Süddeutsche Zeitung

Konjunktur:Und sie wirkt doch

Mehrere konservative Wirtschafts­forscher loben die stimulierende Finanzpolitik der großen Koalition und rechnen damit, dass Deutschland allmählich aus der Konjunkturdelle herauskommen könnte.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Nach dem niedrigen Wirtschaftswachstum 2019 soll es in den nächsten Jahren langsam, aber stetig aufwärts gehen. Entsprechende Prognosen veröffentlichten an diesem Donnerstag das Münchner Ifo-Institut und das Kieler Institut für Weltwirtschaft(IfW). "Die Hauptbotschaft ist: Die deutsche Wirtschaft stabilisiert sich", sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser in Berlin. Anders als man vor wenigen Monaten befürchtet habe, sei jetzt klar, dass sich der Rückgang im produzierenden Gewerbe nicht auf die boomenden Dienstleistungs- und Baubranchen durchgeschlagen habe. "Die Sorge war unbegründet." Zugleich lobte er die "kräftigen staatlichen Impulse". Diese wirkten sich "stimulierend" auf das Wachstum aus.

Die Experten beider Wirtschaftsinstitute erwarten, dass nach 0,5 Prozent Wachstum in diesem Jahr das Bruttoinlandsprodukt im kommenden Jahr um 1,1 Prozent zulegen wird. Ein Jahr später soll es um 1,5 Prozent steigen. Die Zahl der Arbeitslosen werde weiter sinken. Sie soll 2021 unter die Marke von 2,2 Millionen fallen.

Dass es langsam raus geht aus der Konjunkturdelle, liegt den Experten zufolge auch an der Finanzpolitik der großen Koalition. "Sie schiebt die Konjunktur an: über Entlastungen bei Steuern und Sozialbeiträgen, über eine Ausweitung staatlicher Transfers und über eine Zunahme der öffentlichen Konsum- und Investitionsausgaben", sagte Ifo-Experte Wollmershäuser. "Das sind im Jahr jeweils knapp 25 Milliarden Euro, die das Wachstum um etwa einen Viertel Prozentpunkt anheben."

Insgesamt bleibe die deutsche Konjunktur gespalten. Auf dem "absteigenden Ast" sei weiter das verarbeitende Gewerbe, wo Produktion und Arbeitsplätze weniger würden. Das sei einerseits auf den von den USA entfachten Handelskrieg zurückzuführen. Es liege aber auch an "spezifischen Problemen des deutschen Kraftfahrzeugbaus". Seit Mitte 2018 sei die Produktion der deutschen Autohersteller um 16 Prozent gefallen; das wirke sich auf viele Zulieferer vor allem in Baden-Württemberg aus. Dem Ifo-Institut zufolge produzieren die deutschen Hersteller derzeit vor allem im europäischen Ausland herkömmliche Fahrzeuge, während sie in Deutschland moderne Fertigungsstraßen aufbauen. Die Branche sei in einem gewaltigen technologischen Wandel. "Es sieht so aus, als ob die Autohersteller diesen Wandel bewältigen und bald wieder mehr im Inland produzieren", sagte Wollmershäuser.

Ifo-Chef Clemens Fuest forderte den Bund auf, die Bedingungen für private Investoren zu verbessern. Zugleich regte er eine Debatte über die Mitspracherechte von Bürgern bei Investitionen vor der eigenen Haustür an. Man könne die Beteiligung der lokalen Bevölkerung "nicht einfach runterdrehen", um Planungsverfahren zu beschleunigen, warnte er. Fuest bezeichnete die Debatte über das Festhalten an der schwarzen Null, also einem Haushalt ohne zusätzliche Schulden, als eine "eher ideologische". Die schwarze Null sei ein politisches Instrument für gute Zeiten; habe aber "keine tiefere wirtschaftliche Bedeutung".

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Quelle:
SZ vom 13.12.2019
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