Fachkräftemangel:Kommunen suchen händeringend nach Personal

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Zusteigen, bitte: Deutsche Kommunen suchen dringend nach Personal, vom Müllwerker bis zum Baudezernenten. (Foto: Stephan Rumpf, SZ-Collage)
  • Genauso wie Unternehmen suchen auch viele Kommunen nach gut ausgebildetem Personal.
  • Mehr als 800 000 Stellen in den Gemeinden könnten in absehbarer Zeit unbesetzt sein.

Von Uwe Ritzer

Sie ahnten früher als andere, dass ihnen bald die Leute ausgehen werden. Also sammelten sie Daten über ihre Stadt, analysierten Prognosen über deren wirtschaftliche und demografische Entwicklung, rechneten ihren künftigen Personalbedarf hoch und kamen zu einem klaren Ergebnis: Sie werden einiges tun müssen.

Jedes Jahr wächst das oberbayerische Ingolstadt um 1200 Einwohner, aktuell leben hier 137 400 Menschen, die Zahl der Arbeitsplätze liegt nur knapp darunter. "Für uns bedeutet dieses Wachstum Straßen und Schulen planen und bauen, neue Wohn- und Gewerbegebiete erschließen, die Verkehrsentwicklung lenken und insgesamt für eine leistungsfähige Infrastruktur sorgen", sagt Christian Siebendritt, Personalchef im Ingolstädter Rathaus. Die Sache ist nur: Für all das braucht es genug Leute.

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Genau die fehlen immer mehr Gemeinden, Städten und Landkreisen in Deutschland. Und zwar nicht nur in wirtschaftlichen Boom-Regionen wie dem Audi-Standort Ingolstadt, wo der Arbeitsmarkt seit Jahren leer und das allgemeine Lohnniveau hoch ist.

Inzwischen klauen sich die Kommunen das Personal schon untereinander

In der freien Wirtschaft klagt man seit Jahren über den Fachkräftemangel. Mindestens genauso dringend suchen aber auch die deutschen Kommunen nach gut ausgebildetem Personal - und vor allem nach Auszubildenden. Ob klassische Verwaltung, Bauamt, IT-Administration, Friedhofswesen, Müllabfuhr, Jobcenter, Stadtreinigung, Wasserwerke oder Kläranlagen - in nahezu allen Sparten fehlen Leute. Selbst attraktive Führungsposten sind immer schwerer zu besetzen.

Wie dramatisch sich die Lage zuspitzt, das zeigen Zahlen, die der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) im Juli veröffentlicht hat. Gemeinsam mit der Unternehmensberatung Publecon fragte er die personelle Lage in fast 500 Rathäusern ab und verglich die Ergebnisse mit denen einer ähnlichen Erhebung aus dem Jahr 2012. Das Ergebnis ist alarmierend. "Vor allem bei IT-Fachkräften, Absolventen von Ingenieurstudiengängen, Erziehern, Technikern sowie Meistern in technischen Berufen wird ein Rückgang der Bewerberzahlen beklagt", fasst Publecon-Unternehmensberater Thomas Helmke die Lage zusammen.

Mehr als 800 000 Stellen in den Kommunen könnten in absehbarer Zeit unbesetzt sein, schreibt die DStGB-Fachzeitschrift Kommunal und warnt vor einem "Kollaps der Kommunalverwaltungen". In den kommenden zehn Jahren geht etwa ein Drittel der Beschäftigten in Gemeinden, Städten und Landkreisen in den Ruhestand. Gleichzeitig bewerben sich immer weniger junge Leute um eine Ausbildung. "Für die zweite und dritte Qualifikationsebene bekommen wir kaum noch Leute", klagte Münchens Personalreferent Alexander Dietrich bereits 2018 auf einer SZ-Veranstaltung. "Zunehmend schwierig" werde es auch, gute Juristen zu bekommen. Die würden von großen Kanzleien aufgesogen, "bei denen die Bezahlung höher ist".

Fehlen die Experten verzögern sich die Verfahren

Die Juristerei spielt aber naturgemäß eine zentrale Rolle in Behörden, die Gesetze vollziehen und anwenden sollen. Fehlen die Experten, verzögern sich die Verfahren. Bürgerinnen und Bürger bekommen den Personalmangel aber auch immer häufiger in ihrem unmittelbareren Lebensumfeld zu spüren. So offenbarten die zurückliegenden heißen Wochen das Fehlen von Bademeistern; mancherorts müssen Freibäder deshalb geschlossen bleiben.

Trinkwasser kommt zwar allenthalben aus den Hähnen, doch gibt es immer weniger Fachkräfte, die in den kommunalen Wasserwerken für eine reibungslose und hygienisch einwandfreie öffentliche Versorgung da sind. So schlug beim diesjährigen "Tag des Wassers" der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfachs Alarm: 2018 hätten in Bayern lediglich 60 Lehrlinge ihren Abschluss als Wasserversorgungstechniker absolviert, was viel zu wenig sei angesichts von 3300 Wasserversorgern allein im Freistaat.

Auch bei manchen Berufsfeuerwehren, auf Recyclinghöfen und bei der Müllabfuhr fehlen Leute. Und während Kommunen den politischen Forderungen nachkommen und immer mehr Kindertagesstätten bauen, finden sie nach deren Fertigstellung nicht genügend Erzieherinnen und Erzieher. Trotz voller Kassen in reichen Regionen geraten Investitionen ins Stocken, weil Bauämter chronisch unterbesetzt sind. Auch Stadtbaumeister sind ein rares Gut: Die Stadt Köln suchte länger als ein Jahr nach einem Baudezernenten.

