Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Vorteil Deutsche Bahn

Die neue Renn-Strecke zwischen Berlin und München bringt der Deutschen Bahn eine Verdoppelung der Passagierzahlen. Doch statt das Angebot jetzt schnell auszubauen, wartet der Konzern ab - warum bloß?

Von Caspar Busse

Wer jetzt kurz vor oder zu den Feiertagen mit der Deutschen Bahn in den Urlaub und zur Familie fährt, kann schnell den Eindruck gewinnen, die Auslastung der Züge liege bei deutlich über hundert Prozent. Völlig überfüllte Waggons sind jedenfalls keine Seltenheit, Züge kommen zu spät, die Sitze sind alle belegt, manchmal gibt es nur noch Stehplätze, die Passagiere drängen sich auf den Gängen. Einige Passagiere sind schon mit den Nerven runter, noch bevor sie überhaupt an ihrem Ziel angekommen sind. Die Deutsche Bahn will zwar alle verfügbaren Züge einsetzen, rät ihren Kunden aber auch, wenn möglich, auf andere Tage auszuweichen.

Das Staatsunternehmen, das nach wie vor vollständig in Besitz des Bundes ist, wird zum Opfer des eigenen Erfolgs. Zum einen ist die hohe Attraktivität der Bahn natürlich gut und sehr wünschenswert. Wenn möglichst viele Reisende die Bahn nutzen, entlastet das die Umwelt und die chronisch überfüllten Autobahnen. Die Bahn ist aus verkehrspolitischer Sicht das mit Abstand sinnvollste Verkehrsmittel.

Auch deshalb ist es richtig, dass die Idee einer Privatisierung oder gar eines Börsengangs der Bahn vor zehn Jahren wieder aufgegeben wurde. Schon alleine der Plan sorgte dafür, dass plötzlich nur noch die Gewinnmaximierung im Vordergrund stand, mit negativen Konsequenzen für das Alltagsgeschäft, es wurde gespart, Investitionen blieben aus.

Zum anderen müssen sich Deutsche-Bahn-Chef Richard Lutz und seine Kollegen aber stärker auf die Bedürfnisse der Kunden konzentrieren. Ein gutes Beispiel ist die neue Schnellbahnstrecke zwischen Berlin und München. Fast zwanzig Jahre wurde an der neuen Trasse, auf der teilweise fast 300 Stundenkilometer möglich sind, geplant und gebaut und insgesamt rund zehn Milliarden Euro ausgegeben. Die Fahrzeit für die 623-Kilometer-lange Strecke verringerte sich am Ende deutlich auf nur noch vier Stunden. Der Start im vergangenen Dezember geriet dann auch noch zum Desaster: Der Premierenzug kam viel zu spät an, in den Tagen danach gab es Ausfälle und peinliche Pannen.

Doch inzwischen ist die Strecke zu einem großen Erfolg geworden. In den ersten hundert Tagen hat sich die Zahl der Fahrgäste zwischen München und Berlin trotz der Anlaufprobleme auf 1,2 Millionen mehr als verdoppelt, und das, obwohl die Preise auf der neuen Strecke durchaus hoch sind. Der Billigflieger Easyjet zum Beispiel, der gerade sein Angebot ziemlich schnell und ziemlich deutlich ausbaut, bietet teilweise deutlich günstigere Tickets für die gleiche Strecke an.

Die neue schnelle Verbindung kommt also ziemlich gut an. Warum aber reagiert die Deutsche Bahn so langsam? Ist das Unternehmen zu behäbig, um auf das hohe Kundeninteresse schnell zu reagieren? Wenn die Nachfrage nach einem Produkt oder eine Dienstleistung hoch ist, wird normalerweise schnell das Angebot erhöht, so machen es auch die Konkurrenten Easyjet, Lufthansa oder Flixbus. Aber die Bahn will erst im Dezember, mit dem nächsten Fahrplanwechsel, die Zahl der täglichen Sprinter-Verbindungen in beide Richtungen erhöhen - von drei auf fünf!

Im Sinne der Kunden wäre es doch, wenn die sehr schnellen Züge im Ein- oder Zwei-Stundentakt zwischen Berlin und München verkehren würden. Länder wie die Schweiz machen es vor, wie ein attraktives Angebot weitere Nachfrage schafft. In Japan verkehrt der Schnellzug Shinkansen zwischen den großen Städten teilweise im Zehn-Minuten-Takt, in der Regel ohne größere Verspätungen.

Der Kunde muss im Mittelpunkt stehen, er will umfassende Mobilitätskonzepte und guten Service. Gefragt ist eine Vision, wie die Bahn zu einem zentralen Bestandteil eines umfassenden Mobilitätskonzepts für Deutschland werden kann. Die Kunden wollen von A nach B kommen, nicht nur möglichst schnell vom Münchner zum Berliner Hauptbahnhof.

Die Auslastung der besonders schnellen Sprinter-Züge zwischen Berlin und München liegt bei durchschnittlich 70 Prozent, ein für die Bahn hoher Wert. Der Marktanteil der Deutschen Bahn auf der Strecke erreicht jetzt 40 Prozent, der Rest verteilt sich auf Auto, Flugzeug und Fernbus. Der Zug ist also für viele plötzlich zu einer echten Alternative geworden. Dieses Momentum gilt es zu nutzen - und zwar sofort, am besten schon zur nächsten großen Reisewelle.

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Quelle:
SZ vom 29.03.2018
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