Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:Historischer Rückgang: Deutsche Wirtschaft bricht um fünf Prozent ein

Die deutsche Konjunktur schrumpft 2020 dramatisch. Ökonomen glauben aber trotz des Lockdowns an einen starken Aufschwung in diesem Jahr.

Von Bastian Brinkmann und Alexander Hagelüken

Die deutsche Wirtschaft ist 2020 so stark eingebrochen wie fast noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Corona-Pandemie ließ das Bruttoinlandsprodukt um genau fünf Prozent schrumpfen, meldet das Statistische Bundesamt. Damit endet ein zehnjähriges Wachstum. Ähnlich schlimm war nur die Rezession nach der Finanzkrise 2009. Ökonomen sind aber trotz des erneuten Lockdowns optimistisch, dass dieses Jahr ein starker Aufschwung gelingt.

"Das Jahr 2020 war eine Ausnahmesituation", sagt Veronika Grimm vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, kurz: die Wirtschaftsweisen. Weil Geschäfte dicht waren und vor allem Teile der Industrie stillstanden, brach die Konjunktur im Frühjahr heftig ein. Im Sommer erholte sich die Wirtschaft dann stark. Die Regierung habe schnell und konsequent reagiert, findet die Ökonomin an der Universität Erlangen. "Stabilisatoren wie die Kurzarbeit verhinderten mit den Überbrückungshilfen Insolvenzen und einen Einbruch am Arbeitsmarkt." Das Konjunkturpaket stärke Zukunftsinvestitionen etwa in Klimaschutz und Digitalisierung. Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen gaben knapp 160 Milliarden Euro mehr aus als sie einnahmen. Damit machten sie ein Defizit von 4,8 Prozent der Wirtschaftsleistung - das höchste seit 1995, als der Staat die Schulden der Treuhand übernahm.

Die zweite Corona-Welle und der damit verbundene Lockdown bremsten die Erholung nun wieder etwas, so Grimm. Die Exporte liefen aber weiter sehr gut. "Und die Deutschen konsumieren anders als im Frühjahr viel." Die Ökonomin ist deshalb trotz der erneuten Einschränkungen zuversichtlich. Die seit November geschlossenen Branchen Gastgewerbe, Kultur und Reisen steuerten nur etwa fünf Prozent zur Wirtschaftsleistung bei. Das lasse sich durch staatliche Hilfen, die auch geschlossene Geschäfte bräuchten, für einen längeren Zeitraum abfedern.

Solange die Industrie produziere und die Menschen weiter so konsumierten wie bisher, bremse selbst eine weitere Verlängerung des Lockdowns über Januar hinaus die Erholung zwar weiter ein. "Aber der Effekt dürfte moderat sein." Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) sieht trotz des verlängerten Lockdowns aktuell sogar ein geringeres Risiko für einen neuen Einbruch als im Dezember. Sowohl in der Industrie als auch am Bau legten Produktion und Aufträge kontinuierlich zu. "Lieferketten und Produktion in der Industrie kommen wieder voll in Gang", sagt Grimm. "Wir sollten 2021 bei einem Wachstum von etwa drei Prozent liegen."

Damit wäre ein Großteil des Einbruchs 2020 aufgeholt. Positiv wirkten sich die Vermeidung eines ungeordneten Brexits und die Wahlen in den USA aus: "Präsident Biden plant ein umfangreiches Stimulus-Programm."

Ein weiteres Plus: "Bislang zeigt sich der Arbeitsmarkt erstaunlich robust", sagt Detlef Scheele, Chef der Bundesagentur für Arbeit. "Die Firmen entlassen ihre Fachkräfte nicht, weil sie im Aufschwung Probleme hätten, sie wiederzubekommen. Angesichts der Möglichkeit, mit Kurzarbeit zu überbrücken und der Aussicht auf Impfungen sagen viele Firmen: Wir halten unsere Arbeitnehmer lieber."

Die neuerlichen Schließungen wirkten sich bisher kaum aus. "Erneut von Schließung betroffene Branchen wie zum Beispiel Gastronomie und Tourismus haben bereits im Frühjahr 2020 relativ viel entlassen. Deshalb kommt es hier im Moment nicht zu vielen neuen Entlassungen", so Scheele.

Viele Ökonomen glauben, dass der Staat weiter eine aktive Rolle spielen muss, um in der Corona-Krise entgegenzusteuern. "Damit die positiven Erwartungen eintreffen, muss es mit staatlicher Hilfe weiter gelingen, eine Insolvenzwelle zu verhindern, besonders im stark betroffenen Freizeit- und Gastronomiegewerbe", so IMK-Direktor Sebastian Dullien. Es sei weiterhin sehr wichtig, dass die Pandemie nicht stärker auf Jobs und Konsum durchschlage.

"Aktuell erreichen die Hilfen nicht jeden"

Auch die Wirtschaftsweise Grimm hält die staatlichen Überbrückungshilfen weiterhin für wichtig, solange es Schließungen gibt. "Aktuell erreichen die Hilfen nicht jeden, weil die Programme aufgrund ihres großen Umfangs nicht jedem Einzelfall gerecht werden können."

Mittelfristig werde es Insolvenzen geben, aber auch neue Geschäftsmodelle, so Grimm. "Corona hinterlässt Gewinner und Verlierer." Im Reisesektor und Einzelhandel werde manches Geschäftsmodell nicht mehr funktionieren, weil es weniger Dienstreisen und mehr Onlineshopping geben werde. "Die Herausforderung wird sein: Wann lässt die Politik los?"

Schon 2020 war ja das Jahr der Staatsmilliarden: Kurzarbeitergeld, Kredite, Zuschüsse - all das summierte sich zu Ausgaben, die schwindelig machen können. "Deutschland hat ein historisch großes Konjunkturpaket aufgelegt, aber das ist gerechtfertigt, weil die Krise historisch ist", sagt Lena Dräger von der Universität Hannover.

Steuererhöhungen in diesem Jahr würden den Aufschwung gleich wieder einbremsen

Fast 220 Milliarden Euro darf der Bund zusätzlich an Krediten aufnehmen, entschied der Bundestag im Sommer. 2021 wird es weitergehen mit hohen Neuschulden. Deutschland kann sich das leisten, sagt Dräger: "Die Finanzierungssituation für den Staat ist günstig." Die Zinsen, die Deutschland zahlen muss, sind extrem niedrig oder sogar negativ. Zwar schießen die Staatsschulden jetzt in die Höhe, aber das zu erwartende Wachstum werde in den kommenden Jahren die Schuldenquote wahrscheinlich wieder reduzieren, so Dräger.

Ökonomin Grimm ist dagegen, schon im Wahljahr 2021 über Belastungen wie Steuererhöhungen zu reden. Das würde den Aufschwung gleich wieder einbremsen, der ja signifikant zur Sanierung der Staatsfinanzen beitragen könnte.

Lena Dräger von der Universität Hannover fürchtet wegen der vielen Milliarden von Notenbank und Staat aktuell auch keine erhöhte Inflation. Im Gegenteil: Es drohe momentan eher eine Spirale sinkender Preise. Tatsächlich sind in Deutschland 2020 die Verbraucherpreise mehrere Monate gefallen - zum ersten Mal seit der Finanzkrise 2009.

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