Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Vorsicht Falle

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Mit der Digitaldevise Libra will Facebook die Tektonik des Finanzsystems verschieben. Wenn ein privates Unternehmen allerdings Geldpolitik macht, wird es gefährlich. Den Beschwichtigungen des Konzerns ist nicht zu trauen.

Von Victor Gojdka

Es ist ein anrührendes Märchen, das Facebook diese Woche auf kaum zwölf Seiten erzählte. Eine einfache, globale Digitalwährung wolle das Unternehmen schaffen. Stabil, transparent und dezentral. Ganz nebenbei ließen sich damit übrigens auch noch die Ärmsten der Armen retten.

Zusammen mit 27 anderen Großkonzernen wie Mastercard oder Vodafone hat Facebook dieser Kryptowährung ausgerechnet den klingenden Namen Libra verliehen. Libra? Das klingt buchstäblich liberal, das tönt nach Freiheit, lässt im Obertonregister gar die Befreiung der Armen anklingen. Potenzielle Nutzer sind allerdings gut beraten, wenn sie diese Erzählung als das verstehen, was sie ist: ein Märchen, mehr nicht.

Denn im Zweifel könnte der Datenkrake Facebook über Libra zusätzlich zu Milliarden Nutzerdaten auch noch die Einzelheiten zu Milliardentransaktionen abfischen. Der Konzern könnte Kunden bis in den letzten Winkel ausleuchten. Er wüsste, welche Werbung wie effektiv ist. Könnte Unternehmenskunden Tipps geben, welche Nutzer so solvent sind, dass sie für ein Paar Schuhe einen ordentlichen Schnaps mehr zahlen würden.

Ja, zugegeben: Facebook verspricht, die Zahlungsdaten der Libra-Nutzer nicht mit den Daten ihrer Facebook-Profile zu vermengen. Das ist jedoch nicht mehr als eine billige Beruhigungspille für Nutzer, die es allzu genau nicht wissen wollen. Viele erinnern sich noch gut, wie die Facebook-Tochter Whatsapp im Jahr 2014 hoch und heilig versprochen hatte, keine Daten zwischen den beiden sozialen Netzwerken auszutauschen. Nur wenige Jahre später war es mit der Heiligkeit vorbei, Facebook tauschte die Daten aus - und verriet seine Nutzer. Kunden sind gut beraten, die Bekenntnisse des Konzerns nicht für bare Münze zu nehmen.

Das zweite Kapitel der Märchenerzählung ist indes noch perfider. Der Konzern habe die Kryptowährung nur geschaffen, um damit den Ärmsten der Armen in den Entwicklungsländern zu helfen. Schließlich würden Banken gerade diese Klientel ausnehmen wie eine Weihnachtsgans - Libra hingegen biete Überweisungen fast zu Nullkosten. Der Konzern verschleiert damit Entscheidendes: Facebook könnte mit der neuen Währung die Tektonik des Finanzsystems empfindlich verschieben. Sollten Bürger massenhaft Geld in den Libra-Coin schieben, könnte das die Macht der Zentralbanken untergraben. Und weil Überweisungen im Libra-Netzwerk unter Pseudonym möglich sein sollen, dürfte die Währung auch Geldwäscher locken. Zwar gelobt Facebook, die Kunden an den Eintrittstoren zum Libra-Netz unter die Lupe zu nehmen. Allerdings beweist der Konzern immer wieder, dass er nicht einmal Hasskommentare gut löschen kann. Unter dem Strich ist Libra ein weiterer Versuch der Großkonzerne, das Verhältnis zwischen Staaten und Konzernen auf den Kopf zu stellen. Wird das System so mächtig, wie seine Erfinder hoffen, dürfte ein privatwirtschaftlicher Gigant entstehen, den Staaten, wenn er in Not geriete, auffangen müssten. Das hieße im Klartext: Er müsste mit dem Geld der Steuerzahler gerettet werden. Wie sehr sich Facebook und seine Partner gegenüber den Staaten ans Kopfende des Tisches setzen, zeigt auch ein weiterer Punkt: In der Stabilitätsreserve der Libra-Währung sollen unter anderem Staatsanleihen liegen. Das Konsortium um den Techkonzern könnte damit über Nacht zu einem Großanleger am Staatsanleihemarkt aufsteigen und somit zur Bank vieler Staaten.

Mit allem Drohpotenzial. Wer glaubt, dass Facebooks Digitaldevise nur eine weitere Kryptomünze im Streichelzoo der Digitalwährungen wie Bitcoin und Co. bleiben wird, irrt sich gewaltig. Hier geht es nicht mehr um digitales Spielgeld für ein paar Millionen Digitalfreaks, sondern um Milliarden Nutzer. Allein der Blick in die Statistik zeigt: Auf den Facebook-Plattformen Messenger, Instagram und Whatsapp tummeln sich global mehr als zwei Milliarden Menschen. Das sind dreimal so viele wie die Bewohner des Euro-Raums und des Dollarlandes USA zusammen.

Am Ende müssen Libra-Nutzer den Tatsachen ins Auge blicken: Was wirklich hinter Libra steckt, spiegelt sich schon im Namen der Währung. Der echte Ursprung des Wortes liegt im alten Rom. Hier war Libra eine schnöde Gewichtseinheit für Händler. Und deren Devise ist sicher nicht, die Welt zu retten.

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Quelle:
SZ vom 21.06.2019
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