Mietmarkt:Neue Wohnung? Bitte nackig machen!

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Der Mietmarkt ist in vielen Regionen Deutschlands stark umkämpft: Aufnahme eines Wohnhauses in Berlin (Foto: Jens Kalaene/dpa)

Der Marktführer für Wohnungsinserate führt einen Service ein: Wer alle Daten preisgibt, bekommt leichter eine Wohnung. Das klingt nur auf den ersten Blick gut.

Kommentar von Benedikt Müller

Auf den ersten Blick wirkt es wie ein zusätzlicher Service, den Immobilienscout 24 eingeführt hat: Wer bei Deutschlands größtem Immobilien-Portal eine Wohnung sucht, kann künftig von Anfang an seine Bonitätsauskunft, seinen Einkommensnachweis und seine Selbstauskunft bei der Onlineplattform hochladen. Immer, wenn er sich auf eine Wohnung bewirbt, erlaubt er dem Vermieter, die Dokumente zu sehen. Und wenn er seine Unterlagen fleißig hochgeladen hat, setzt Immobilienscout 24 dem Suchenden ein digitales Krönchen auf: Er wird dem Vermieter fortan als "Top-Bewerber" angezeigt. Damit steigt seine Chance, die Wohnung zu bekommen.

Doch das hat auch eine negative Seite: Die neue Funktion hat das Zeug dazu, den Druck auf Wohnungssuchende, möglichst früh möglichst viele Daten von sich preiszugeben, zu erhöhen. Je mehr Menschen in die Städte ziehen und je weniger bezahlbare Wohnungen es dort gibt, desto größer wird die Konkurrenz unter den Suchenden. Es könnte ausschlaggebend sein, dem Vermieter möglichst früh zu zeigen, wie nett - und vor allem wie solvent man ist. Diese Möglichkeit bietet Immobilienscout 24 nun den Suchenden.

Ob man eine Wohnung bekommt, hängt immer stärker davon ab, wie viel man von sich preisgibt

Gut möglich, dass in gefragten Großstädten bald nur noch "Top-Bewerber" zur Wohnungsbesichtigung eingeladen werden. Das dreht den ursprünglichen Bewerbungsprozess um, wonach sich der Eigentümer zunächst einen persönlichen Eindruck von den Mietbewerbern einholt - und erst danach Sicherheiten abfragt, wenn der Mietvertrag aufgesetzt werden soll. Stattdessen gilt in den Städten zunehmend: Wer sich auszieht, gewinnt.

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Der persönliche Kontakt zwischen Wohnungsanbieter und -suchendem droht auf der Strecke zu bleiben. Begonnen hat diese Entwicklung nicht im Internet. Sondern damit, dass immer mehr Wohnungssuchende eine perfekt gestaltete Bewerbungsmappe dabei haben, wenn sie sich in die Warteschlange zur Besichtigung einreihen. Wer dem Makler am Ende der Besichtigung nicht direkt eine Bonitätsauskunft in die Hand drückt, geht mit dem Gefühl nach Hause, sowieso keine Chance zu haben. Und liegt damit meistens richtig.

Die Digitalisierung dieser Entwicklung hat ausgerechnet die Bundesregierung eingeleitet: Seit knapp einem Jahr muss der Eigentümer, wenn er für die Vermietung einen Makler einschaltet, dessen Courtage zahlen. Vielen ist das zu teuer. Deshalb sind selbsternannte Online-Makler auf den Markt getreten, die den Eigentümern die Mietersuche abnehmen wollen. Auf deren Webseiten legt der Suchende ein Profil an und bewirbt sich auf Wohnungen. Die Portale treffen eine Vorauswahl; der Vermieter entscheidet am Ende. Die Möglichkeit, eine digitale Bewerbungsmappe anzulegen, bietet nun auch Immobilienscout 24. Ganz nebenbei bindet die Plattform Wohnungssuchende enger an sich - und kann mehr Daten auswerten. Die neue Funktion ist deshalb von so großer Bedeutung für den Gesamtmarkt, weil die große Mehrheit der Immobilieninserate ins Internet abgewandert ist und Scout 24 dort den Markt dominiert. Verstärkt wird die Dynamik dadurch, dass beide Seiten Anreize haben, die Funktion zu nutzen. Es ist verständlich, dass Vermieter jegliche Informationen einholen, die sie über potenzielle Mieter bekommen können. Schließlich ist die Sorge, sich Mietnomaden ins Haus zu holen, verbreitet. Deshalb ist es für Bewerber rational, ihre Daten preiszugeben - vor allem, wenn Wohnungen knapp sind.

Dennoch muss diese neue Welt der Wohnungsvermittlung nicht zwangsläufig unfairer sein als die alte. Wahrscheinlich hätte auch bei analoger Bewerbung der Festangestellte aus gutem Hause bessere Chancen als der Freiberufler von nebenan. Doch fest steht: Je früher der Vermieter finanzielle Kriterien heranzieht, desto eher schwinden die Chancen etwa von Studierenden und Geringverdienern, den Eigentümer mit weicheren Kriterien von sich überzeugen zu können. Und je digitaler die Vorauswahl getroffen wird, desto mehr sind jene außen vor, die auf den Schutz ihrer Daten achten und ihren Einkommensnachweis deshalb nicht bei einer Onlineplattform hochladen wollen.

Entscheidend ist daher, wie Vermieter mit dem deutlichen Mehr an Information umgehen. Vielleicht will der ein oder andere Eigentümer ja doch keinen Hochglanz-Kandidaten beherbergen, sondern eine nette Familie. Denn darum geht es doch: um eine Beziehung zwischen Menschen. Mit der Entscheidung, wer bei ihnen wohnen darf, tragen die Eigentümer eine Verantwortung gegenüber ihrem Haus - und ihrer Stadt. Auch das ist gemeint, wenn es im Grundgesetz heißt: Eigentum verpflichtet.

© SZ vom 23.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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