Süddeutsche Zeitung

Kongo:Wenn Maismehl und Seife Luxus sind

Jahrelang war der kongolesische Franc stabil. Jetzt hat er kräftig an Wert verloren. Die Regierung sagt, der Verfall einiger Rohstoffpreise sei schuld.

Von Judith Raupp, Goma

Die Menschen im Ostkongo sind Vieles gewöhnt. Krieg, Armut, Chaos, all das erdulden sie seit Jahrzehnten mit stoischer Ruhe. "Aber jetzt reicht es mir", schimpft Bayomba Muhindo. Der Gymnasiallehrer muss bei Freunden und Verwandten betteln, damit er seine Frau und die vier Kinder ernähren kann. Ausgerechnet der Lehrer geht Klinken putzen. Wie sollen ihn seine Schüler respektieren?

Muhindo plagt ein Problem wie Millionen seiner Landsleute: Den Lohn erhält er in kongolesischen Francs, aber Miete, Kleider und Schuhe muss er mit Dollars bezahlen. Der Franc ist die offizielle Währung der Demokratischen Republik Kongo. Fast alle Geschäftsleute rechnen jedoch in der amerikanischen Währung. Und die ist für die Kongolesen teuer geworden.

Noch vor einem Jahr war Muhindos Monatsgehalt von 100 000 Francs 111 Dollar wert. Jetzt sind es 63 Dollar. Das bedeutet für ihn 43 Prozent weniger Gehalt. Gleichzeitig steigen die Franc-Preise für Mehl, Holzkohle, Seife, Fleisch und Gemüse. Denn die Frauen auf dem Markt müssen die Ware beim Großhändler ebenfalls in Dollar bezahlen.

"In Wahrheit haben wir eine Vertrauenskrise", glaubt Lehrer Katsuva Kisangani

Die Miete frisst inzwischen die Hälfte von Muhindos Einkommen. Er lebt mit seiner Familie in einer Holzhütte ohne fließendes Wasser. Die Regenzeit hat eben begonnen. Zum Glück hat der 30 Jahre alte Kongolese einen Kumpel beim Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen. Der Freund hat ihm eine Plane besorgt, mit der normalerweise Menschen Zelte bauen, die vor Milizen um ihr Leben rennen. Das Plastik hat Muhindo auf die Holzplanken genagelt. Regen und Wind sollen nicht ständig durch die Hütte pfeifen.

Der Französischlehrer isst nur noch am Abend. Er kann sich das Maismehl für drei Mahlzeiten nicht mehr leisten. Er hat Hunger, wenn er vor der Klasse steht, sein Kopf schmerzt. "Dabei sollte ich meinen Kopf zum Denken benutzen", klagt er. Eine Kollegin ist letztens ohnmächtig geworden, weil sie zu wenig gegessen hatte. Vor den Augen der Schüler.

Manche Lehrer streiken. Sie fordern, dass die Regierung einen Wechselkursausgleich bezahlt. Andere erpressen die Schüler. Wenn sie nicht bezahlen, bleiben sie sitzen. "Wo sind wir nur gelandet", fragt Jean-Claude Katsuva Kisangani. Er lehrt Wirtschaft an der Handelshochschule in Goma. Jahrelang war der Franc stabil. Und jetzt diese Abwertung. Die Regierung sagt, der Verfall einiger Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt sei schuld. Daher rühre auch das letztjährige Defizit von 90 Millionen Dollar, immerhin 1,5 Prozent des Staatsbudgets. Kongos Einnahmen stammen überwiegend vom Export seiner Bodenschätze.

"In Wahrheit haben wir eine Vertrauenskrise", glaubt Kisangani. Der Staatspräsident ist ohne Mandat im Amt, weil die Wahl im Dezember 2016 ausfiel. Der ökonomisch versierte Premierminister musste weichen. Demonstrationen für einen Machtwechsel werden niedergeschlagen. Die EU und die USA blockieren deshalb die Devisengeschäfte einiger Politiker, Polizei- und Militärführer.

Der Kongo hat noch Reserven, um die Importe für drei Wochen zu decken. Vor der Krise haben die Devisen durchschnittlich für sechs Wochen gereicht. "Das ist gefährlich. Wir produzieren nichts und sind auf Importe angewiesen", erklärt Ökonom Kisangani. Letztens haben die Tankstellen in der Hauptstadt Kinshasa schon das Benzin rationiert. So etwas gräbt sich ins Gedächtnis der Nation. Die psychologischen Folgen der Wirtschaftskrise hält Kisangani für gefährlich: "Wir bräuchten junge Leute, die Firmen und Arbeitsplätze schaffen. Aber unsere korrupte, ignorante Elite entmutigt ein ganzes Volk."

Die Obsthändlerin Adisa Sifa zum Beispiel ist verzweifelt. Gerade zankt sie mit einem Kunden. 1000 Francs verlangt sie für eine Ananas. Der Mann im Anzug schreit sie an: "Du spinnst wohl, die hat früher die Hälfte gekostet." Schließlich überlässt Sifa dem Kunden die Frucht für 800 Francs. So viel hat sie beim Großhändler bezahlt.

Den ganzen Tag streitet Sifa, versucht den Währungsverlust auszugleichen. Aber viele Kunden laufen weg. Sie bleibt immer öfter auf der Ware sitzen, das Obst verdirbt und sie verdient nichts mehr. Abends kommt sie müde nach Hause. Die beiden Kinder hoffen, dass sie Maismehl für den Brei mitbringt. Meistens werden sie nicht satt. Selbst für Seife reicht es nicht immer. Sparen an Nahrung und Sauberkeit für die Kinder, das fühlt sich für die Mutter an wie komplettes Versagen. Sifa hat nur einen einzigen Wunsch. Irgendwer soll den Franc wieder stärken, so wie es früher war. Bisher ist das der Zentralbank nicht gelungen, obwohl sie Leitzins und Reservesatz für die Geschäftsbanken mehrfach erhöhte. Die Menschen bleiben beim Dollar. Und jeder bastelt seinen persönlichen Kurs.

Passy Mubalama hat letztens Druckerpapier für ihre Menschenrechtsorganisation gekauft. Der eine Händler hat für einen Dollar 1450 Francs berechnet, der andere 1500 Francs, und der Verkäufer von Telefonkarten wollte 1600 Francs. "So bekommen wir das nie in den Griff", schimpft sie.

Mubalama ist Patriotin. Sie hat versucht, die Bücher für ihre Organisation in Francs zu führen. Aber die Geldgeber in den USA haben nicht verstanden, dass der Kurs vom offiziellen Tarif abweicht und innerhalb weniger Minuten variieren kann. Die Amerikaner wären beinahe ausgestiegen. Seither rechnet sie in Dollar.

Noch mehr als die Sorge um die Finanzierung treibt sie allerdings die Angst davor um, überfallen zu werden. So mancher Polizist und Soldat gleicht den Verlust seiner Kaufkraft mit der Waffe aus. "Nach 19 Uhr gehe ich den Uniformierten aus dem Weg", erzählt sie.

Auch Kindesentführungen nehmen in Goma deutlich zu, seit die Wirtschaftskrise begonnen hat. Manche Kidnapper fordern mehrere Tausend Dollar von den Eltern. Letztens haben sie einen kleinen Jungen erwürgt, weil die Familie das Lösegeld nicht aufbringen konnte.

Lehrer Muhindo lebt seither in Panik. Er betet täglich, dass seinen Kindern nichts passiert. Denn er weiß, dass auch er nicht bezahlen könnte.

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Quelle:
SZ vom 11.09.2017
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