Konjunktur:Offensichtliche Risiken

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Die Bank für internationalen Zahlungsausgleich warnt vor einem Ende des Aufschwungs. Eine große Unbekannte ist der wachsende Teil der Schulden außerhalb von Banken. Die gute Nachricht: Noch bleibt etwas Zeit.

Von Jan Willmroth, Frankfurt

Die gefährlichsten Risiken sind häufig jene, die man nicht sieht. Das gilt im Kleinen, es gilt im Großen, und mit Blick auf die Weltwirtschaft gilt es im Besonderen. Vorhersagen über den Verlauf der Konjunktur bewegen sich im Ungefähren, falsche Prognosen sind die Regel, überraschende Krisen oft die Folge. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) macht in ihrem Wirtschaftsbericht immerhin deutlich, was den globalen Aufschwung derzeit bedroht und welche offensichtlichen Risiken leicht zu übersehen sind. Die 1930 gegründete BIZ ist die globale Zentralbank der nationalen Notenbanken, ihr Wort hat für Zentralbankvertreter wie für Politiker gleichermaßen Gewicht.

Die gute Nachricht ist: Noch bleibt wohl etwas Zeit. Zur Vorstellung des Berichts am Sonntag wählte BIZ-Generaldirektor Augustín Carstens denn auch eher zurückhaltende Worte, als er anmahnte "die Gunst der Stunde" zu nutzen, strukturelle Reformen anzustrengen, Staatsschulden abzubauen und die Geldpolitik weiter zu straffen. Die kurzfristigen Aussichten seien größtenteils günstig, sagte der frühere mexikanische Zentralbankpräsident: Das globale Wachstum von zuletzt 3,8 Prozent 2017 werde hoch bleiben und die Arbeitslosigkeit weiter sinken, ansatzweise bis zur Vollbeschäftigung. Es werde noch mehr investiert, was die Weltwirtschaft produktiver mache. Tatsächlich: Weder die nationalistische Bedrohung der Europäischen Union noch der Trump'sche Handelskrieg schlagen sich bislang in den Wachstumszahlen nieder. Alles gut also?

Nicht so ganz, denn die schlechte Nachricht ist: Es könnte bald vorbei sein. Ein großer Teil des Berichts enthält unmissverständliche Warnungen vor den Risiken eines Abschwungs. Behält die BIZ mit ihrer Analyse recht, steuert die Weltwirtschaft in der nächsten Rezession auf eine nur noch schwer zu kontrollierende Krise zu.

Eine große Unbekannte ist der wachsende Teil der Schulden außerhalb von Banken

Erstens, bemerken die Experten der Basler Institution, hänge die Konjunktur noch immer viel zu stark von der Geldpolitik ab. Mit Null- und Negativzinsen sowie mit Wertpapierkäufen haben die größten Notenbanken nach der Finanzkrise einen Aufschwung provoziert, der von rekordhohen Bewertungen an den Kapitalmärkten und äußerst lockeren Finanzierungsbedingungen geprägt ist. Das kann zum Problem werden, weil den Notenbanken im Fall einer neuen Krise der Handlungsspielraum fehlt. Die Notenbanken täten nach Ansicht der BIZ also gut daran, ihre Geldpolitik weiter zu normalisieren.

"Die Finanzmärkte wirken überspannt", heißt es in dem Bericht. Die "finanzielle Verwundbarkeit" sei gestiegen. Damit ist vor allem die seit der Krise weiter gestiegene Verschuldung sowohl im Staats- als auch im Privatsektor gemeint. Die BIZ-Ökonomen sprechen hier von einer "Schuldenfalle", die manchen Ländern droht: Je höher der Schuldenstand, desto sensibler reagiert die Konjunktur auf höhere Zinsen. Das macht es schwieriger, die Leitzinsen anzuheben, etwa bei schnell steigender Inflation, ohne eine Rezession zu riskieren. Bleiben die Zinsen dann aber niedrig, verschärft sich das Schuldenproblem weiter. Zweitens verringere eine zu hohe Verschuldung im öffentlichen Sektor den Spielraum, im Fall eines Abschwungs fiskalpolitisch gegenzusteuern.

Problematisch kann es dem Bericht zufolge auch werden, wenn die historisch niedrigen Renditen an den wichtigsten Anleihemärkten plötzlich steigen. Das gelte vor allem für die Vereinigten Staaten: Falls dort die Inflationsrate unerwartet deutlich anzieht, müsste die US-Notenbank Fed ihre Geldpolitik womöglich schneller und stärker straffen als Finanzmarktteilnehmer derzeit annehmen; die Anleiherenditen könnten sprunghaft ansteigen und die Schuldenfalle würde Realität. Wegen der Bedeutung des US-Dollars als Welt-Leitwährung für Staats- und Unternehmenskredite sowie allein wegen der Größe der US-Wirtschaft wäre das global spürbar.

Eine große Unbekannte ist dabei jener wachsende Teil der Schulden, der heute außerhalb von Banken verwaltet wird. Wegen der strengeren Bankenregulierung spielen Vermögensverwalter und Finanzinvestoren - sogenannte Schattenbanken - heute eine deutlich größere Rolle in der Kreditvermittlung. "Das macht die Interaktion zwischen Akteuren komplexer", sagte BIZ-Chef Carstens, "mit Folgen für Vermögenswerte und die Finanzstabilität, die schwieriger vorherzusehen sind."

Dabei ist das derzeit wohl größte Risiko nicht einmal finanzieller Natur. Noch sind die Folgen eines Handelskriegs, wie er sich derzeit abzeichnet, Carstens zufolge nicht präzise abzusehen. Es gebe aber bereits erste Anzeichen, dass angesichts der protektionistischen Maßnahmen weniger investiert werde, warnte er. Auf einmal stehen die komplexen Wertschöpfungsketten infrage, die über die vergangenen mehr als 20 Jahre aufgebaut wurden und denen ein wesentlicher Anteil am wirtschaftlichen Fortschritt in dieser Zeit beigemessen wird. Mögliche Netzwerkeffekte eines Handelskriegs sind kaum abzuschätzen.

Daher hält sich die BIZ mit konkreten Prognosen auch bedeckt, während Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland schon ein Ende des Booms heraufbeschwören. Wann ein globaler Abschwung kommt und welche Ursachen er dann hat: Das zu beantworten Wahrsagerei. Aber falls mit diesem einer der längsten Aufschwünge der Nachkriegsgeschichte bald enden sollte, dann wird es wahrscheinlich sehr ungemütlich.

© SZ vom 26.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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