Konjunkturbericht der SZ:Land ohne Schwung

Hans Eichel kann einem fast Leid tun: Hilflos angesichts wachsender Haushaltslöcher und schrumpfender Steuereinnahmen, macht er unverdrossen auf Optimismus. Besonders schwungvoll geht es aber nicht zu in Deutschland. Wo aber hakt´s?

Von Michael Bauchmüller

Die Wirtschaft wächst doch, sagt Eichel, und verweist auf jüngste Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Und in der Tat: Erstmals seit langem überrascht das Bruttoinlandsprodukt (BIP) durch unerwartet starkes Wachstum.

Nur: Besonders schwungvoll geht es in der deutschen Wirtschaft noch immer nicht zu. Um schwache 0,4 Prozent wuchs das BIP in den ersten drei Monaten im Vergleich zum Vorquartal. In Frankreich aber legte die Wirtschaftsleistung um 0,8 Prozent zu.

Die Regale sind voll, die Preise steigen erträglich, viele Millionen Menschen warten darauf, endlich wieder arbeiten zu dürfen - nur die Nachfrage fehlt. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, so steht es in den ökonomischen Lehrbüchern, ist die Summe verschiedener Einzelnachfrage: die der privaten Haushalte etwa, der Unternehmen, des Staates, des Auslandes. Wo aber hakt es in Deutschland?

Die Haushalte:

Knapp 60 Prozent steuern die privaten Haushalte zum Bruttoinlandsprodukt bei - für Güter und Dienstleistungen, die andere anbieten. In Deutschland aber spielen die Verbraucher fortgesetzt nicht mit, stattdessen legen sie ihr Geld auf die hohe Kante. Zwischen 2000 und 2003 stieg die Sparquote der Haushalte um einen Punkt auf 10,8 Prozent - Ökonomen erwarten, dass sie am Ende des Jahres bei elf Prozent liegen wird.

Unsicherheit über Rente und Krankenversicherung, Angst vor dem Jobverlust und Verunsicherung angesichts ständig neuer Reformvorschläge steigern nicht gerade die Konsumlust. Zahlen des Einzelhandels zeigen die Kehrseite der Sparfreude. In den ersten drei Monaten sanken die Umsätze der Händler nominal um 0,9 Prozent. Sie hoffen nun, wie schon im vorigen Jahr um diese Zeit, auf das zweite Halbjahr.

Allerdings sind die Aussichten in diesem Jahr etwas besser. Durch die Steuerreform haben die Haushalte in diesem Jahr erstmals seit 2001 wieder ein höheres Realeinkommen zur Verfügung. Ob sie es ausgeben, wird allerdings von einer Besserung am Arbeitsmarkt abhängen - und vom Vertrauen in die Politik. Debatten über höhere Mehrwertsteuer oder die Abschaffung von Sparerfreibeträgen helfen sicher nicht, letzteres herzustellen.

Die Unternehmen:

Lage und Stimmung bessern sich - und lassen die Hoffnung auf steigende Investitionen wachsen, die "Nachfrage" der Unternehmen. Nach zwei Rückgängen legte der Ifo-Geschäftsklimaindex wieder deutlich zu und liegt jetzt bei 96,3 Punkten - nach 95,4 Zählern im März.

Mittlerweile zeichnet sich auch eine Erholung bei den Investitionen ab. Die Aufträge für Investitionsgüter stiegen im ersten Quartal um 0,4 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Weil nach der Zurückhaltung der vergangenen zwei Jahre viele Unternehmen gezwungen sind, alte Anlagen durch neue zu ersetzen, dürfte das Wachstum anhalten. Sorge bereitet dagegen weiterhin die Bauwirtschaft.

Sie profitierte Ende des vergangenen Jahres von der Einschränkung der Eigenheimzulage, brach aber im ersten Quartal dieses Jahres wieder ein: Die Bauinvestitionen gingen um fünf Prozent zurück. Wie stark Investitionen der Unternehmen die Wirtschaft beleben können, wird aber maßgeblich von deren Lage abhängen. Aufträge kommen - angesichts schwacher Binnennachfrage - vor allem aus dem Ausland. Damit bleibt die Auftragslage vorerst labil.

