Kompromiss im Europaparlament:Klimagas-Vorgaben für Neuwagen ausgebremst

Die deutsche Autoindustrie bekommt vorzeitig Weihnachtsgeschenke aus Brüssel. Die Grenzwerte für umweltschädliche Klimagase greifen erst später, außerdem können die Hersteller raffiniert mit Elektrofahrzeugen tricksen. Das Europaparlament beugt sich dem Druck der Autolobby und Kanzlerin Merkel.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel

Am Dienstagabend fand in Brüssel das statt, was man eine vorzeitige Bescherung nennt. Die deutsche Autoindustrie erhielt vom Europaparlament den Segen, die ab 2020 gültigen Grenzwerte für umweltschädliche Klimagase später und vor allem auf dem Papier einführen zu dürfen. Einer der Unterhändler freute sich anschließend "über die starke Seite des Europaparlaments, so kompromissfähig zu sein". So kann man das sehen.

Mit der Einigung über das Kleingedruckte zur Einführung der neuen Klimagas-Grenzwerte für Autos hat das Ende Juni von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel eingelegte Veto gegen einen schon fertig verhandelten Kompromiss seine beabsichtigte Wirkung erzielt. Merkel forderte damals die irische Ratspräsidentschaft, die derzeit die Geschäfte der EU führt, auf, die allerletzte, eigentlich nur noch formale Abstimmung über den gerade zu Ende verhandelten Kompromiss über Klimagas-Grenzwerte für Neuwagen sofort von der Tagesordnung zu streichen.

Am Dienstagabend überfuhren die deutschen Autohersteller in Brüssel die erhoffte Ziellinie. Sie schwächten die Einführung des ab 2020 gültigen Grenzwertes von 95 Gramm Kohlendioxid (CO2) je gefahrenen Kilometer, bezogen auf den Durchschnitt der Flotte eines Herstellers, deutlich ab.

Die nach drei Stunden intensiver Verhandlungen erzielte Einigung sieht vor, dass die Hersteller den durchschnittlichen Grenzwert von 95 Gramm CO2 je Kilometer im Jahr 2020 erst mit 95 Prozent der produzierten Wagen erreichen muss. Erst ein Jahr später müssen dann alle Fahrzeuge den Grenzwert erfüllen. Ursprünglich hatte Deutschland zwei Jahre mehr Zeit gefordert, dies lehnte das EU-Parlament allerdings ab. Der zweite Teil der Einigung betrifft die auf die Grenzwerte anrechenbaren technischen Raffinessen und alternativen Antriebe, die von den Herstellern als super-credits subsumiert werden.

Danach können sich die Hersteller zwischen 2020 und 2022 insgesamt 7,5 Gramm CO2 anrechnen lassen, wenn sie dafür eine bestimmte Anzahl von Elektrofahrzeugen oder ähnliches produzieren. Nicht durchsetzen konnten sich die Verfechter der Idee, statt der super-credits die Strafzahlungen für Hersteller, die die Grenzwerte nicht erreichen, langsamer angehen zu lassen.

Laut Autobranche "ein Sieg der Vernunft"

Der im Europaparlament zuständige Berichterstatter und CDU-Politiker Thomas Ulmer freute sich über den Kompromiss. Er sei "eine faire Einigung. Die Autos werden noch einmal deutlich sparsamer und die europäischen Hersteller bleiben Marktführer bei umweltschonenden Fahrzeugen". Worte der Freude fanden auch die deutschen Autohersteller.

In der Branche hieß es, das sei "ein Sieg der Vernunft". Der Abschluss vor Ende 2013 bringe der Autoindustrie "Verlässlichkeit und Planbarkeit". Dass den Herstellern länger Zeit gegeben werde, komme deutschen und französischen Produzenten entgegen. Die super-credits förderten alternative Antriebe. Zugleich verlautete, es sei "bemerkenswert, dass dieser Kompromiss überhaupt zustande gekommen ist".

Tatsächlich hatte die deutsche Autoindustrie den Verhandlungen über die CO2-Grenzwerte lange tatenlos zugeschaut, weil sie die legislativen Vorschriften falsch eingeschätzt hatte. Erst in letzter Minute fiel in der Vorstandsetagen in Stuttgart, Wolfsburg und München die Gefahr auf, die von den neuen Klimagesetzen drohte. Sie baten deshalb Kanzlerin Merkel zu intervenieren und die Sache aus ihrer Sicht gerade zu rücken. Was am Dienstag gelang.

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