Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Viel zu zahm

Die Bundesregierung gibt viele Milliarden aus, um Konzernen wie der Lufthansa zu helfen. Dass die Corona-Hilfen nicht dazu genutzt werden, um unfaire Steuerpraktiken zu verhindern, ist eine vertane Chance. Und ein Trauerspiel.

Von Klaus Ott

Hier neun Milliarden an Kapital und Garantien für die Lufthansa. Dort Kredite in Höhe von 2,4 Milliarden Euro für Adidas. Der Staat ist bei den Überlebenshilfen für große Unternehmen bestimmt nicht kleinlich. In anderer Hinsicht aber schon. Finanzminister Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Kanzlerin Angela Merkel (beide CDU) lassen die Chance ungenutzt verstreichen, die Stützungsmaßnahmen mit einer längst überfälligen Korrektur höchst unfairer Steuerpraktiken zu verknüpfen. Immer noch verschieben Konzerne weltweit Gewinne in Steueroasen, in denen nur Mini-Abgaben fällig sind. Doch was hat die Bundesregierung an Auflagen bei den Milliardenhilfen durchgesetzt? Nichts, was nicht selbstverständlich wäre oder im Prinzip jetzt schon gilt.

Kleinmut statt großer Lösung, auf diesen Nenner lässt sich die Steuergestaltungspolitik von Scholz, Altmaier und Merkel in Corona-Zeiten bringen. Dabei mahnt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) ausdrücklich, an das große Ganze zu denken. Schäuble hat das in einem Zeitungsinterview an Pfingsten zwar auf das geplante Konjunkturprogramm und auf die Themen Klima, Digitalisierung, Innovation bezogen. Alles wieder so zu machen, wie es vor Corona war, sei keine Lösung, so der Bundestagspräsident. Zum großen Ganzen gehören aber auch andere Hilfen des Staates - und das Thema Steuern. Was über Steuertricks den Staaten entzogen wird, was dadurch bei Konzernen, Aktionären und Milliardären bleibt statt in die Gemeinschaftskassen zu fließen, fehlt für anderes. Für Klimaschutz, Forschung, Soziales und mehr.

Wer das Pflegepersonal endlich gerechter bezahlen will und dies vollmundig verkündet, darf beim Kampf gegen Steuertricks nicht untätig bleiben. Das passt sonst nicht zusammen. Die Versäumnisse der Bundesregierung lassen sich gut am Beispiel der Lufthansa beschreiben. Die Fluggesellschaft rühmte sich kürzlich, Transparenz zu schaffen. Der Konzern listete öffentlich auf, welche Tochterfirmen mit welchen Geschäftszwecken und wie vielen Beschäftigten man in Steueroasen habe. Das betrifft aber nur jene Orte wie Panama oder die Kaiman-Inseln, die auf einer schwarzen Liste der Europäischen Union stehen. Es fehlen Länder wie Malta, die ebenfalls auf diese Liste gehören, aber von der EU geschont werden. Weil sie, wie die Inselgruppe im Mittelmeer, beispielsweise Mitgliedsstaaten der EU sind. Und die deshalb auch in der angeblichen Transparenzliste der Lufthansa nicht auftauchen. Obwohl der Konzern mit etlichen Tochterfirmen auf Malta möglicherweise Steuern spart. Das bleibt aber alles im Dunkeln.

Die Lufthansa bekommt Milliardenhilfen - muss aber Geldflüsse nicht offenlegen

Die Lufthansa betreibt eine Scheinoffensive, eine Pseudo-Transparenz. Mit unvollständigen Listen und unvollständigen Angaben, bei denen das Wichtigste fehlt: die Geldflüsse im Konzern. Nur so ließe sich öffentlich nachvollziehen, ob die Fluggesellschaft sich Steueroasen wie Malta bedient, um zu tricksen. Lufthansa-Chef Carsten Spohr wird es von Scholz, Altmaier und Merkel leicht gemacht, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Die Bundesregierung verlangt bei der Gewährung von Corona-Hilfen in Sachen Steuern neben anderen kleinen Auflagen lediglich, dass kein Staatsgeld in jene Orte abfließen darf, die auf der schwarzen Liste der EU stehen. Das Mindeste aber wäre, dass Konzerne ganz auf Steuertricks verzichten müssen.

Das Wirtschaftsministerium und einige Konzerne behaupten gerne, deutsche Unternehmen wären im weltweiten Wettbewerb benachteiligt, müssten sie ihre Geldflüsse und Steuerpraktiken öffentlich machen. Das ist ein Ablenkungsmanöver, und es ist doppelt falsch. Erstens, weil viele Unternehmen jetzt schon benachteiligt sind. All jene nämlich, die keine Gewinne künstlich ins Ausland verschieben. Oder die einfach nur zu klein sind, als dass sich der Aufwand lohnen würde. Und zweitens, weil Deutschland eine Transparenz-Initiative blockiert und so ein gemeinsames internationales Vorgehen verhindert. Würde Deutschland stattdessen jetzt neue Steuerstandards setzen, dann wäre das auch ein wichtiges Signal für die Industrieländer-Organisation OECD. Die hat schon vor Corona begonnen, mit 137 Staaten über eine Jahrhundert-Reform der Unternehmensbesteuerung zu verhandeln: Es soll fairer zugehen. Die Verlierer wären Steueroasen, zu den Gewinnern würde Deutschland zählen.

Doch der Umgang der Bundesregierung mit dem Kapitel Steuern ist bei den Corona-Hilfen ein Trauerspiel. Das lässt bei anderen großen Themen wie dem Klimaschutz nicht gerade Gutes erwarten.

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SZ vom 02.06.2020
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