Süddeutsche Zeitung

Kommunale Finanzen:Blackout im Rathaus

In Deutschland stehen Dutzende Stadtwerke am Abgrund. In Gera melden nun die ersten kommunalen Stadtwerke Insolvenz an. Weil die auch Busse und Bahnen betreiben, droht dort Stillstand. Die Gründe der Krise liegen nicht nur in der Energiewende.

Von Markus Balser, Berlin

Einen solchen Brief hat in Deutschland bislang noch kein Mitarbeiter eines Stadtwerks von seinem Chef bekommen: In besorgtem Ton warnte Ralf Thalmann, Leiter der Geraer Verkehrsbetriebe, Ende vergangener Woche vor dem Undenkbaren. Man sei sich nicht sicher, ob die Stadtwerke-Holding weiter für den Betrieb von Bussen und Bahnen zahle. Für den Kauf von Kraftstoffen etwa oder die Auszahlung von Löhnen aber sei man auf das Geld der Konzernmutter angewiesen. Im Klartext: Im ostdeutschen Gera droht Stillstand. Die 100 000-Einwohner-Stadt im Osten Thüringens wird zum Schauplatz einer bundesweiten Premiere. Mit der Stadtwerke Gera AG muss das erste deutsche Stadtwerk Insolvenz anmelden. Ein Sprecher der Stadt betonte zwar, bislang sei nur die Holding betroffen, die Versorgung der Bürger werde aufrecht erhalten. Die Stadt räumte aber ein, dass auch operative Töchter in die Insolvenz gezogen werden könnten.

Damit wird erstmals ein Szenario real, vor dem seit Wochen Politiker und Verbände warnen. Denn immer mehr deutsche Stadtwerke geraten in finanzielle Schieflage. Die Krise der Energiebranche kommt mit voller Wucht bei den Stadtwerken an. Auch kommunale Unternehmen verdienen wegen des radikalen Preisverfalls auf dem Strommarkt immer seltener noch Geld mit ihren Kraftwerken. Yvo Gönner, Chef des Stadtwerkeverbands VKU, schlug schon mal Alarm: "Für die Wirtschaftlichkeit der Stadtwerke ist die Lage eine Gefahr. Vielen drohen Löcher in der Bilanz." Noch deutlicher wird Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD). Die Lage sei dramatisch. Er habe in den vergangenen Wochen viele Gespräche mit Vertretern der Stadtwerke geführt. Meist sei sehr schnell deutlich geworden, dass viele Unternehmen mit dem Rücken zur Wand stehen. Die Folgen der Schieflagen treffen viele Städte hart. Kaum eine Stadt spricht offen darüber. Landauf, landab aber sind Stadtkämmerer in heller Aufregung und müssen Kapital nachschießen, das teils auch die klammen Kommunen, die hinter den Versorgern stehen, gar nicht haben. Damit fehlen ihnen Mittel, auf die sie angewiesen sind, um wie im Fall Gera den öffentlichen Personennahverkehr zu finanzieren.

Keine Rücklagen wegen Prestigeprojekten

Anlass für den Insolvenzantrag war auch in Gera offenbar eine Fehlkalkulation bei der Stromproduktion. Die Stadtwerke müssen eine Wertberichtigung in Höhe von 18 Millionen Euro auf ein Gaskraftwerk vornehmen.

Doch der Fall Gera macht auch klar: Die finanzielle Schieflage vieler kommunaler Konzerne hat Gründe, die über die Folgen der Energiewende hinausgehen. In Gera etwa seien etwa die Verkehrsbetriebe defizitär, vor allem dieser Tochter und der Betreibergesellschaft des Geraer Flughafens drohten die Pleite, heißt es aus Kreisen der Stadtwerke. Die Holding habe kaum Rücklagen gebildet. Die Stadtwerke hätten etwa im Verkehrsbereich Prestigeprojekte finanziert, die nicht gebraucht würden, klagen Kritiker. Die Gesellschaftsstruktur sei enorm komplex und von kommunalen Befindlichkeiten geprägt.

Neuland betritt mit der Pleite des ersten deutschen Stadtwerks nun auch der Münchner Insolvenzverwalter Michael Jaffé. Das Amtsgericht Gera hatte ihn mit der vorläufigen Insolvenzverwaltung beauftragt. Er sei bereits seit Samstag mit einem Team in Gera, heißt es aus der Stadtwerwaltung. Jaffé hatte sich zuvor mit komplexen Wirtschafts-Verfahren wie der Pleite des Medienimperiums von Leo Kirch oder der Insolvenz des Chipherstellers Qimonda einen Namen gemacht.

Gera steht nicht allein. So stellten die Stadtwerke Ulm 2012 die Zahlungen an die Stadtkasse ein, allerdings ohne Insolvenz anzumelden. Auch in Städten wie Darmstadt oder Aachen sieht es nicht viel besser aus. Zum Problem wird der Fall vieler Stadtwerke vor allem für die klammen Kommunen in Nordrhein-Westfalen, von denen viele über ihre Stadtwerke Großaktionäre des Energiekonzerns RWE sind. Die Kommunen treffen damit nicht nur die Probleme der eigenen Versorger, sondern auch noch der Niedergang von Deutschlands zweitgrößtem Stromerzeuger RWE. Das im Bergbau verwurzelte Unternehmen gehört traditionell zu 25 Prozent kommunalen Eigentümern wie Dortmund, Bochum oder Gladbeck. Die sinkende Dividende und der rapide Kursverfall der Aktien reißen immer tiefere Löcher in die kommunale Haushalte. Vielen Ruhrgebietsstädten droht deshalb ein Finanzdesaster.

RWE-Schwäche bringt Kommunen in Not

Wer das Ausmaß begreifen will, muss nur Essens Oberbürgermeister Reinhard Paß (SPD) zuhören. Die Stadt, mit etwa 20 Millionen Aktien einer der größten kommunalen RWE-Aktionäre. Nun muss sie den jahrelang gefallenen Wert der Aktien in ihren Büchern korrigieren. Die Neubewertung lässt die klamme Ruhrgebietskommune mit einem Schlag in der Bilanz um fast 700 Millionen Euro ärmer dastehen. Sie verliert so fast ihr gesamtes Eigenkapital. Zum Jahresende rechnet die Stadt mit roten Zahlen. Das Minus soll dann bei 18,6 Millionen Euro liegen, 2016 bei über 50 Millionen Euro.

Weil ihr Geschäftsmodell nicht mehr stimmt, wünschen sich viele Kommunen Hilfe aus Berlin, vor allem für ihre unrentablen Kraftwerke. Doch die Insolvenz in Gera könnte noch einen anderen Stein ins Rollen bringen: Eine Überprüfung des Finanzgebarens vieler Stadtwerke.

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SZ vom 02.07.2014/jasch
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