Flüchtlingshilfe:Deutschland braucht mehr Geld - und endlich eine Vision

Finanzminister Wolfgang Schäuble

Finanzminister Wolfgang Schäuble Schäuble hat bereits rund zehn Milliarden Euro für die Versorgung der Flüchtlinge zur Seite gelegt - aber das wird nicht reichen.

(Foto: dpa)

Der Staat muss Milliarden für die Integration von Flüchtlingen ausgeben. Es gibt verschiedene Vorschläge, wie er das finanzieren soll. Nur über eine Idee spricht niemand.

Kommentar von Marc Beise

Schreckliche Sache das: Auf Deutschland kommen, wissen die Experten, ungeplante Milliardenausgaben zu, für die Versorgung der Flüchtlinge und ihre Integration. Auch Abschieben ist teuer, und die Aufrüstung der Sicherheitsbehörden erst recht. Gut, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, dieser Fuchs, dafür bereits rund zehn Milliarden Euro zur Seite gelegt hat. Die hatte er beim Haushalt 2015 überraschend mehr in der Kasse. Nur leider, leider reicht es nicht. Die Kosten kann man auf rund 25 Milliarden Euro pro Jahr taxieren, schon im laufenden Jahr 2016, und noch einmal 2017.

Das ist viel Geld, keine Frage, und entsprechend groß ist die Aufregung. Nun wird eifrig diskutiert, woher das Geld kommen soll. Die einen fordern Steuererhöhungen oder gleich eine ganz neue Steuer, einen Flüchtlingssoli. Die anderen wollen eine europäische Benzinsteuer einführen. Tanken für Flüchtlinge, darauf muss man auch erst mal kommen. Manchen würde es schon reichen, wenn der Staat wieder (mehr) Schulden machen würde. Das ist unter Schäuble ja ein bisschen aus der Mode gekommen.

Umverteilen heißt immer auch kürzen - und das mögen die Bürger nicht

Niemand aber kommt auf die Idee, dass man das Geld durch Umschichtungen bei den Ausgaben organisieren könnte. Das ist insofern erstaunlich, als ausgerechnet Deutschland, dieses einzige wirklich prosperierende Land inmitten europäischer Problemwirtschaften, so gut dasteht wie nie zuvor. Dank der guten Konjunktur und der florierenden Wirtschaft sprudeln die Steuereinnahmen. Eine Rekordzahl an Beschäftigten füllt die Kassen der Sozialversicherungssysteme, die niedrige Arbeitslosigkeit hält die Abflüsse im Zaum. Und alles zusammen, garniert mit der lockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank in Frankfurt, beschert Deutschland an den internationalen Finanzmärkten eine Bonität, die das Geldleihen angesichts niedrigster Zinsen zum reinen Vergnügen macht. In derart guten Zeiten, denkt man, müsste es möglich sein, Geld abzuzweigen für Zukunftsaufgaben wie die Integration von Flüchtlingen.

Dummerweise aber heißt umverteilen immer auch kürzen. Was dem einen gegeben wird, muss dem anderen genommen werden. Politiker machen das nicht gerne, weil Bürger das nicht mögen. Es lebt sich halt gemütlicher, wenn man aus dem Vollen schöpft. Haushaltskürzungen, heißt es dann, kämen nicht infrage, weil sie eine Neiddebatte nach sich zögen: Wegen der Flüchtlinge müssen wir Einheimische jetzt den Gürtel enger schnallen - dieses Signal sei angesichts der ohnehin aufgeheizten Stimmung fatal.

Ein einfaches "Wir schaffen das" reicht nicht mehr

An dieser Sichtweise allerdings ist die Politik parteiübergreifend selbst schuld. Wer nämlich tagein, tagaus vor allem die Probleme betont, muss sich nicht wundern, wenn diese negative Sicht von den Bürgern aufgegriffen wird. Nicht einmal die Kanzlerin ist über ihr wie ein Mantra vorgetragenes "Wir schaffen das" herausgekommen. Sie bemüht sich vor lauter Krisenmanagement nicht wirklich, mit großer Geste eine positive Vision zu formulieren. Damit macht sie denselben Fehler wie ihr Vorgänger Gerhard Schröder, der die sinnvolle "Agenda 2010" selbst kleinredete, indem er die sozialen Kürzungen für unausweichlich erklärte, aber sich nicht die Zeit nahm, die Zusammenhänge zu erklären, die letztlich zu mehr Wachstum und Wohlstand führen sollten - und geführt haben.

Heute gilt: Die vielen Flüchtlinge sind zunächst vor allem eine Last, gesellschaftlich und wirtschaftlich. Wenn man aber ein wenig weiter in die Zukunft blickt, kann man sie als Chance sehen, als Bereicherung, als Auffrischung des in die Jahre gekommenen Wirtschaftssystems. Wenn das verstanden ist, dann gibt es sich leichter Geld aus für Spracherwerb, Aus- und Weiterbildung; es "rechnet" sich ja.

Schwieriger ist es auf der europäischen Ebene. Es ist kein Geheimnis, dass es vielen Mitgliedstaaten schlecht geht, dass ihre Wirtschaft lahmt, die Bevölkerung leidet und die Staatshaushalte unsolide finanziert sind. Dort fehlt der Puffer, Kosten vorzufinanzieren, sei es durch höhere oder neue Steuern, oder durch mehr Schulden. Gerade in der Logik des deutschen Ansatzes, der ja ganz Europa an der Lösung der Flüchtlingsfrage beteiligen will, läge es, diesen Staaten zu helfen. Deshalb kann man über eine europäische Flüchtlingsabgabe, wie sie Minister Schäuble wohl mehr aus taktischen Gründen ins Gespräch gebracht hat, sogar ernsthaft nachdenken. Diese Steuer müsste freilich von allen 28 Staaten einstimmig beschlossen werden. Aber das wäre ja vielleicht der Deal: Alle machen mit, und sie bekommen dafür Geld nach dem üblichen europäischen Verteilschlüssel; die Bedürftigen mehr als die anderen.

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