Kommentar:Wohnen ist die soziale Frage in Deutschland

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(Foto: Bernd Schifferdecker)

Bezahlbarer Wohnraum ist nicht irgendeine Ware. Es geht um ein Menschenrecht. Und ob das für Millionen nur noch auf dem Papier steht, kann man nicht allein dem Angebot und der Nachfrage auf dem Markt überlassen.

Von Thomas Öchsner

Ja, das möchste. Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße, schöner Aussicht, ländlich-mondän, vom Badezimmer die Zugspitze zu sehn - aber abends zum Kino hast dus nicht weit." So spottete der Schriftsteller Kurt Tucholsky 1927 in seinem Gedicht "Das Ideal" über Berliner Wohn- und Lebensträume: Irgendwas fehlt dabei immer. Heute, gut 90 Jahre später, wären schon viele damit zufrieden, wenn sie überhaupt eine bezahlbare Wohnung finden würden. Die Wohnungsnot, das zeigt auch das SZ-Projekt #MeineMiete, ist zu der sozialen Frage in Deutschland geworden.

Viele Menschen können sich weder die Miete und erst recht nicht den Kauf einer Wohnung in den Ballungszentren leisten. Die steigenden Wohnkosten werden zum Armutsrisiko, jetzt schon und erst Recht im Alter. Sie verstärken die Ungleichheit im Land und die Kluft zwischen denen, die Wohneigentum haben oder erben und denjenigen, die lebenslang zur Miete wohnen. Bezahlbarer Wohnraum ist jedoch nicht irgendeine Ware. Es geht um ein Menschenrecht. Und ob das für Millionen nur noch auf dem Papier steht, kann man nicht allein dem Markt überlassen.

Nun gibt es kein Patentrezept, um das Wohnungsproblem zu lindern oder gar zu lösen. Geschraubt werden muss dafür an verschiedenen Stellen. Man könnte zum Beispiel denjenigen, die bauen, nicht mehr mit deutscher Regelungswut alles bis ins letzte Detail vorschreiben, das macht das Bauen immer teurer. Es muss, so wie geplant, wieder mehr Geld in den sozialen Wohnungsbau fließen. Die Bundesregierung sollte sich nicht davon abhalten lassen, die bislang wenig wirksame Mietpreisbremse zu verschärfen. Und auch die Kommunen können mehr tun, etwa Baufachleute einstellen, um Bauprojekte schneller auf den Weg bringen zu können. Oder, wie in vielen Städten längst üblich, Wohngenossenschaften unterstützen und die Vergabe von Bauland an privaten Investoren daran knüpfen, dass diese teilweise günstigen Wohnraum zur Verfügung stellen.

Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass damit oft nur an Symptomen der Misere herumgedoktert wird. Am Grundproblem ändert sich nichts: In den gefragten Städten fehlt das Bauland. Und in der sterbenden Provinz, wo das Wohnen noch günstig sein kann, fehlen die Arbeitsplätze, was die Landflucht verstärkt.

Schon lange nötig ist deshalb eine Reform des Bodenrechts. Die exorbitant gestiegenen Grundstückspreise sind der Hauptgrund, warum das Bauen und Wohnen so teuer geworden ist. Für Eigentümer in den Städten ist es oft besonders lohnend, Grund und Boden liegen zu lassen und darauf zu warten, dass ihre Grundstücke immer teuer werden. Solche Spekulationsgewinne muss die Bundesregierung endlich spürbar besteuern. Stattdessen lässt sie die Investoren leistungslos reich werden. Dabei steht im Grundgesetz: "Eigentum verpflichtet." Und in der bayerischen Verfassung heißt es klipp und klar: "Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeit- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen."

Auch der fürs Bauen zuständige Minister in Deutschland darf das gerne noch einmal nachlesen. Er heißt übrigens Horst Seehofer. Sollte der Noch-CSU-Vorsitzende die Flüchtlinge und die Landtagswahlen in Bayern irgendwann nicht mehr zum größten Problem der Nation heraufbeschwören, hätte er ja Zeit, sich der Wohnungsnot anzunehmen.

© SZ vom 20.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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