Süddeutsche Zeitung

Kompromiss in Sicht:EU kommt Versicherern entgegen

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Die Spielregeln aller Assekuranzen könnten sich bald ändern. Die EU geht jetzt bei der Regulierung einen Schritt auf die Finanzkonzerne zu. Das könnte Konsequenzen für Millionen Versicherte haben.

Alexander Hagelüken

Die meisten Deutschen verfügen über eine Lebensversicherung, auf deren Auszahlung sie im Alter hoffen - und andere Policen für ihr Auto oder Haus haben sie natürlich auch noch. Wenn Europa den Versicherern neue Regeln verordnet, kann das die finanzielle Situation von Millionen Bundesbürgern verändern. Deshalb ist es für sie von Interesse, dass es einen Kompromissvorschlag für die neuen Kapitalregeln für Versicherer gibt, um die Regierungen und EU-Parlament seit längerem ringen.

Der zuständige EU-Abgeordnete Burkhard Balz (CDU) schlägt vor, bestehende Versicherungsverträge für sieben Jahre teils vom neuen Gesetz zu befreien. Konkret heißt das: Die Firmen müssten ihre Geldanlagen, aus denen sie am Ende beispielsweise die Lebensversicherung auszahlen, zunächst noch nicht mit so viel eigenem Kapital unterfüttern - sondern die vorgeschriebene Kapitalhöhe erst nach sieben Jahren erreichen.

"Kapitalregeln verhindern einen attraktiven Anlagemix"

Dabei geht es um hohe Summen. So verlangen die neuen Regeln ("Solvency II") nach Angaben aus der Branche, dass für jeden in Aktien investierten Euro bis zu 40 Cent und für Immobilien bis zu 30 Cent Kapital bereitgestellt werden. Versicherungsmanager argumentieren, so hohe Kapitalanforderungen zwängen sie dazu, das Geld ihrer Kunden statt in Aktien, Immobilien oder erneuerbare Energien vor allem in EU-Staatspapiere zu stecken. Für die ist die Kapitalanforderung null, sichere Anleihen werfen aber seit Jahren wegen der Finanz- und Schuldenkrise wenig Zinsen ab - was die Konzerne in Schwierigkeiten mit ihren Kunden bringt, Millionen Deutschen, denen sie bestimmte Ausschüttungen garantieren. Dazu kommt das Ausfallrisiko griechischer oder irischer Staatsanleihen.

"Die Kapitalregeln verhindern einen attraktiven Anlagemix", klagt ein Manager. Brancheneigene Simulationen ergaben, dass die neuen Kapitalregeln 40 Prozent der Lebensversicherer in finanzielle Schwierigkeiten stürzen würden - und jeden zehnten gar in eine Überlebenskrise. Kein Wunder, dass ein hoher Versicherungsmanager den möglichen Kompromiss positiv bewertet: "Eine Übergangsregel für sieben Jahre bringt Zeit. Das ist in der derzeitigen Situation der Finanzmärkte schon ein hohes Gut".

Nun ist die Frage, ob die Regierungen der Atempause zustimmen. Der Abgeordnete Balz forderte die Regierungen am Mittwoch auf, sich in der nächsten Sitzung am 3. Juli endlich auf einen Kompromiss einzulassen: "Dafür wird es höchste Zeit". Die Branche hofft, dass in der gewonnenen Zeit auch die Regeln verändert werden, so dass sie beim Erzielen der Renditen für ihre Kunden aus möglichst vielen Geldanlagen wählen kann, ohne durch die Kapitalanforderungen zu stark gelenkt zu werden.

Die neue Regel soll Versicherer in Krisenzeiten stabilisieren

Grundsätzlicher Gedanke des Solvency-II-Gesetzes ist es, Versicherer zu stabilisieren, so dass sie etwa nicht in einer Finanzkrise pleite gehen, die den Wert ihrer Geldanlagen schmelzen lässt. Dabei hat der Vorschlag auch nach Ansicht der Finanzaufsicht einiger Länder Ungereimtheiten: "Warum müssen Aktien mit 40 Prozent Kapital gepuffert werden, griechische Staatsanleihen aber mit null?" fragt ein Insider. "Solvency-II degeneriert Versicherer zu Staatsfinanzierern", klagt ein anderer.

Angesichts vieler angeschlagener Euro-Staaten ist es nachvollziehbar, dass die Politiker sich das Anlagegeld der Versicherer sichern wollen, die in Deutschland zum Beispiel der mit Abstand größte Investor in der Geldanlage sind. Bei einer so starken Weichenstellung Richtung Anleihen könnte es aber eine Fehlsteuerung geben, die das Geld der Kunden aufs Spiel setzt. Ein weiteres Problem für die Konzerne ist, dass sie ihre Anlagen künftig zu Marktpreisen bewerten sollen - fallen die Kurse, müssen sie Geld abschreiben. Das führt zu Schwankungen und bringt die Bilanzen der Versicherer durcheinander.

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SZ vom 21.06.2012
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