Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Viel Arbeit für wenig Geld

Soziale Berufe finden kaum Nachwuchs, ihnen laufen die Fachkräfte eher davon. Kein Wunder, bei der Bezahlung. Es muss sich endlich etwas ändern - am besten über Tarifverträge.

Von Alexander Hagelüken

Die meisten Deutschen glauben schon heute, dass Altenpflege ein harter Job ist. Vermutlich ahnen sie jedoch nicht, wie intensiv Pfleger auf Twitter seit Monaten über einen Ausstieg aus ihrem Beruf diskutieren. Da wird darüber geredet, wie dramatisch sich Personalknappheit auf Patienten auswirkt. Wie Arbeitgeber von ihren Kräften viel erwarten, ihnen aber "ähm ja ... nichts bieten". Dieser Tage schreibt eine Nutzerin spöttisch, Discounter zahlten höhere Gehälter als ihre Branche. "Es werden überall Arbeitnehmer gesucht. Leute, haut ab."

Exit aus dem Pflegeberuf? Das wirkt bedrohlich für eine Republik, die immer älter wird. Die Jahrgänge, die auf den Ruhestand zugingen, als 1995 die neuartige Pflegeversicherung eingeführt wurde, hatten eine Lebenserwartung von 68 Jahren. Heute sind es mehr als 80. Die deutsche Gesellschaft ist immer mehr auf helfende Hände angewiesen. Auf eine Arbeit, die wechselnde Schichten verlangt, körperlich anstrengt und psychisch belasten kann. Und für die manches Heim zum Einstieg trotzdem nur etwas mehr als 2000 Euro im Monat zahlt - brutto.

Eine bessere Bezahlung für soziale Arbeit wäre das richtige Signal für die digitale Ära

Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung diese Jobs durch eine konzertierte Aktion attraktiver machen will. Unter anderem sollen die Gewerkschaften neue Tarifverträge mit Verbänden wie der Arbeiterwohlfahrt und dem Roten Kreuz aushandeln. Und die will die Regierung dann für die ganze Branche allgemein verbindlich erklären, in der nach ihrer Darstellung bisher nur für 20 Prozent der Beschäftigten Tariflöhne gelten. Privaten Anbietern missfällt dieser Vorstoß sehr. Sie drohen jetzt mit einer Verfassungsklage, weil die Tarifautonomie verletzt werde. Unklar erscheint auch, wie mit der speziellen Lohnfindung kirchlicher Institutionen wie der Caritas umzugehen ist. Der genauere Blick zeigt zum Beispiel, dass Kirchenträger gar nicht unbedingt schlechtere Löhne zahlen.

Die Regierung muss nun juristisch passende Lösungen durchsetzen. Eines sollte klar sein: Die komplexen Strukturen der Branche dürfen nicht verhindern, dass Altenpfleger besser bezahlt werden. Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) sieht einen Bedarf von zusätzlich 40 Prozent an Fachkräften in den nächsten 15 Jahren. Denn die Zahl der Pflegebedürftigen werde um ein Drittel auf vier Millionen Menschen zunehmen. Das wirtschaftsnahe Institut empfiehlt, was wirtschaftsnahe Institute sonst nicht empfehlen: mehr Lohn.

Die Regierung sollte generell an der Branchenausdehnung von Tarifverträgen arbeiten. Die unterdurchschnittliche Bezahlung ist nicht nur in sozialen Tätigkeiten ein Problem, aber dort besonders häufig. Ob Krankenschwestern, Erzieher oder Pfleger: Diese Berufe kommen aus einer kirchlich geprägten Helfertradition, die oft mit Selbstausbeutung einherging. Hier sind besonders viele Frauen tätig, häufig in Teilzeit, althergebracht als Zuverdienst zum Lohn des Mannes. Diese Arbeitnehmerinnen waren für Gewerkschafter stets schwer zu mobilisieren.

Wolfgang Schröder vom Wissenschaftszentrum Berlin rät den sozialen Berufen nach intensiver Beschäftigung mit dem Thema, sich die Ärzte zum Vorbild zu nehmen: "Super organisiert und egoistisch vertreten die ihre Interessen nach dem Motto The winner takes it all." Das ist mal ein erfrischend unsentimentaler Ansatz für eine Berufsgruppe, die übers Helfen zu oft sich selber vergisst. Die Gehälter stiegen zwar in den vergangenen Jahren durchaus an. Doch zu anderen, oft weniger aufreibenden Tätigkeiten im Büro oder am Bankschalter klaffen noch große Lücken.

Bessere Bezahlung für soziale Berufe: Das würde das richtige Signal für die digitale Ära senden. Wenn künftig Maschinen viele Routinejobs übernehmen, muss sich der Mensch auf Berufe besinnen, bei denen er Maschinen auf Dauer überlegen sein kann. Soziales gehört dazu - wer will seine Kinder schon in eine Kita mit Robotern schicken?

Die Deutschen sollten sich aber keinen Sand in die Augen streuen. Die Personalknappheit in Altenheimen oder Kindergärten resultiert nur zum Teil daraus, dass manche private Eigentümer Gewinne maximieren. Mehr und besser bezahlte Pfleger und Erzieher kosten Geld, das die Bürger als Versicherte, Kunden und Steuerzahler aufbringen müssen. In Umfragen äußern die Deutschen regelmäßig Sympathien, Krankenschwestern und andere soziale Tätigkeiten höher zu entlohnen. Diese Zustimmung allein hilft den Betroffenen aber wenig. Sie brauchen die Unterstützung der Bürger genau dann, wenn diese als Wähler aktiv werden oder ins eigene Portemonnaie greifen sollen.

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Quelle:
SZ vom 01.04.2019
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