Kommentar:Verloren in virtuellen Welten

Traurig, aber wahr: In der Bundesagentur für Arbeit regieren immer noch Größenwahn und Inkompetenz.

Von Robert Jacobi

Florian Gerster kann froh sein, dass er die Bundesagentur für Arbeit schon verlassen hat. Eines seiner wichtigsten Projekte endet schon wenige Wochen nach dem unfreiwilligen Abgang des Chefs im Desaster: Der virtuelle Arbeitsmarkt sollte alle freien Stellen im Land registrieren und allen Arbeitssuchenden kostenfrei zugänglich sein. Längst war absehbar, dass der technische und finanzielle Aufwand kaum zu bewältigen ist.

Nach monatelangen Dementis räumt die Behörde das endlich ein. Zweistellige Millionenbeträge wurden für ein Projekt verschleudert, das so niemand braucht. In Deutschland existiert ein privatwirtschaftlich organisierter Stellenmarkt, gerade erst belebt durch die neue Konkurrenz zwischen Zeitungen und Internet.

Mehr als nur Größenwahn

In diesem Fall ist nicht mehr nur Größenwahn zu diagnostizieren. Es weht ein Hauch von Korruption über Nürnberg. Eine Großtat ist es nicht von Gersters Nachfolger Frank-Jürgen Weise, dass er den Skandal - das Wort ist diesmal wirklich angebracht - an die Öffentlichkeit gebracht hat.

Noch vor seinem offiziellen Amtsantritt vor einer Woche kündigte er an, den Umbauprozess und die Kosten genau zu prüfen. Weise handelt aus eigenem Interesse: Wäre die Kostenexplosion über die Medien bekannt geworden, hätte auch er sich auf Rücktrittsforderungen einstellen müssen.

Die Fehler liegen in der Vergangenheit, das Geld fließt aber noch heute aus der Behörde an die Unternehmensberatung Accenture und ihre Partner. Den Beratern lässt sich schlecht vorwerfen, dass sie die Millionen dankbar annehmen, auch wenn jeder vernünftige Mensch an der Sinnhaftigkeit des Projekts zweifeln musste. Die Risikoanalyse ergab, dass es in den nächsten vier Jahren bis zu 165 Millionen Euro hätte kosten können - ein Irrsinn schon deshalb, weil es die zu registrierenden Stellen gar nicht gibt.

Staatliche Anmaßung

Der Name des Projekts ist unfreiwillig komisch: Der deutsche Arbeitsmarkt ist nicht nur mangels Masse virtuell. Er ist es auch deshalb, weil der Staat immer noch meint, die Gesetze von Angebot und Nachfrage aushebeln zu können.

Erst vor einer Woche bewies die Pleite der Personalservice-Agenturen, wohin dieses Denken führt. Monatelang hatten die Betreiber erfolgreicher Stellenbörsen im Internet gemeinsam mit den Zeitungsverlegern gewarnt, das Onlineportal gefährde ihre Geschäftsgrundlage.

Arroganz und Dummheit

In arroganter Manier überging die Behörde diese Bedenken. Nun aber ist es kaum zu fassen, wie dilettantisch das Portal gestaltet ist und wie langsam es arbeitet. Dazu kommt, dass sich unseriöse Anbieter breit machen und die Not der Arbeitslosen auszunutzen versuchen.

Der Verwaltungsrat der Behörde muss sich wieder einmal fragen lassen, was für eine Kontrolle er denn überhaupt ausübt. Die Vertreter von Arbeitgebern, Regierung und Gewerkschaften schützen sich selbst, indem sie Weise für sein rasches Handeln loben. Aber unklar bleibt, warum sie den Ex-Manager an die Spitze geholt haben - er kennt sich zwar gut aus, ist aber als früherer Vize Gersters für die teuren Fehler ebenso verantwortlich wie dieser selber.

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