Konjunktur:Schnell noch Steuern senken

Containerschiff im Hamburger Hafen

Der Export ist ein wichtiger Faktor für die deutsche Konjunktur, der Hamburger Hafen ein bedeutender Umschlagplatz.

(Foto: Karl-Heinz Spremberg/imago/CHROMORANGE)
  • Mehrere Konjunkturindikatoren kündigen ein Ende des großen Wirtschaftsaufschwungs an.
  • Auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) warnte, die fetten Jahre seien vorbei.
  • Unionspolitiker und Wirtschaftsvertreter fordern Steuersenkungen, um einen möglichen Abschwung aufzufangen.

Von Michael Bauchmüller, Alexander Hagelüken und Henrike Roßbach

Irgendwer hat immer frische Konjunkturdaten zu melden, fast jeden Tag. Die meisten bewegen mal kurz die Märkte, interessieren aber sonst keinen groß. Doch seit in jüngster Zeit immer öfter Minuszeichen in diesen Meldungen auftauchen, steigt die Unruhe in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Die von diesem Montag zum Beispiel: Danach haben die deutschen Industrieunternehmen im November ein Prozent weniger Aufträge erhalten als im Oktober - und 4,3 Prozent weniger als im November 2017. Oder das Konsumbarometer des Handelsverbands HDE: Das ist zum Jahresauftakt auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Erhebung im Oktober 2016 gesunken.

Auch andere Konjunkturindikatoren deuten darauf hin, dass der Aufschwung zu schwächeln droht. Das vom Münchner Ifo-Institut erhobene Geschäftsklima etwa, eine Art Fieberkurve der deutschen Wirtschaft, sinkt seit August vergangenen Jahres. Reihenweise senkten Institute ihre Prognosen. Und am Wochenende warnte dann ganz amtlich auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), die fetten Jahre seien vorbei. "Von jetzt an erwarte ich keine unvorhergesehenen Mehreinnahmen mehr", sagte er der Bild am Sonntag. Nach fetten neun Jahren Aufschwung - samt Rekord-Steuereinnahmen im Land. Ist nun also der Zeitpunkt gekommen, an dem der Bund seine Milliardenüberschüsse und mit ihnen die schwarze Null antasten muss, um einem möglichen Abschwung etwas entgegenzusetzen?

Ökonomen trauen Deutschland noch ein Wachstum von 1,4 bis 1,8 Prozent zu

"Im Moment zeigen kaum Indikatoren nach oben", sagt auch Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags. "Die Luft für die deutschen Unternehmen wird dünner." Ob Deutschland deswegen aber nun schlechte konjunkturelle Jahre bevorstehen, lasse sich noch nicht sagen. "Die Jahre werden magerer, das schon", so der Wirtschaftsexperte. "Ob sie mies werden, muss sich erst zeigen."

Tatsächlich ist von einer Rezession derzeit nichts zu sehen. So erwartet der Internationale Währungsfonds (IWF), dass die Weltwirtschaft, von der die Exportnation Deutschland abhängt, erst einmal mit knapp vier Prozent im Jahr weiterwachsen wird. Die Europäische Zentralbank erwartet für dieses Jahr immerhin noch 1,7 Prozent Wachstum, nur 0,2 Prozentpunkte weniger als im Vorjahr. Und die Bundesregierung geht in ihrer Herbstprojektion von 1,8 Prozent aus - ob sie dabei bleibt, wird der Jahreswirtschaftsbericht zeigen, den das Wirtschaftsministerium diesen Monat veröffentlich.

Die Wachstumsprognosen der größeren Forschungsinstitute schwanken zwischen 1,4 und 1,8 Prozent für Deutschland in diesem Jahr. Das wäre nicht spektakulär, aber solide - so wie schon das Wachstum 2018, als Sonderfaktoren wie technische Probleme in der Autoindustrie den Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts deutlich unter die 2,2 Prozent des Vorjahres gedrückt haben dürften. Im dritten Quartal sank die Wirtschaftsleistung sogar. Für das Gesamtjahr wird das Statistische Bundesamt Mitte Januar Zahlen vorlegen.

"Entgegen aller Unkenrufe wird 2019 in Deutschland nicht das Jahr des wirtschaftlichen Abschwungs", sagt Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und verweist auf positive Faktoren: die hohe Wettbewerbsfähigkeit deutscher Exporteure, den Arbeitsmarktboom, große staatliche Überschüsse und die starke Zuwanderung aus anderen EU-Ländern. Die Industrie sieht das ähnlich. "Die Devise lautet derzeit eher: Zurück zur Normalauslastung", sagt Klaus Deutsch, Chefvolkswirt des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Nach anderthalb Jahren Boom finde die Industrie derzeit wieder zurück zur üblichen Auslastung. "Das Kunststück ist, hier eine sanfte Landung hinzubekommen."

Auch auf dem Arbeitsmarkt läuft es gut. Die Regierung geht für dieses Jahr von einer weiter steigenden Erwerbstätigkeit aus; 2018 waren nur noch 2,34 Millionen Menschen arbeitslos, 193 000 weniger als im Vorjahr. Zusammen mit steigenden Löhnen stützt das den Konsum.

Die CDU will Steuern senken - mehr als mit der SPD vereinbart

Ökonom Fratzscher aber sieht auch Risiken. Ganz vorne: der von Trump losgetretene Welthandelsstreit, der schon die (sehr optimistischen) Konjunkturprognosen für das vergangene Jahr verhagelt hatte. Kommt es zum Showdown der USA mit China, gegen das Trump bereits Strafzölle von mehr als 200 Milliarden Dollar verhängt hat, die bald in Kraft treten werden? Der Konjunktur schaden würden auch Turbulenzen im Euro wegen der Ausgabenwünsche in Italien, stockende Reformen in Frankreich, dem zweitgrößten Euro-Land und ein ungeordneter Brexit. Von einem halbwegs geordneten Ausstieg Großbritanniens auszugehen, sagt BDI-Volkswirt Deutsch, sei "eine mutige Annahme".

Die Wirtschaft wünscht sich deshalb schon jetzt Antworten: mehr Forschungsförderung, weniger Unternehmensteuern oder verbesserte Abschreibungsbedingungen. "Hier die Zeiträume für die Abschreibungen zu verkürzen, die Tabellen anzupassen, das wäre ein sinnvolles Instrument", sagt DIHK-Mann Treier. "Eigentlich ist das alles schon lange überfällig."

Der Spiegel hatte am Wochenende berichtet, Scholz' Ministerium arbeite bereits an einer "Notfallplanung", um im Falle eines Konjunktureinbruchs mit Entlastungen bei der Einkommensteuer und besseren steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen gegenzusteuern. 17 bis 35 Milliarden Euro könne ein solches Entlastungspaket umfassen. Am Montag jedoch wollte das Finanzministerium derartige Pläne nicht bestätigen.

Die Union allerdings witterte sofort ihre Chance, kräftigere Steuersenkungen durchsetzen zu können, als bisher mit der SPD vereinbart. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte am Wochenende bei der Klausur der CSU-Landesgruppe, statt vage Steuerpakete vorzubereiten sei es "klüger", schon jetzt über Steuererleichterungen zu reden - damit eine Rezession gar nicht erst eintrete. Auch der CDU-Wirtschaftsrat forderte, Scholz dürfe "nicht untätig bleiben".

Doch im Koalitionsvertrag ist eine Krise nicht vorgesehen, selbst den Solidaritätszuschlag wollen Union und SPD nur für die unteren 90 Prozent der Steuerzahler entfallen lassen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt will ihn dagegen nun "in die Geschichtsbücher" verbannen.

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