Süddeutsche Zeitung

Konflikte im Nahen Osten:Angst vor neuer Ölkrise wächst

Experten sprechen vom "größten geopolitischen Risiko seit dem Irakkrieg": Der Preis für den wichtigen Rohstoff Öl klettert auf den höchsten Stand seit zwei Jahren. Die Finanzmärkte reagieren nervös. Der Syrien-Konflikt könnte die Versorgung der westlichen Industriestaaten gefährden.

Von Andreas Oldag

Der Syrien-Konflikt und der sich abzeichnende Militäreinsatz gegen das Assad-Regime treiben den Ölpreis nach oben. Der Preis für US-Öl der Sorte West Texas (WTI) erreichte am Mittwoch mit 112,24 Dollar den höchsten Stand seit zwei Jahren. Ein ähnliches Bild zeigte sich auch bei dem für europäische Verbraucher wichtigen Preis für Nordsee-Öl (Brent). Die Notierung für ein Barrel (159 Liter) kletterte zeitweilig auf bis zu 117,34 Dollar, rutschte im Laufe des Tages dann etwas ab.

Eine Woche nach dem mutmaßlichen Giftgaseinsatz in Syrien steht ein Militärschlag des Westens gegen das Regime in Damaskus offenbar unmittelbar bevor. Ric Spooner, Chef- Marktanalyst des Brokerhauses CMC Markets, prognostizierte für den Fall eines Militärschlags den Anstieg des Brent-Preises auf bis zu 126 Dollar. WTI werde sich wohl auf bis zu 115 Dollar verteuern.

Obgleich Syrien unter den ölfördernden Staaten nur eine unbedeutende Rolle hat, zieht die politische Krise die Märkte in den Bann. "Die Befürchtungen wachsen, dass es zum worst case kommt und sich der Konflikt auf die gesamte Region ausbreitet", meint Bill Stone, Analyst von der amerikanischen Finanzgesellschaft PNC Asset Management. "Dies ist das größte geopolitische Risiko seit dem Irakkrieg 2003", meint Mike O'Rourke von der US-Investmentfirma Jones Trading.

Krisen und Kriege breiten sich wie Schockwellen an den Märkten aus

Auch Ägypten, das zuletzt die schlimmsten Unruhen seit 60 Jahren erlebt hatte, bereitete den Investoren weiter Kopfschmerzen. Auch das Land am Nil ist kein wichtiger Ölförderer. Anleger fürchteten jedoch, dass die Unruhen auf andere Staaten wie Saudi-Arabien übergreifen. Darüber hinaus ist der Suez-Kanal eine wichtige Transportroute für Rohöl und andere Güter.

Es ist ein in den vergangenen Jahren immer wieder kehrendes Schreckensszenario: Krisen und Kriege in der für die Weltölversorgung strategisch wichtigen Region des Nahen und Mittleren Ostens breiten sich wie Schockwellen an den Märkten aus. Allein die Unsicherheit und die Ängste vor einer möglichen Eskalation lassen den Ölpreis dann steigen. In der Region werden etwa 35 Prozent des weltweit produzierten Öls gefördert.

Analysten sehen in der Syrienkrise besonders Pipelines durch terroristische Angriffe unmittelbar gefährdet. Vor allem aber hängt viel von der politischen Haltung Irans in dem Konflikt ab, dem Verbündeten des Assad-Regimes. Teheran hat in der Vergangenheit wiederholt damit gedroht, die Seestraße von Hormus zu sperren. Der 30 Kilometer breite Wasserweg ist eine der wichtigsten Transportrouten für Tankschiffe aus dem Nahen und Mittleren Osten. Wird sie militärisch blockiert, hätte dies unmittelbare Versorgungsengpässe und einen drastischen Anstieg des Ölpreises zur Folge. Die Auswirkung auf die labile Konjunktur in vielen Industriestaaten wären unkalkulierbar.

Die gesamte Region könnte damit zum Pulverfass werden. Auch die Ölkrise von 1973 wurde durch einen kriegerischen Konflikt ausgelöst: Im Jom-Kippur-Krieg kämpfte Israel gegen Syrien und Ägypten. Die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) reagierte damals mit einem Lieferboykott der westlichen Länder. Mittlerweile verfolgt die Opec unter maßgeblichen Einfluss ihres mächtigsten Mitglieds Saudi-Arabien allerdings eine pragmatische Politik. Saudi-Arabien hat verschiedentlich zu erkennen gegeben, dass es für Lieferausfälle anderer Opec-Staaten in der Region einspringen werde.

Das Nicht-Opec-Mitglied Syrien ist indes nur ein Zwerg unter den großen Produzenten des wichtigen Rohstoffs. Das Land steht für nur 0,4 Prozent der Weltrohölförderung. Das liegt weit unter Ägypten mit einem Anteil von 0,9 Prozent. Während sich die syrische Produktion vor der Krise auf etwa 380.000 Barrel pro Tag belief, sind es Schätzungen zufolge heute nur etwa 20.000 Barrel. Das Assad-Regime ist auf Energie-Importe angewiesen, deren Kosten sich auf monatlich 500 Millionen Dollar belaufen sollen.

Investoren suchen Zuflucht in Gold und Silber

Syrien hält auch die Finanzmärkte rund um den Globus in Atem. Geldanleger flüchten angesichts der drohenden Eskalation verstärkt in "sichere Häfen" . Das macht insbesondere den Aktienmärkten zu schaffen. Der deutsche Leitindex Dax verlor am Mittwoch 1,4 Prozent auf 8131 Zähler, nachdem er bereits am Dienstag 2,3 Prozent eingebüßt hatte. Die Börse in Syriens Nachbarland Türkei verbuchte ein Minus von 2,4 Prozent, nachdem sie am Vortag um knapp fünf Prozent auf den tiefsten Stand seit einem Jahr gefallen war.

Zuflucht suchen die Investoren in Gold und Silber. Gold verteuerte sich um bis zu 1,2 Prozent auf 1433,31 Dollar je Feinunze und notierte damit so hoch wie zuletzt Mitte Mai. Silber folgte dem Goldpreis und kletterte um bis zu 2,5 Prozent auf ein Vier-Monats-Hoch von 25,08 Dollar.

"Unklar ist vor allem, wie Russland und die islamische Welt auf einen Angriff reagieren würden, und das macht nervös", hieß es unter Börsianern. Der Konflikt in Syrien und ein Zurückfahren der Konjunkturhilfen der globalen Notenbanken könnten die Finanzmärkte ins Chaos stürzen, warnte Star-Investor Jim Rogers im Interview mit Reuters Insider. "Wer weiß, was für unbeabsichtigte Folgen uns drohen." Wann immer es in der Geschichte einen Krieg gegeben habe, seien die Preise für Lebensmittel, Energie und Kupfer gestiegen, so Rogers.

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SZ vom 29.08.2013/kjan
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