Konjunktur-Einbruch:Das German Wunder ist zu Ende

BIP im ersten Quartal minus 3,8 Prozent

Deutliche Lücken zwischen den Reihen im Containerterminal in Bremerhaven: Angesichts immer schlechterer Indikatoren senken die Wirtschaftsforscher im In- und Ausland ihre Prognosen (Symbolbild)

(Foto: dpa)

Geringe Arbeitslosigkeit, Wachstum - in den vergangenen Jahren war Deutschland Europas Klassenprimus. Doch nun droht der Einbruch des Aufschwungs. Darauf hat sich die Regierung nicht vorbereitet.

Kommentar von Guido Bohsem

In den vergangenen Jahren hat das Ausland mit einer gehörigen Portion Verblüffung auf die deutsche Konjunktur geschaut. Europas Wirtschaft lag am Boden, doch den Deutschen ging es so gut wie lange nicht: Die Arbeitslosigkeit in Spanien, Italien, Griechenland, Portugal und Frankreich stieg auf Rekordhöhen, während hierzulande so wenig Menschen nach Arbeit suchten wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr; hätten die internationalen Anleger zeitweise eher ihre Mütter verkauft, als noch einen Cent an südeuropäische Staaten zu verleihen, nahmen sie beim Ankauf von Bundesanleihen sogar negative Renditen in Kauf; versinken viele Euro-Staaten in Schulden, dürfte 2015 im Bund erstmals seit 46 Jahren ein ausgeglichener Haushalt gelingen. Wenn die Rede auf dieses Paradox kam, wurde vom "German Wunder" gesprochen. Die noch zur Jahrtausendwende als kranker Mann Europas bemitleidete Bundesrepublik zeigte in den vergangenen vier Jahren, was in ihr steckte.

Vorbei. Inzwischen mehren sich die Zeichen, dass the German Wunder nun zu Ende geht. Angesichts immer schlechterer Indikatoren senken die Wirtschaftsforscher im In- und Ausland ihre Prognosen. Von einer Rezession bleibt das Land verschont. Es droht vielmehr ein Miniwachstum, das auf Dauer mindestens genauso schädlich sein kann wie ein kräftiger, dafür aber zeitlich befristeter Konjunktureinbruch.

Fehlt die Nachfrage, hat die deutsche Industrie ein Problem

Die grundlegenden Daten der Wirtschaft sind weiterhin gut, jedoch nagen die Krisen im Irak, in Syrien und vor allem in der Ukraine zunehmend am Vertrauen der Verbraucher. Verlieren diese ihre Zuversicht, rechnen sie nicht mehr mit steigenden Löhnen oder zweifeln an der Sicherheit ihrer Jobs, halten sie sich auch beim Shopping zurück und erst recht bei größeren Anschaffungen, Renovierungen oder dem Kauf eines Hauses.

Trifft diese Konsumzurückhaltung auf die weiterhin schwache Nachfrage aus Europa und aus Schwellenländern wie Brasilien und Indien, hat die deutsche Industrie ein gravierendes Problem. Sie wird ihre Produkte dann nämlich weder im Inland noch im Ausland los. Wird die europäische und die deutsche Wirtschaft zudem noch - wie zum Beispiel der Internationale Währungsfonds befürchtet - von einer Deflation heimgesucht, wird es finster. Denn die Aussicht auf fallende Preise würde den Verbrauchern den Konsum völlig verleiden.

Die Regierung hat die guten Zeiten nur verwaltet

Kommt es zu einer Kombination aus Deflation und Stagnation der Wirtschaft, sind die Folgen für das Land nur schwer absehbar. Die Arbeitslosigkeit wird erst einmal niedrig bleiben, doch dann rasch und kontinuierlich ansteigen. Das setzt die sozialen Sicherungssysteme unter Druck und ehe man sich versieht, steigen die Beiträge für die Krankenkasse, die Renten- und die Arbeitslosenversicherung wieder an und die Deutschen könnten sich schneller von ihrem Traum eines dauerhaft ausgeglichenen Haushalts verabschieden als gedacht.

Spätestens dann wird klar, dass Kanzlerin Angela Merkel nur im europäischen Ausland auf Strukturreformen gepocht, hierzulande aber großzügig drauf verzichtet hat. Dabei ist die Bundesrepublik nur mäßig gegen die Herausforderungen der Zukunft gerüstet. Die alternde Gesellschaft ist nur eine davon, die andere besteht in den absehbaren Umbrüchen durch die digitale Revolution.

Namhafte Wissenschaftler sagen voraus, dass durch den rasenden Fortschritt in der Informationstechnik beinahe alle Arbeitsplätze der Mittelschicht durch intelligentere Roboter oder neue digitalisierte Prozesse wegfallen werden. Selbst wenn es so schlimm nicht kommen wird, sollte eine kluge Regierung darauf vorbereitet sein. Doch das ist die große Koalition nicht. Sie verwaltet lediglich die guten Zeiten, die ihnen the German Wunder so überraschend wie unverdient beschert hat.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: