Süddeutsche Zeitung

Konjunktur:Ein Pfund Maschinen

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Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft ist gut. Viele Unternehmen haben so günstige Kreditbedingungen wie noch nie. Doch für die Digitalisierung braucht es mehr Investitionen.

Von Norbert Hofmann

Das Leistungsspektrum der Elbe Industrietechnik passt in eine Zeit, in der schnelle Wege gefragt sind. Der Hamburger Mittelständler entwickelt und wartet Maschinen für Firmenkunden, wobei er sich insbesondere auf Förderanlagen fokussiert. An Nachfrage mangelt es nicht. "Wir bauen Standorte auf oder nutzen Nachfolgelösungen bei anderen Unternehmen für Übernahmen", sagt Geschäftsführer Nico Reimers. Für die Finanzierung der nächsten Akquisitionen sorgt jetzt unter anderem ein über die Internetplattform Kapilendo beschafftes Nachrangdarlehen. Die Finanzierung nennt sich Crowd-invest, Geld, das von einer Vielzahl von Investoren über den Online-Kreditmarktplatz bereitgestellt wurde. Reimers findet, dass das eine gute Ergänzung zu den Bankfinanzierungen der Firma ist. "Das Kapital war nicht teurer als vergleichbare Bankangebote, gleichzeitig können wir die Präsentation auf der Plattform als Baustein unseres Marketings nutzen", sagt er.

Von einer Überhitzung ist die deutsche Wirtschaft auch jetzt noch weit entfernt

Die Elbe Industrietechnik steht in vieler Hinsicht für das, was Deutschlands Unternehmen derzeit bewegt. Die Wirtschaft wächst, sie investiert in die Automatisierung und sucht neue Wege bei der Finanzierung. Das KfW-ifo-Mittelstandsbarometer meldete für den Oktober eine neue Bestmarke für das Geschäftsklima. Die Unternehmen blicken so optimistisch wie nie in den vergangenen 26 Jahren in die Zukunft. Die jüngste Prognose der OECD sagt für das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach einem Plus von 2,5 Prozent in diesem Jahr auch für 2018 noch ein ansehnliches Wachstum von 2,3 Prozent voraus. Viel trägt dazu die wirtschaftliche Erholung in der Eurozone bei. "Deutsche Exporte werden weiter zulegen und vor allem von mehr Ausfuhren in europäische Länder, insbesondere nach Italien und Spanien, profitieren", sagt Stefan Mütze, Konjunkturexperte bei der Helaba Landesbank Hessen-Thüringen. Einen Beitrag zum BIP-Wachstum werde der Außenhandel allerdings nicht leisten, da die Importe noch einen Tick stärker steigen als die Ausfuhren.

Von einer Überhitzung ist die deutsche Wirtschaft auch jetzt noch weit entfernt. Als Wachstumstreiber wirkt aber weiterhin die bei steigenden Realeinkommen und höherer Beschäftigung noch einmal zunehmende Konsumfreude der Verbraucher. Wenn da nicht mittlerweile ein Mangel an Personal wäre, könnte auch der Bau noch viel stärker zur Konjunktur beitragen. Deutlich an Fahrt gewinnen die Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen. Das liegt zum einen daran, dass ihre Kapazitäten zunehmend ausgelastet und Erweiterungen notwendig sind. "Wegen des Fachkräftemangels muss zudem in die Automatisierung investiert werden und gleichzeitig wächst bei den Firmen der Druck, den technischen Fortschritt - von der Digitalisierung bis hin zur Elektrifizierung im Automobilsektor - voranzutreiben", sagt Mütze. Der Mittelstand kann dank guter Gewinne vieles davon selbst finanzieren. Wer Geld braucht, findet nach wie vor einen guten Zugang zu Krediten mit historisch günstigen Konditionen. Allerdings werden nicht alle Unternehmen von den Banken umworben. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner (W&P) erwarten 42 Prozent der befragten Familienunternehmen einen erschwerten Zugang zu klassischem Fremdkapital. Als Grund nennen sie die zunehmende Regulierung des Bankensektors und damit einhergehende verschärfte Anforderungen an die Bonität. "Die Regulierung zwingt die Banken zum Aufbau effizienter Geschäftsmodelle mit standardisierten und relativ starren Vorgaben, die in der Konsequenz für Firmen mit Bonität unterhalb der Top-Ratings härtere Konditionen mit sich bringen", erläutert Volker Riedel, Partner und Mitglied der Geschäftsleitung von W&P. Zu Bedenken gibt er, dass auch gute Eigenkapitalquoten bei größeren Investitionen nicht immer weiterhelfen. Denn ein Großteil dieses Kapitals ist häufig in Maschinen und andere Betriebsausstattung gebunden.

Doch Investitionen in die Zukunft gewinnen gerade heute an Bedeutung. Der Internationale Währungsfonds (IWF) etwa zählt zu den "Wachstumsrisiken" für Europa explizit das "verhaltene Produktivitätswachstum". Das heißt, es könnten mit dem gleichen Einsatz von Kapital und Arbeit noch bessere Ergebnisse etwa durch neue Technologien und die Optimierung der betrieblichen Abläufe erzielt werden. Die damit angesprochene digitale Transformation aber ist so leicht nicht zu haben. "Für die Digitalisierung kann man nicht ein Pfund Maschinen und ein Pfund Vorleistungen kaufen. Sie steht für eine kostenintensive Veränderung von Geschäftsmodellen und hat - auch zeitlich - weitreichende Konsequenzen für den Finanzierungsbedarf", sagt Riedel. Er rät dazu, an Alternativen der Kapitalbeschaffung zu denken. Eine Möglichkeit ist es, durch die Optimierung der Kosten von Forderungen, der Lagerhaltung und des Einkaufs die Finanzierung des Betriebskapitals zu verbessern.

Die Digitalisierung führt auch zu neuen Möglichkeiten der Kapitalbeschaffung

Das kann zum Beispiel durch den Verkauf von Forderungen über Factoring geschehen oder durch den Wareneinkauf mit Kreditkarte, die für zusätzlichen finanziellen Spielraum ohne Zinskosten sorgt. "Wird die so zu Tage geförderte zusätzliche Liquidität zum Beispiel laufend und immer wieder in einer Holding geparkt, kann das Unternehmen auf trockenes Pulver zur Finanzierung des Wachstums zurückgreifen", sagt Riedel.

Die Digitalisierung führt aber auch zu neuen Möglichkeiten der Kapitalbeschaffung. Das machen die Online-Kreditplattformen mit zwar noch kleiner, aber wachsender Marktpräsenz gerade vor. Rund 40 Prozent der in der W&P-Studie befragten Entscheider sagen, dass der Anteil der klassischen Fremdkapitalfinanzierung durch Banken und Sparkassen sinken wird. In etwa ebenso viele sind überzeugt, dass die Lücke durch Fintechs, also digitale Vermittler, und Investoren des Kapitalmarkts geschlossen wird. Das birgt einerseits auch neue Risiken. Niemand weiß, ob sich diese Kapitalgeber in schlechten Zeiten nicht schneller zurückziehen als es der Mittelstand von seiner vertrauten Hausbank gewohnt ist. Andererseits haben die neuen Wege zur Kapitalquelle auch Vorteile. "Indem wir uns auf der Kreditplattform präsentieren, machen wir das Unternehmen für Kunden transparenter und nicht zuletzt auch bei potenziellen Mitarbeitern bekannter", sagt Firmenchef Reimers.

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Quelle:
SZ vom 07.12.2017
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