Kommentar:Was hinter den Zahlen steckt

Die Autoindustrie legt Halbjahreszahlen vor, fast überall sehen die Firmen rot. Das liegt nicht nur an Corona. Die Pandemie hat nur einmal mehr die Probleme deutlich gemacht.

Von Max Hägler

Zwischenbilanzen von Unternehmen sind üblicherweise von überschaubarer Spannung. In diesem Sommer ist das anders - und genaues Hinschauen lohnt, besonders in der Autoindustrie. Fast überall rote Zahlen zum Halbjahr: Volkswagen und Audi machten Verluste, genau wie Daimler, Renault-Nissan, Volvo und Fiat-Chrysler. Die Kunden bleiben weg angesichts der Corona-Pandemie, doch das ist nicht die einzige Ursache. Die Krise hat Probleme deutlicher und schneller aufgezeigt, die bei vielen auch ohne Corona bestehen: Fabrik-Überkapazitäten, viel Personal, der teure Technologiewandel. Bemerkenswerterweise sind aber nicht alle in den Miesen. Die Analyse der Ausreißer lohnt, wobei bloßes Abkupfern nichts bringt, dazu sind die Erfolgsfaktoren zu verschieden. Der US-Autobauer General Motors (500 Millionen US-Dollar Gewinn im zweiten Quartal) verkaufte die in Europa unbrauchbaren Pick-ups wie den Sierra oder Silverado trotz der Seuche. Die Maxime von GM-Chefin Mary Barra mag ihren Teil zum positiven Ergebnis beigetragen haben: lieber weniger Absatz, aber dafür auch weniger Nachlässe - unterm Strich bleibt so mehr hängen.

Über Jahrzehnte hatte GM die defizitäre Marke Opel mitgeschleift und vor zwei Jahren abgegeben, weil man nichts damit anzufangen wusste. Im Gegensatz zum Käufer. Der PSA-Konzern um Carlos Tavares verkauft nun Wagen der Marken Peugeot, Citroën sowie eben Opel und verdient Geld damit (595 Millionen Euro) - obwohl der Absatz in der Pandemie weit stärker als bei anderen eingebrochen ist. Auch Tavares nimmt schwächere Marktanteile in Kauf zugunsten einer besseren Preisdurchsetzung: Nur noch vier von hundert Neuwagen in Deutschland kommen von Opel, aber die Firma ist nun im Plus. Wieso? Die Rüsselsheimer teilen sich immer mehr Teile mit den französischen Schwestern. Zudem verkauft PSA den Kunden lukrative Zusatzpakete, anstatt sich im aufwendigen Sonderausstattungskleinklein zu verlieren.

Statt 55 Euro pro Stunde in Deutschland liegen die Löhne in Tschechien bei 16 Euro

Doch hinter den schwarzen Zahlen steckt auch ein harter Sparkurs: Tausende Mitarbeiter, meist Ingenieure, haben Opel zuletzt verlassen; jetzt steht auch noch eine Minderung der Betriebsrente im Raum. Lieber hohe Abfindungen und mehr Einkauf als hohe Fixkosten ist Tavares' Devise. Die teure Entwicklung von E-Antrieben, hübschen Computerdisplays und Roboterfunktionen lässt er stattdessen zunehmend von Zulieferfirmen erledigen - oder in Nordafrika. Die Personalkosten sind so bei PSA verhältnismäßig niedriger als etwa im VW-Konzern. Die Marke, die es übrigens in jenem Konzern - neben Porsche - ins Plus geschafft hat, ist Škoda. Was auch an den Fixkosten liegt: Statt 55 Euro pro Stunde in Deutschland liegen die Löhne in Tschechien bei 16 Euro. Die Diskussion um Outsourcing und Arbeitsplatzverlagerung dürfte insofern wieder dominanter werden, zum Wohle der Bilanzen, mitunter zum Schaden deutscher Jobs.

Aber vielleicht bleibt gar nichts anderes übrig. Weil da der Überraschungssieger ist, der immer gefährlicher wird: Tesla. 278 Millionen Euro ist die Firma von Elon Musk im Plus - obwohl so oft gelästert wurde, die Kalifornier könnten kein Geld verdienen. Die Wahrheit ist komplizierter als nur Schwarz oder Weiß: Mehrere Hundert Millionen Euro hat der E-Auto-Pionier im vergangenen Quartal eingenommen, weil er Klimazertifikate an die Konkurrenz mit Verbrennermotoren verkaufte. Im Kerngeschäft hat Tesla hingegen ein negatives Ergebnis, wie so oft, obwohl seine wenigen Fertigungsstätten voll ausgelastet sind. Andererseits gibt es wohl keine Autofirma, die so viel im eigenen Haus gebündelt hat: Batterien und Roboterfunktionen - Elon Musk lässt das die eigenen Leute entwickeln statt bei Zulieferern. Das drückt auf die Bilanz, aber schafft überlegene Produkte und Wert für die Zukunft. An der Börse, wo die Hoffnung auf die Zukunft regiert, ist Tesla so zum König der Autos aufgestiegen (auch PSA wird derzeit gut bewertet).

Der richtige Weg für die deutsche Konkurrenz? Den muss jeder selbst finden. Und kann dabei auf ein bisschen Linderung hoffen: Wenn die Tesla-Fabrik in Brandenburg anlaufen wird, gelten dort deutsche Löhne. Auch das drückt auf die Bilanz. Aber Zahlen sind ja nicht alles.

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