Im März verbuchte allein der Maschinenbau ein Auftragsplus. Der Index der gesamten Auftragseingänge aber sank saison- und preisbereinigt um 0,7 Prozent gegenüber dem Vormonat. Und die Industrieproduktion brach regelrecht ein: um 2,3 Prozent gegenüber einem schon schwachen Februar. Angesichts des fortwährenden Auf und Ab sind damit auch die Aussichten für den Arbeitsmarkt nicht rosig. Experten erwarten zwar eine Stabilisierung. Neue Jobs in nennenswerter Zahl sind aber derzeit nicht in Sicht. Konsequenz: siehe oben.

Land ohne Schwung

Der Staat:

Auf Impulse von der öffentlichen Hand braucht die Wirtschaft nicht zu hoffen. Angesichts überbordender Defizite sind Bund, Länder und Gemeinden gar nicht in der Lage, zusätzliche Aufträge zu erteilen.

Haushalts-Konsolidierung und Stabilitätspakt werden dafür sorgen, dass dies so bleibt. Da aber, wo der Staat indirekt über die Sozialsysteme für Nachfrage sorgt, wird es noch zu weiteren Rückgängen kommen. Die Renten steigen kaum mehr, Empfänger von Arbeitslosen- und Sozialhilfe erhalten weniger, Leistungen der Krankenkassen werden auf Versicherte umgelegt. Angesichts leerer Kassen mag dies ohne Alternative sein. Die entlastende Wirkung von Steuersenkungen wird damit aber neutralisiert. Konsequenz: siehe oben.

Land ohne Schwung

Das Ausland:

Die Helfer der deutschen Wirtschaft sitzen überall, nur nicht im eigenen Land. Das schwache Wachstum der ersten drei Monate geht fast ausschließlich auf den Export zurück. Allein im März stieg der Export um 16,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat.

Gerade rechtzeitig hat der Euro seinen Höhenflug unterbrochen: In den USA deutet sich ein stabiler Aufschwung an. Auf einer mit den EU-Ländern vergleichbaren Zahlenbasis legte die US-Wirtschaft im ersten Quartal gegenüber dem Vorjahreszeitraum 4,9 Prozent zu. Chinas Wirtschaft untermauert ihre Rolle als neues Zugpferd der Weltwirtschaft und wächst in diesem Jahr um geschätzte 8,3 Prozent, Japan stabilisiert sich. Der Umfang des Welthandels, so schätzen die deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute, wird 2004 um 9,5 Prozent wachsen - und den Export beleben.

Allerdings zeigt sich nun auch die Schattenseite des weltweiten Wachstums: Wichtige Rohstoffe werden teurer, allen voran Erdöl. Rohöl der Nordseemarke Brent kostet mittlerweile mehr als 38 Dollar je Barrel. Zum Vergleich: Im Kriegsjahr 2003 lag der Durchschnittspreis bei 28,81 Dollar. Der Effekt lässt sich an deutschen Tanksäulen und in der Statistik nachlesen.

Die Preise lagen im April hier zu Lande um 1,6 Prozent höher als ein Jahr zuvor - der höchste Anstieg seit zwei Jahren. Höhere Benzinpreise werden aber auch andere Preise steigen lassen. Konsequenz: siehe oben.

Ausblick: Wenn er könnte, würde Hans Eichel die Deutschen wohl zum Einkaufen tragen, denn die Verbraucher haben den Aufschwung in der Hand. Geben sie wieder mehr Geld aus, entstehen Jobs, das wieder regt den Konsum an, führt zu Steuereinnahmen - und so fort. Je mehr sich aber die Jahresmitte nähert, desto klarer zeigt sich eine Konstante der deutschen Wirtschaft: Der Aufschwung kommt immer im nächsten Jahr. So war es 2003. Und auch im Jahr davor.

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