Konjunktur:Wer vom Boom profitiert

Arbeitsmarktzahlen

Auch bei den Arbeitnehmern kommt das starke Wachstum an: Zwei Arbeiter auf einer Baustelle in der Hamburger Hafencity.

(Foto: Christophe Gateau/dpa)

Die deutsche Wirtschaft wächst so stark wie seit Jahren nicht. Doch wem kommt der Aufschwung wirklich zugute?

Von Cerstin Gammelin, Thomas Öchsner, Stephan Radomsky und Henrike Roßbach

Es ist ein ungewöhnlicher Daueraufschwung, den die deutsche Wirtschaft seit nunmehr acht Jahren erlebt. Um 2,2 Prozent stieg das Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr; ein sogar noch größeres Plus als die 1,9 Prozent des Jahres 2016 - und der stärkste Zuwachs seit 2011. Ein Ende des Booms ist offenbar nicht in Sicht. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) jedenfalls rechnet für dieses Jahr mit weiteren 2,25 Prozent Wachstum. "Echte Risiken für eine konjunkturelle Überhitzung sehen wir nicht", sagt Verbandspräsident Dieter Kempf. Die deutsche Wirtschaft sei "auf dem Weg in die Hochkonjunktur", der Aufschwung "nachhaltig und robust". Einzige Bedrohung seien Unsicherheiten in der Welt, von den wirtschaftspolitischen Plänen des US-Präsidenten Donald Trump bis zum Brexit.

2018 dürfte es deshalb vorerst weiter aufwärts gehen. Alleine die Industrie wolle dieses Jahr "etliche 100 000" neue Arbeitsplätze schaffen, sagt der oberste Wirtschaftslobbyist. Händeringend würden Leute gesucht, gute Fachkräfte seien kaum zu finden. Herausragend läuft es vor allem in jenen Unternehmen, die am Außenhandel hängen. Fünf Prozent Exportwachstum erwartet der BDI für das laufende Jahr. Von dem Boom profitieren viele - Beschäftigte genauso wie Aktionäre.

Die Arbeitnehmer

Der Aufschwung wirkt sich positiv auf die Löhne aus, wie die neue Tarifbilanz der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zeigt. Demnach wurden 2017 die Tariflöhne im Durchschnitt um 2,4 Prozent erhöht. Nach Abzug des Anstiegs der Verbraucherpreise von 1,8 Prozent ergibt sich daraus ein realer Aufschlag von 0,6 Prozent. "Da die Inflationsrate wieder spürbar höher ist, fällt der Reallohnzuwachs 2017 im Vergleich zu den Vorjahren jedoch deutlich geringer aus", sagt der Leiter des Tarifarchivs der Stiftung, Thorsten Schulten.

Zum Vergleich: In den Jahren 2014 bis 2016 sind die Tariflöhne wegen der sehr niedrigen Inflationsrate real zwischen 1,9 und 2,4 Prozent gestiegen. Auch 2018 könnte unterm Strich ein Plus für die Arbeitnehmer herauskommen - trotz der gestiegenen Teuerung. Darauf deuten die Tarifforderungen der Gewerkschaften hin, die mit zumeist sechs Prozent Lohnerhöhung eher über denen der Vorjahre liegen.

Die Sozialkassen

44,3 Millionen Menschen haben derzeit in Deutschland eine bezahlte Arbeit - so viele wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Die Zahl der Arbeitslosen könnte 2018 um weitere 200 000 auf nur noch etwa 2,3 Millionen sinken. Das bringt Geld in die Sozialkassen. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) erzielte 2017 einen Überschuss von 5,95 Milliarden Euro. Die Rücklage liegt nun bereits bei 17,2 Milliarden Euro - eine Senkung des Beitrags zur Arbeitlosenversicherung 2019 von 3,0 auf 2,8 Prozent wird deshalb immer wahrscheinlicher. Auch in den anderen Sozialkassen werden die Reserven größer: In der Rentenversicherung sind sie 2017 um knapp zwei Milliarden auf 33,4 Milliarden gestiegen - trotz der höheren Ausgaben für die Mütterrente und die Rente mit 63. Auch die gesetzlichen Krankenkassen schwimmen im Geld: Ihre Finanzreserven liegen mit 18,5 Milliarden Euro auf Rekordniveau.

Brummt die Wirtschaft, profitieren Anleger

Die Finanzämter

Die anhaltend gute Konjunktur macht sich auch bei den staatlichen Einnahmen bemerkbar. Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherung weisen zusammen einen Jahresüberschuss von 38 Milliarden Euro aus, so hoch wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Die nächste Bundesregierung kann also mehr Geld ausgeben - oder Steuereinnahmen mindestens teilweise an die Steuerzahler zurückgeben.

Der geschäftsführende Bundesminister Peter Altmaier (CDU) war mit einem Richtwert von 45 Milliarden Euro in die Sondierungen mit CDU, CSU und SPD zur Bildung einer Regierungskoalition gegangen. Die Ausgabenwünsche sind allerdings deutlich höher, sie liegen bei 100 Milliarden Euro. An diesem Freitag wird das Bundesfinanzministerium den offiziellen Jahresabschluss 2017 vorlegen. Der Überschuss soll knapp vier Milliarden Euro betragen. Addiert man die nicht benötigten 6,7 Milliarden Euro aus der Rücklage hinzu, hat der Bund 10,4 Milliarden Euro mehr eingenommen als ursprünglich geplant.

Die Aktionäre

Brummt die Wirtschaft, profitieren Anleger. Als Miteigentümer der Firmen verdienten sie deshalb im vergangenen Jahr auch besonders gut, und zwar gleich doppelt: So stieg beispielsweise der Leitindex Dax für die 30 größten an der Börse notierten deutschen Unternehmen um gut elf Prozent. Die Nebenwerte-Indizes M-Dax und S-Dax legten sogar um 17 beziehungsweise 23 Prozent zu. Neben den Kursgewinnen bekommen Aktionäre aber auch direkt etwas von den Unternehmensgewinnen ab - über die Ausschüttungen, die Dividenden. Für Deutschland rechnet Mathieu Meyer von der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft EY mit einem Bestwert: Allein die Dax-Konzerne dürften demnach mehr als 33 Milliarden Euro an ihre Anteilseigner überweisen. Der Vermögensverwalter Allianz Global Investors geht sogar von 35,2 Milliarden Euro aus. Franz-Josef Leven vom Deutschen Aktieninstitut hält ein Plus der Dividenden "im einstelligen Prozentbereich" für wahrscheinlich.

Allerdings profitieren die Aktien-skeptischen Deutschen davon eher wenig: Der Dividendenrekord komme vor allem ausländischen Anlegern zugute, sagt EY-Experte Meyer: "2017 lagen im Durchschnitt nur 35 Prozent der Dax-Aktien in den Depots deutscher Anleger."

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