Süddeutsche Zeitung

Koalitionsstreit:Wirtschaftsvertreter fürchten Unsicherheit

  • Führende Wirtschaftsvertreter zeigen sich besorgt wegen des Streits in der Koalition, besonders wegen der Differenzen zwischen CDU und CSU.
  • Ein Zusammenbruch der Regierung würde die deutsche Wortschaft schwächen, so Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin. Eine Rezession fürchtet er allerdings nicht.
  • BDI-Chef Dieter Kempf wünscht sich von den Beteiligten mehr "Teamgeist".

Von Michael Bauchmüller und Cerstin Gammelin, Berlin

Ist es Galgenhumor? Sarkasmus? Oder schlicht Pragmatismus? Für die große Koalition, für die Parteienlandschaft und Deutschlands Rolle in Europa steht diese Woche viel auf dem Spiel. Doch der Chef des Münchner Ifo-Instituts bleibt gelassen. Zwar werde ein Zerbrechen der Koalition "zu erhöhter Unsicherheit über den künftigen Kurs der deutschen Wirtschafts- und Europapolitik" führen, sagt Ifo-Chef Clemens Fuest. Dieser Kurs aber sei ohnehin schon unklar gewesen. "In der Wirtschaftspolitik hat die Koalition keine so überzeugende Strategie vorzuweisen, dass viel verloren wäre, wenn eine neue Regierung kommt." Harte Worte in einer Auseinandersetzung, deren potenzielle Kollateralschäden schwer abzusehen sind.

Die deutsche Wirtschaft geht weniger fatalistisch an die Sache heran als Fuest. "Mich besorgt, dass in zentralen Fragen immer mehr Uneinigkeit zwischen den Koalitionären hervortritt", sagt Dieter Kempf, Chef des Industrieverbands BDI, der Süddeutschen Zeitung. "Gerade jetzt ist Teamgeist gefragt." Schließlich rückten Unsicherheiten und Konfliktherde immer näher an die Europäische Union und die Exportnation Deutschland heran. "Der Zeitpunkt für Streit unter Partnern innerhalb der Regierungskoalition könnte nicht schlechter sein." In unsicheren Zeiten dürfe die Bundesregierung "nicht zunehmend mit sich selbst beschäftigt sein".

Ein Zusammenbruch der Regierung könnte die Wirtschaft schwächen

Tatsächlich finden sich Brandherde, wohin man schaut. Der eskalierende Zollkonflikt mit dem wichtigsten Handelspartner USA. Amerikanische Russland-Sanktionen, die sich auch gegen deutsche Unternehmen richten. Der Brexit. Die schwer kalkulierbare neue Regierung in Italien. Und jetzt auch noch die deutsche Innenpolitik.

Letztere ist aus Sicht von Ökonomen noch nicht einmal das größte Risiko. "Ein Zusammenbruch der Bundesregierung würde sicherlich keine Rezession der Wirtschaft auslösen", sagt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin. "Aber sie würde die deutsche Wirtschaft schwächen und viele der Probleme Europas blieben erst einmal ungelöst." Das größte Problem für die deutsche Wirtschaft heute sei der Handelskonflikt mit den USA und die Unsicherheit in anderen EU-Staaten.

Für Unternehmen gibt es kein gefährliches Gift als Unsicherheit

Am Montag macht sich die instabile Lage auch im Ifo-Geschäftsklima-Index bemerkbar - er sank leicht. "Der Rückenwind für die deutsche Wirtschaft flaut ab", schloss das Institut. Reihenweise hatten in der vorigen Woche Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Wachstumsprognosen gesenkt. Von einer Krise aber ist, anders als im politischen Berlin, derzeit keine Spur.

Das gilt auch für den Arbeitsmarkt. Volle Auftragsbücher und eine robuste Binnenwirtschaft bieten weiterhin viele Arbeitsplätze, allerdings rechnen Ökonomen mit geringeren Zuwächsen als bisher. Für die Wirtschaft ist die innenpolitische Lage heikel. Sie mischt sich ungern in einen Streit ein, der in die Tiefen der europäischen Flüchtlingspolitik führt. Noch weniger, wenn er in Machtfragen innerhalb der Unionsparteien kulminiert. Andererseits gibt es für Unternehmen kein gefährlicheres Gift als Unsicherheit. Und die Schwächung Deutschlands auf internationaler Ebene.

Ein Regierungsbruch, so warnt Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer, berge "nicht abschätzbare schwerwiegende gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen". - "Damit gerieten wir erneut in eine Phase der Ungewissheit und des politischen Stillstandes, die für unsere Betriebe und die Wirtschaft insgesamt Gift wäre." Die Empfehlung des Handwerks ist eindeutig: sich zusammenreißen. "Macht- und parteipolitisches Taktieren darf nicht Oberhand gewinnen".

Die Mahnungen belegen den Ernst der Lage

Das befürchtet auch die Industrie, nicht zuletzt mit Blick auf Europa. Die Bundesrepublik, warnt BDI-Präsident Kempf, müsse strategie- und handlungsfähig sein, wenn sie beim EU-Gipfel mitverhandelt. "Die Weiterentwicklung der Europäischen Union ist für Deutschland sowohl politisch als auch wirtschaftlich von überragender Bedeutung." Schließlich gehe es um den "Heimatmarkt". Das sei die EU. Und letztlich gehe es auch um das "Friedensprojekt Europäische Union". Es sind Mahnungen, die eins belegen: den Ernst der Lage.

Naturgemäß betrifft das besonders die Exportwirtschaft. "Angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage erwartet der Wähler zurecht mehr Geschlossenheit und konstruktives Miteinander in und von der Politik", sagt Holger Bingmann, Präsident des Bundesverbands des Groß- und Außenhandels. Dafür brauche es eigentlich nicht den Hinweis der Wirtschaft, setzt er hinzu. "Das wissen die handelnden Personen auch selbst." Insgesamt schienen "die von Außen herangetragenen Irrationalitäten ein Stück weit abzufärben". Und das klingt fast wieder nach Galgenhumor.

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Quelle:
SZ vom 26.06.2018
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