Süddeutsche Zeitung

Konjunktur:Die große W-Gefahr

Weltuntergang verschoben, doch der nächste Absturz kommt: Der leichte Aufschwung trägt sich nicht selbst. Möglich ist eine Rezession im nächsten Jahr.

Nikolaus Piper

Die schwerste, aber auch kürzeste Rezession der deutschen Nachkriegsgeschichte ist zu Ende. Industrieproduktion und Aktienkurse steigen, die Stimmung in den Unternehmen wird besser. Auch die amerikanische Wirtschaft dürfte im laufenden Quartal den Tiefpunkt erreicht haben und danach wieder langsam wachsen. Der Internationale Währungsfonds und andere Institutionen setzen ihre Konjunkturschätzungen herauf. Die Welt lässt die schlimmste Wirtschafts- und Finanzkrise seit achtzig Jahren hinter sich. Ist nun alles wieder gut?

Es kommt auf den Standpunkt an. Durch koordinierte und beispiellose Aktionen haben Regierungen und Notenbanken auf der ganzen Welt einen Zusammenbruch des Finanzsystems und die Wiederholung der globalen Wirtschaftskrise aus den 30er Jahren verhindert. Der Weltuntergang wurde abgesagt- das ist Grund zur Freude und sollte nicht so schnell vergessen werden. Das bedeutet aber auch, dass all die guten Nachrichten der vergangenen Tage ausschließlich dieser Krisenpolitik zu danken sind.

Alles hängt vom Geld der Regierungen und Notenbanken ab. Die Erholung ist auf alles andere als einen selbsttragenden Aufschwung zurückzuführen. Möglich, wenn nicht gar wahrscheinlich, ist eine erneute Rezession im kommenden Jahr. Ökonomen nennen so ein Phänomen eine "W-Konjunktur": Nach einem scharfen Einbruch erholt sich die Wirtschaft ein wenig, nur um danach noch einmal abzustürzen und sich erst danach dauerhaft zu erholen. Graphisch ähnelt der Verlauf dann dem Buchstaben W.

Für diese W-Gefahr gibt es ein wichtiges historisches Beispiel: Im Jahr 1937, vier Jahre nach dem Tiefpunkt der großen Weltwirtschaftskrise, stürzten die USA erneut in eine schwere Rezession, die Arbeitslosigkeit erreichte wieder 20 Prozent. Der Einbruch war möglicherweise unvermeidbar, aber er wurde wesentlich verschärft dadurch, dass Präsident Franklin Roosevelt vorschnell den Staatshaushalt sanieren wollte und die US-Notenbank die Geldversorgung gleichzeitig verknappte. In Deutschland blieb diese Rezession aus, weil Hitler mit gedrucktem Geld den Zweiten Weltkrieg vorbereitete und dabei den Wert der Reichsmark zerstörte.

Vor allem zu Beginn des kommenden Jahres dürfte die W-Gefahr sehr groß werden. Dann wird die Wirkung von Präsident Obamas Konjunkturprogramm langsam nachlassen. Die Arbeitslosigkeit wird auf ein Niveau steigen, das die USA seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt haben, das Haushaltsdefizit weit über dem Vertretbaren bleiben. Die Privathaushalte müssen sparen und Schulden abbauen. Sie können, anders als in früheren Jahren, nicht mehr mit ihrer Nachfrage die Weltwirtschaft antreiben.

Die Lage der meisten Banken bleibt kritisch; darüber dürfen Berichte über Gewinne und Bonus-Zahlungen nicht hinwegtäuschen. Auf viele kommt eine zweite Welle von Abschreibungen zu. Es sind, wie in jeder Rezession, Firmenkredite, die faul werden. In den Vereinigten Staaten dürfte die Finanzierung vieler Einkaufszentren, Büro-Wolkenkratzer und anderer Gewerbeimmobilien zusammenbrechen.

All dies sind Ingredienzien für eine neue Rezession. Eine Wiederholung des Jahres 1937 ist allerdings auch nicht unvermeidlich, denn die Politik kann gegensteuern. Der wichtigste und zugleich schwierigste Part liegt bei den USA.

Amerika braucht eine Doppelstrategie, um aus der Krise herauszukommen. Die gute Nachricht: Sowohl die Regierung Obama als auch Notenbankpräsident Ben Bernanke sind sich des Problems bewusst. Die schlechte Nachricht: Niemand hat bisher die Strategie erprobt. Auf der einen Seite muss Obamas Konjunkturprogramm weitergehen, auf der anderen Seite braucht Washington ein überzeugendes Konzept für die Sanierung der Staatsfinanzen. Bernanke muss damit beginnen, überschüssiges Geld aus der Wirtschaft abzuziehen, um keine Vertrauenskrise für den Dollar zu riskieren.

In Europa geht es vor allem darum, die Banken zu stabilisieren. Was die Ausstattung des Finanzsektors mit frischem Kapital betrifft, sind die Europäer, und besonders die Deutschen, weit hinter den Amerikanern zurückgeblieben. Die Stresstests für die US-Banken mögen zu milde gewesen sein, aber es waren immerhin Stresstests, und die Öffentlichkeit konnte sich mit deren Ergebnissen auseinandersetzen. Ein schwacher Banksektor bedeutet weniger Kredite für Mittelständler und weniger Arbeitsplätze; schon die Unsicherheit über die Lage der Banken ist ein Risikofaktor.

Höchste Zeit also, das Tempo in der Bankenpolitik zu beschleunigen. Höchste Zeit auch, zu Beschlüssen über die Neuregulierung der Finanzmärkte zu kommen. Wenn Banken jetzt, um aus der Krise herauszuwachsen, erneut das große Rad drehen und überzogene Risiken eingehen, dann gefährden sie das System zum schlechtesten Zeitpunkt. Höchste Zeit auch, nicht mit unrealistischen Forderungen Normalität vorzutäuschen. Dies ist nicht die Zeit der Steuersenkungen oder der kräftigen Lohnerhöhungen. Die Lage nach dem vorläufigen Ende der großen Krise ist extrem gefährlich. Wenn sich aber alle Beteiligten dieser Tatsache bewusst sind, ist dies immerhin ein erster Schritt zur Abwendung der Gefahr.

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SZ vom 27.08.2009/mel
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