Finanzpolitik:Das Steuersystem wird noch komplexer

Tesla Giga Factory Gruenheide Gruenheide, DEU, 19.10.2020 - Luftbild Baustelle Tesla Gigafactory 4, im Ortsteil Freienb

Blick auf die Tesla-Baustelle 2020: Ob Firmen in einem Land investieren, hängt auch davon ab, wie komplex sie das Steuersystem des Standorts finden.

(Foto: Jochen Eckel/Imago)

Der internationale Kampf gegen Steuervermeidung ist wichtig. Doch er hat einen unerwünschten Nebeneffekt.

Gastbeitrag von Caren Sureth-Sloane

Gegen unerwünschte Steuervermeidung gibt es ein Bündel von Maßnahmen und nun zudem den internationalen Schulterschluss für neue globale Steuerverteilungsregeln und eine globale Mindeststeuer. Das eindrucksvolle Ergebnis: ein Konsens über eine neue internationale Steuerordnung. Ein Vorstoß, der als großer Schritt in die richtige Richtung gewertet werden kann - im Kampf für eine Besteuerung am Ort der Wertschöpfung, gegen Steuervermeidung und für international einheitliche Steuerregeln. Doch leider bringt der globale Vorstoß ein großes Problem mit sich.

Denn wer international einheitliche Regelungen verabschieden möchte, muss sich über vieles einig werden, zum Beispiel über eine Definition von Gewinnen und Umsätzen. Das ist nicht einfach, denn die neue Steuerordnung muss unterschiedlichen steuerlichen Realitäten in verschiedenen Ländern gerecht werden. Hinzu kommt: Steuerliche Anknüpfungspunkte und Schwellenwerte, die definieren, was und wer von den neuen Regeln betroffen ist, müssen mit neuen Entwicklungen etwa bei Geschäftsmodellen Schritt halten. Daher werden sie auch künftig regelmäßig neu ausgehandelt werden müssen.

Finanzpolitik: Caren Sureth-Sloane ist Professorin für betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Universität Paderborn und Sprecherin des DFG-Sonderforschungsbereiches "Accounting for Transparency".

Caren Sureth-Sloane ist Professorin für betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Universität Paderborn und Sprecherin des DFG-Sonderforschungsbereiches "Accounting for Transparency".

(Foto: oh)

Das Ergebnis: immer wieder Kompromisse und Unschärfen. Die Folge: komplexe steuerliche Regelungen und Rahmenbedingungen. Selbst bei bester Absicht ist es nicht einfach, diese komplexen Regelungen zu befolgen und die steuerlichen Pflichten zu erfüllen. Damit steigt auch die Unsicherheit, welche Steuerlasten auf die Unternehmen zukünftig zukommen. Das ist schlecht für Investitionen.

Die Entwicklungen der vergangenen Jahre verdeutlichen, dass das Steuersystem bereits jetzt als zunehmend komplex eingestuft wird. Das bestätigt der "Global MNC Tax Complexity Survey", in dem alle zwei Jahre Steuerexpertinnen und -experten befragt werden. Die jüngsten Auswertungen zeigen, dass in 58 von 110 Ländern die allgemeine Steuerkomplexität für multinationale Unternehmen gestiegen ist. Obwohl Steuersicherheit und -vereinfachungen seit Langem oben auf der Agenda der Staaten stehen, ist der Anstieg der Steuerkomplexität in vielen Ländern, auch in Deutschland, ein Trend, der sich nun schon über etliche Jahre fortsetzt.

Die Befragung identifiziert den weltweit komplexesten Bereich steuerlicher Regulierung erneut klar: die steuerlichen Verrechnungspreise. Multinationale Konzerne brauchen diese, um Güter und Dienstleistungen zwischen Konzerntöchtern abzurechnen. Wenn sich also zum Beispiel die Marketingabteilung in Land A eine Werbekampagne für das Produkt ausdenkt, das in Land B gebaut und verkauft wird - dann stellt die Konzerngesellschaft aus A der Tochtergesellschaft in B die Werbekampagne intern in Rechnung. Solche Verrechnungspreise bestimmen maßgeblich, wie steuerliche Gewinne eines Konzerns zwischen Staaten aufgeteilt werden.

