Kommentar:Wege des Wachstums

Europa braucht einen klaren Plan, wie der Kontinent schneller wachsen kann. Sparen allein reicht nicht. Wer 2016 keine neue Grexit-Hysterie erleben will, muss Griechenland helfen. Die USA haben es Europa vorgemacht, wie die Krise zu meistern ist.

Von Alexander Mühlauer

Wenn man so will, gab es in der EU bis zum Sommer eigentlich nur ein Problem: Griechenland und seine der Anarchie nicht gerade abgeneigte Regierung. Es waren irre Momente, die das Brüsseler Establishment nicht so schnell vergessen wird. Auf einmal tauchten Politiker aus Athen auf, die man in der Brussels Bubble noch nicht gesehen hatte. Sie trugen keine Krawatten, aber dafür Lederjacken und Professorentitel. Sie ließen sich nichts sagen - sie dozierten lieber, statt zu handeln.

Angesichts ihrer Provokationen konnte man manchmal nur den Kopf schütteln; aber in einem hatte der inzwischen entlassene Finanzminister Yanis Varoufakis recht: Europas Wirtschaft braucht nach sieben Jahre Krise einen Neuanfang. Der Ökonom aus Athen führte die richtige Debatte - nur leider mit den falschen Methoden. Varoufakis forderte im Sommer das, was Europa dringend benötigt: einen Pakt für mehr Wachstum.

Nun ist Winter, und Professor Varoufakis verdient sein Geld längst mit Erlebnisberichten. In der Europäischen Union gibt es aber glücklicherweise andere, die seine ökonomische Analyse teilen. Zum Beispiel Matteo Renzi. Italiens Ministerpräsident geißelte beim jüngsten Gipfeltreffen in Brüssel die unter deutschem Diktat verordnete Sparpolitik in der EU. Diese würge das Wachstum ab. Regierungschefs, die beim Sparen ohne Wachstum an vorderster Front stünden, würden ihre Jobs verlieren, wie der Fall Spanien zeige. Mal davon abgesehen, dass Renzi mit seinem Angriff auf Berlin auch von seinen eigenen Problemen ablenken wollte, ist der wirtschaftspolitische Kern seiner Aussage richtig. Wachstum erzeugt man nicht allein durch Sparen.

Beispiel Griechenland. Was Athen noch immer braucht, ist ein Reformpaket, das eine klare Wachstumsperspektive aufzeigt. Mit noch mehr Sparen lassen sich die ehrgeizigen Haushaltsziele der Gläubiger nicht erreichen. Das Land braucht Strukturreformen, eine funktionierende Finanzverwaltung und eine moderne Arbeitslosenversicherung. Doch was musste Athen auf Druck der Euro-Partner als Erstes machen? Die Mehrwertsteuer erhöhen. So erstickt man jedes Wachstum im Keim. Alles hängt nun davon ab, ob in Griechenland wieder investiert wird. Doch wer vertraut einem Land, dessen Schulden nicht tragbar sind? Wer im nächsten Jahr nicht schon wieder eine Grexit-Hysterie erleben will, muss Athen wirklich helfen - und dazu gehört auch ein Schuldenerlass. Nur so kann das Land endlich wieder wachsen.

Griechenland mag ein besonders schwerer Fall sein, aber ein Wachstumsproblem haben auch andere EU-Staaten. Eine neue spanische Regierung muss vor allem versuchen, dass die junge Generation wieder das bekommt, wovon sie leben kann: Jobs. Noch immer ist die Jugendarbeitslosigkeit dramatisch hoch. Frankreichs Präsident hat nach den Terroranschlägen von Paris gesagt, dass der Sicherheitspakt wichtiger sei als der Stabilitätspakt. Das ist richtig, aber er darf eines nicht vergessen: den Wachstumspakt. In Italien wiederum übersteigt die Staatsschuld die Wirtschaftsleistung um ein Vielfaches. Ihr Abbau ist überfällig, aber nicht in erster Linie zur Erfüllung des Stabi-Pakts, sondern vor allem im Interesse aller jungen Italiener.

Die USA haben der EU vorgemacht, wie es gehen kann: mehr ausgeben!

Die EU sollte einen klaren wirtschaftspolitischen Kurs für 2016 formulieren: Die Voraussetzung für mehr Stabilität in Europa sind nicht nur Sparmaßnahmen (die braucht es, wo Geld versickert); sondern steigende Einnahmen, die auf höherem Wachstum beruhen. Die USA haben vorgemacht, wie es gehen kann. Die Amerikaner haben mit einer expansiven Wirtschaftspolitik - mit viel staatlichem Geld - die Rezession erfolgreich bekämpft. Die Europäer hingegen setzen, angetrieben von Deutschland, noch immer auf eine restriktive Sparpolitik. Das Ergebnis: Sie stecken noch immer in der Krise.

Die Bundesrepublik ist das einzige große Land der Währungsunion, das genug Geld hat, um in größerem Umfang konjunkturstützende Maßnahmen anzuschieben. Berlin muss staatliche und private Investitionen fördern - beide sind im internationalen Vergleich zu niedrig. Deutschland würde damit ein Signal setzen, das andere Staaten mitziehen kann, auf einen neuen Weg des Wachstums.

Wollen die Europäer nicht weitere Krisenjahre verstreichen lassen, sollten sie sich nicht unbedingt Varoufakis zum Vorbild nehmen. Wohl aber die USA.

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