fünf Weisen geht jeden Herbst in der hessischen Landeshauptstadt in Klausur, um für die Bundesregierung bis Mitte November das Jahresgutachten zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auszuarbeiten. Diese Frist steht im Gesetz. An diesem Mittwoch ist es soweit, die Expertise übergeben sie in Berlin, und es ist eine Arbeit mit recht düsterem Ausblick und einer schonungslosen Studie des Euro-Chaos. Es könnte bald vorbei sein mit dem deutschen Exportwunder, bei dem im September die Ausfuhren im Vergleich zum starken August noch einmal um 0,9 Prozent auf 95 Milliarden Euro gewachsen waren.

Fast hätte die Arbeit gelitten. Ein Sondergutachten drohte. Der Grund war der Coup des griechischen Regierungschefs Giorgos Papandreou, der am 31. Oktober mit dem Vorschlag aufwartete, über das EU-Rettungspaket in seinem Land abstimmen zu lassen. Ein unkontrollierter Staatsbankrott Athens schien gefährlich nahe - und die renommierte deutsche Professoren-Gruppe geriet unter Zeitdruck. Überstunden also für den Ratsvorsitzenden Wolfgang Franz, 67, und seine Kollegen Beatrice Weder di Mauro, 46, Lars Feld, 45, Peter Bofinger, 57, und Christoph Schmidt, 49. Papandreous Plan - wenn er umgesetzt worden wäre - hätte eine neue Epoche einleiten können.

Das Referendum entfiel, das Jahresgutachten kommt. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird bei der Lektüre nicht nur helle Freude empfinden. Die große Analyse der Euro-Krise wird im ersten Kapitel des 400 Seiten starken Gutachtens behandelt. Sie bildet den Schwerpunkt des Berichts, der im vergangenen Jahr noch den Titel "Chancen für einen stabilen Aufschwung" getragen hat.

Damals spielte die Euro-Krise eine eher untergeordnete Rolle. Das Wort "Schuldenschnitt" taucht im Jahresgutachten 2010 nicht auf. Jetzt ist der Tenor anders. Der Aufschwung in Deutschland ist gefährdet, wie es im Jahresgutachten heißt. Für das Jahr 2012 wird ein Wachstum von nur noch 0,9 Prozent prognostiziert, wie es in Regierungskreisen heißt. Für 2011 geht der Rat von drei Prozent aus.

Die skeptische Sicht bestärkt andere Expertenmeinungen: Die Wirtschaftsforschungsinstitute hatten im Oktober ihre Wachstumsprognose für Deutschland schon von 2,0 auf 0,8 Prozent zurückgeschraubt. Hauptgrund: das schlechte Krisenmanagement im Euro-Raum.

Firmen drohe weltweit nach Ansicht eines der wichtigsten Finanzaufseher durch die harten Anforderungen an Banken in Europa das Geld für Investitionen auszugehen. Die Welt stehe "am Rand eines Liquiditätsengpasses", warnt der Chef des Finanzstabilitätsrats (FSB), Kanadas Notenbankchef Mark Carney.

Auch der Sachverständigenrat hat, im Sommer, scharfe Kritik an den Rettungsbemühungen der Politiker geäußert. Die Fünf Weisen forderten im Juli einen Schuldenschnitt von 50 Prozent für Griechenland - ein Vorschlag, der zunächst für Kritik sorgte, dann jedoch bekanntlich umgesetzt wurde.

Der Rat, auf dessen Vorschläge die Politiker beileibe nicht immer hören, hat deshalb Oberwasser. Die Verwirklichung des Schuldenschnitts für Athen war vielen Umständen geschuldet - aber die Weisen verbuchen es als Erfolg, dass ihr Vorschlag Eingang fand in die Rettungsgespräche. Auch der von den Euro-Staaten nun geplante Umtausch alter Griechen-Bonds in neue, vom Rettungsfonds EFSF abgesicherte Anleihen, wurde von den fünf Professoren im Sommer so vorgeschlagen.

Die Politik scheint den Wissenschaftlern aufmerksamer zuzuhören als in anderen Zeiten. Gut möglich, dass Merkel ihrem Team das Jahresgutachten doch noch als geeignete Vorlage zur Krisenlösung empfiehlt. Es geht in der Arbeit um Maßnahmen zur schärferen Regulierung der Finanzmärkte: Systemisch relevante Großbanken sollen nach Ansicht des Rats auf ein ungefährlicheres Maß zurechtgestutzt werden. Zuletzt hatten sich die G20-Staaten auf höhere Eigenkapitalquoten für diese Institute geeinigt.

Wiesbaden ist das traditionelle Refugium des Thinktanks. Experten des Statistischen Bundesamts können hier rasch die nötigen Daten zuliefern. Die Ratsmitglieder werden auf Vorschlag der Bundesregierung durch den Bundespräsidenten für fünf Jahre ernannt. Sie erhalten für ihre Arbeit eine pauschale Entschädigung von 33.000 Euro jährlich, für den Vorsitzenden gibt es 37.000 Euro. Der Gesamtetat: rund 2,2 Millionen Euro.

Es gab nur zwei Situationen, in denen es im Sachverständigenrat ähnlich dramatisch ablief wie in den letzten Tagen: Am 9. November 1989, dem Fall der Mauer, und im November 1973, zum Höhepunkt der Ölkrise. In beiden Fällen legten die Fünf Weisen der Regierung wenige Wochen später ein zusätzliches Sondergutachten vor, weil das Jahresgutachten durch die aktuellen Ereignisse völlig überholt war. Von der Realität überholt - das kann wieder passieren. Wer möchte darauf wetten, dass Griechenland mit der Übergangsregierung stabil bleibt?

© SZ vom 09.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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