Die Komplexität, die von Verrechnungspreisen ausgeht, ist das Resultat von vielem. Von Mängeln bei der Entwicklung neuer Regulierung, die zu Uneindeutigkeiten führen, von uneinheitlicher Regelanwendung und damit inkonsistentem Handeln der beteiligten Staaten. Dazu kommen zunehmend umfassendere Dokumentationspflichten und die Unklarheit, wie diese aggregierten Informationen die Beurteilung steuerlicher Sachverhalte ändern. So entstehen immer wieder Streitigkeiten zwischen den Unternehmen und Steuerbehörden. Streitigkeiten sind problematisch, auch weil die lange Zeit bis zur Beilegung als einer der wichtigsten Komplexitätstreiber angesehen werden. Wenn Streit nicht geschlichtet werden kann oder dessen Beilegung sehr aufwendig ist, kommt es zu einer Doppelbesteuerung und damit zu Zusatzbelastungen für die betroffenen Unternehmen.

Steuerliche Risiken können mitentscheiden, wie attraktiv ein Land als Standort ist

Obwohl steuerliche Sicherheit und die Vermeidung von Doppelbesteuerung für die Konstrukteure der neuen Steuerordnung besonders wichtige Ziele sind, ist unklar, wie diese Ziele letztlich verlässlich erreicht werden können. Steuerliche Verrechnungspreise werden auch künftig benötigt. Unklar ist, wie die neuen Regeln hierzu konkret aussehen werden. Etwa, auf welche Detailregeln man sich zur Bestimmung des Steueranteils eines Landes einigen wird, in dem grundlegende Marketing- und Vertriebsaktivitäten stattfinden, aber in dem nach herkömmlicher Rechnung wenig Gewinn anfällt. Dies birgt vor allem für digitale Geschäftsmodelle enorme Risiken. Unklar ist zudem, wie solche Staaten, die bisher mangels steuerlicher Anknüpfung nicht an Betriebsprüfungen mitgewirkt haben, Prüfungsprozesse und damit die Steuerlasten für Unternehmen verändern werden.

Wie Unternehmen die steuerliche Komplexität und die steuerlichen Risiken in bestimmten Ländern wahrnehmen, kann letztlich mit darüber entscheiden, wie attraktiv ein Land als Unternehmensstandort ist. In internationalen Studien zeigt sich, dass insbesondere komplexe Steuererklärungsprozesse und Betriebsprüfungen mit einer ungünstigen Einschätzung des Investitionsstandortes einhergehen.

Komplexe steuerliche Regeln haben nicht nur für die großen multinationalen Unternehmen Folgen, sondern auch in der Breite, etwa für kleinere und mittlere Unternehmen. Eine deutschlandweite Studie zeigt, wie insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen in Deutschland über Steuerkomplexität denken: Rund 90 Prozent der Befragten empfinden das deutsche Steuersystem als zu komplex. Dass diese Einschätzung unmittelbare Auswirkungen auf unternehmerisches Handeln haben kann, legt die Studie ebenfalls nahe. Etliche Befragte gaben an, dass ihre Investitionstätigkeit durch den hohen steuerlichen Verwaltungsaufwand und die hohe steuerliche Komplexität gehemmt wird.

Um gerade in der jetzigen teilweise angespannten Situation ein gutes Umfeld für Unternehmen zu schaffen und sicherzustellen, dass stützende und stimulierende steuerliche Maßnahmen auch wirken, sind verlässliche Rahmenbedingungen, Streitschlichtungsmechanismen sowie Vertrauen in den Staat wesentlich. Steuersicherheit muss damit ein zentraler Bestandteil von Reformen sein. Die anstehenden Veränderungen der internationalen Besteuerung und deren nationale Umsetzung werden zumindest kurzfristig weitere Unsicherheiten und Bürokratiekosten mit sich bringen. Auf dem Weg zu und als Kern einer besseren Steuerordnung sind daher eine einheitliche Implementierung der neuen Regeln sowie effektive und einfache Wege der Vorabklärung und Streitschlichtung unverzichtbar - auf Ebene der Einzelstaaten und supranational.

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