Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Was ist hier schon normal

Unilever verbannt den Begriff "normal" von Shampoo und Cremes: Gut so! Aber Vielfalt muss mehr sein als ein Marketing-Spielchen.

Von Kathrin Werner

Shampoo für "normales Haar" oder Creme für "normale Haut" wird es bald nicht mehr geben. Zumindest nicht bei Unilever. Der Konzern hinter Marken wie Dove, Axe oder Vaseline verzichtet künftig auf den Begriff "normal" auf seinen Verpackungen. Es ist leicht, sich auszumalen, welchen Nachhall diese Meldung bei Menschen hat, die sich selbst für normal und alles Abweichende für anormal halten.

Doch die sind in der Minderheit. "Normal" ist eines dieser Wörter, von denen sich kaum jemand angesprochen fühlt. Ganz im Gegenteil: Von denen sich viele Menschen explizit ausgeschlossen fühlen. Denn die alte Definition der Schönheitsindustrie, die sie über Jahrzehnte in der Werbung präsentierte und so als Schönheitsideal manifestierte, ist eng: schlank, hellhäutig und heterosexuell, reinporig, glattrasiert und glatthaarig, sehr feminin oder sehr maskulin. Das Wort "normal" ist beinahe ein identitätspolitischer Gesinnungsbegriff für Menschen, die diese Kriterien erfüllen und stolz darauf sind. Leitkultur auf der Shampoo-Flasche. Wir sind normal, die anderen nicht.

Ein großer Teil der Weltbevölkerung sieht außerdem anders aus, und schon das beweist die Absurdität des Begriffs, gerade wenn er von einem Konzern kommt, der seine Körperpflegeprodukte an eine Milliarde Menschen verkauft. Selbst viele Kunden, die unter Unilevers Definition fallen, standen schon einmal ratlos vor dem Regal: Die Nase glänzt, die Wangen sind trocken - ist das noch normal? Produkte versprechen, Bedürfnisse zu erfüllen. Diese Versprechen sollten auf der Verpackung stehen, und nicht eine Bestimmung, wer sie kaufen darf: Spendet Feuchtigkeit für trockene Wangen und so weiter. Das Wort "normal" zu streichen, ist deshalb ein richtiger und wichtiger Schritt, denn Sprache ist mächtig, und die Schönheitsindustrie mit ihrer großen Verantwortung auch für das Selbstwertgefühl der Menschen hat Nachholbedarf.

Woke? Unilever hinkt dem Zeitgeist hinterher

Unilever gibt sich gern als Unternehmen, das woke ist, also als eines, das mit der Zeit geht und wachsam bei Rassismus, Sexismus, Bodyshaming und den anderen großen Themen ist. Doch in Wirklichkeit hinkt Unilever mit der Abkehr von "normal" eher dem Zeitgeist hinterher, was eine Umfrage zeigt, für die das Unternehmen mehr als 10 000 Menschen befragte und herausfand, dass sieben von zehn den Begriff "normal" eher negativ auslegen, unter Jüngeren waren es noch mehr. Als Kunden will man all sie natürlich nicht verlieren. Unilever reagiert auf eine längst geschehene gesellschaftliche Veränderung. Statt aus politischer Korrektheit auf Profit zu verzichten, könnte politische Unkorrektheit Profit kosten. Angesichts dessen kommt das Werbevideo, das der Konzern anlässlich der Normal-Abschaffung zeigt, recht selbstgefällig daher.

Auch darf man nicht vergessen, dass es sich bei Unilever um einen Konzern handelt, der seit Jahrzehnten hautaufhellende Cremes vor allem in Indien vertreibt - entgegen vieler Proteste. Erst vor wenigen Jahren fiel der Konzern außerdem mit einer rassistischen Werbekampagne für Dove-Duschgel auf: Eine schwarze Frau zog ihr braunes T-Shirt aus und zum Vorschein kam eine weiße Frau in einem hellen T-Shirt - endlich sauber und rein. Unilever zog den Spot zurück. Es kommt immer wieder vor, dass Unternehmen rassistische oder sexistische Begriffe oder Bilder in ihrem Marketing verwenden. Bahlsen verkauft noch immer Schokokekse mit Namen "Afrika", die mit dem Kontinent nichts zu tun haben, außer dass sie schwarz sind. Vor einem Jahr schnippte in einer Werbung von Volkswagen eine riesige weiße Hand einen schwarzen Mann weg, danach tanzten die Buchstaben der Worte "der neue Golf" so über den Bildschirm, dass kurz das Wort "Neger" erschien. Hinterher entschuldigen sich die Unternehmen stets und geloben Besserung, doch die Strukturen, die solche Werbung und ausgrenzende Begriffe wie "normal" erst möglich machen, bleiben erhalten.

Die Entscheidungen der Konzerne werden zu oft von Menschen getroffen, die mit Diskriminierung keine Erfahrung haben. Wer alle Normalitätskriterien erfüllt, hat an dem Begriff kaum etwas auszusetzen, findet die Kritik daran vielleicht sogar albern. Von 13 Menschen in Unilevers oberster Managementriege sind nur vier Frauen. Nicht alle sind weiß, die überwiegende Mehrheit schon. Und damit steht Unilever im Vergleich zu anderen Unternehmen, zum Beispiel mit VW, noch nicht einmal schlecht da. Firmen, die große Teile ihrer Kundschaft nicht vergraulen wollen, müssen Diversität nicht nur als Marketinginstrument verwenden, sondern auch im Konzern selbst leben. Erst wenn die Entscheider so vielfältig sind wie ihre Kunden, können sie deren Bedürfnisse erfüllen. Und wirklich woke sein.

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