Die Personalnot spitzt sich vor allem in Ballungsräumen zu. Gesucht wird vom Bestattungsordner bis zum hochqualifizierten Akademiker alles, was die kommunale Job-Palette hergibt. Damit einhergeht auch ein verschärfter Konkurrenzkampf unter den Kommunen. Selbst Kleinstadt-Bürgermeister beklagen hinter vorgehaltener Hand, nicht nur Firmen, sondern auch Nachbarkommunen würden ihnen Fachkräfte abwerben. Dabei, sagen sie, wäre das früher allein im Sinne des nachbarschaftlichen Friedens ein Tabu gewesen.

Langweilig, verschnarcht, bürokratisch

"Früher", sagt Daniel Hachay aus der Leitung des Nürnberger Personalamtes, "hat es auch gereicht, wenn wir in der Lokalzeitung Stellenanzeigen geschaltet haben. Dann kamen genug Bewerbungen, wir fischten einige Bewerber raus, luden sie zum Vorstellungsgespräch ein und besetzten die Stelle." Und heute? "Müssen wir viel mehr tun und vor allem dorthin gehen, wo die möglichen Bewerber sind."

Die beiden größten Nachteile der Kommunen im Duell mit der freien Wirtschaft: Geld und Image. Jobs im öffentlichen Dienst gelten vielen jungen Leuten generell als langweilig, verschnarcht, bürokratisch und starr, was Tätigkeitsfelder, Arbeitsumfeld und Karrierechancen angeht. Ein Vorurteil, sagen Hachay und andere Rathaus-Personaler, aber auch ein Ansporn, um beispielsweise über flexiblere Arbeitsformen auch in Kommunalbehörden und -betrieben nachzudenken. Zumal das Argument, Jobs dort seien krisenresistent und sicherer als in der freien Wirtschaft, in Zeiten des allgemeinen Fachkräftemangels nicht wirklich weiterhilft.

Stattdessen erweisen sich die starren Regeln und das Gehaltsniveau im öffentlichen Dienst immer mehr als Problem. Ingolstadt zahlt Ingenieuren freiwillig übertarifliche Zulagen, "weil wir sonst unsere Ingenieure nicht halten könnten und keine neuen bekommen würden", sagt Personalreferent Siebendritt. Ärmere Kommunen können sich solche Bonus-Zahlungen hingegen nicht leisten. Auch der von Politikern und Bürgern latent eingeforderte Spardruck setzt Grenzen. Experten wie Klaus Geiger, Organisationsreferent beim bayerischen Landkreistag, sehen auch den Gesetzgeber gefordert. Um den Einstieg zu erleichtern und attraktiver zu machen, müssten "die Vorschriften für die Personaleinstellung und -auswahl dringend auf den Prüfstand und an die neuen Gegebenheiten des Arbeitsmarktes angepasst werden", sagt er.

In Bonn versuchen sie es mit Imagepolitur

Einige Kommunen wollen darauf nicht warten und nehmen zum Teil viel Geld in die Hand, um das Problem systematisch anzugehen. Sie warten nicht einfach wie früher auf Bewerbungen, sondern rekrutierten ihre Nachwuchskräfte aktiv in Schulen und bei Job-Messen, im Internet und dort vor allem über soziale Medien. Da werden schon mal "Wuppertalente" (in Wuppertal) gesucht oder besondere Werbekampagnen ausgerollt. Wie in Bonn. 200 000 Euro investierte die Stadt in die Aktion "Bonn macht Karriere", bei der etwa der Klärwart als "Klarspüler", der Forstamtsmitarbeiter als "Waldmeister" und die angehende Verwaltungswirtin als "Datenträgerin" auftreten. Motto von alledem: Schaut her, so fad ist unsere Arbeit nicht, wir sind flexibel und modern. Was Daniel Hachay vom Nürnberger Personalamt auffällt: "Viele Jugendliche suchen Sinnhaftigkeit in dem, was sie tun." Für die Kommunen sei das eine Chance, schließlich würden sie Menschen in ihrem Alltag auf vielfache Weise unterstützen.

Gute PR-Aktionen allein reichen allerdings nicht. Immer mehr Kommunen lockern eigenmächtig die starren Regeln und bieten beispielsweise Betriebswirtschaftsstudenten ganz unkonventionell eine Zusatzqualifikation an, um sie quasi im Schnellkurs für Verwaltungsjobs fit zu machen. Um auch in Zukunft Fachingenieure zu bekommen, kooperiert Ingolstadt mit einer Hochschule und stellt Studenten bereits während ihres Studiums gegen Festgehalt an. Dank einer anderen Kooperation mit einer Fachakademie können sich Abiturienten unter bestimmten Bedingungen statt in fünf in nur drei Jahren zur Erzieherin oder zum Erzieher ausbilden lassen.

"Wir verfolgen eine Drei-Säulen-Strategie", sagt Ingolstadts oberster Personaler Siebendritt: Eigenes Personal halten, neues rekrutieren - und die Digitalisierung ausbauen. Letzteres ist ein guter Vorsatz, denn andere Länder sind weiter, was die Online-Abwicklung einfacher Behördenvorgänge angeht. Dabei ließe sich so Personal einsparen, das an anderer Stelle eingesetzt werden könnte. Digitalisierung kann Personalnot lindern, ein Allheilmittel dagegen ist sie aber nicht. Manches bespricht man als Bürgerin oder Bürger nämlich lieber mit einem leibhaftigen Menschen im Rathaus oder in der Kreisverwaltung. Sofern sie denn noch da sind.

© SZ vom 10.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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