Kommentar:Unfair mit Ansage

Die Menschen leben immer länger, das muss bei der Rentenpolitik berücksichtigt werden. Aber die Probleme liegen nicht beim Festsetzen des Rentenniveaus. Es muss denen geholfen werden, die von Altersarmut stark bedroht sind.

Von Alexander Hagelüken

Noch in den Nullerjahren zählten amtliche Statistiker die über Hundertjährigen gar nicht eigens. Inzwischen schon. Glaubt man UN-Prognosen, wurde es höchste Zeit. 2050 soll es mehr als 100 000 Bundesbürger geben, die älter als 100 Jahre sind.

Die Deutschen leben immer länger, wie schön. Politisch verantwortungsvoll wäre es, das Alterssystem daran anzupassen, ohne manche Generationen zu benachteiligen. Leider hat das, was die deutschen Parteien derzeit vorrangig diskutieren, wenig mit Verantwortung zu tun.

Auf Wunsch der SPD formuliert die designierte neue Regierung das Ziel, das Rentenniveau bei 48 Prozent zu stabilisieren. Das klingt sympathisch. Das Rentenniveau gibt ja an, wie viel Altersgeld ein früherer Durchschnittsverdiener bekommt, vergleicht man ihn mit aktuellen Durchschnittsverdienern. Seit den 70erJahren schrumpfte das Rentenniveau von 60 auf 48 Prozent, passiert nichts, dürfte es unter 40 Prozent fallen. Wer hart gearbeitet hat, soll besser mit dem Lebensstandard jetziger Beschäftigter mithalten, so das Ziel. Sympathisch, wie gesagt. Wer aber nicht klärt, wie es zu bezahlen ist, wenn die Deutschen weiter mit Mitte 60 in Ruhestand gehen und Zehntausende von ihnen sogar über 100 werden, ist unsympathisch unseriös.

Nun wollen Union und SPD die 48 Prozent offiziell nur bis 2025 halten. Das ist bezahlbar, falls die Konjunktur läuft. Manche aus der SPD machen kein Hehl daraus, dass sie das Rentenniveau länger stabilisieren wollen. Das ist immerhin ehrlich. Ist die Marke von 48 Prozent einmal etabliert, wird es in einem Land zunehmend älterer Wähler ohnehin schwer, sie wieder zu kippen. Die Linke und Gewerkschaften fordern sowieso über 50 Prozent.

Eine gerechte Rentenpolitik kümmert sich auch um die Jüngeren

Damit müssen die entscheidenden Fragen auf den Tisch. Bis Ende der 2030erJahre hören die geburtenstarken Jahrgänge zu arbeiten auf. Das Rentenniveau bis dann bei 48 Prozent zu halten, katapultiert den Beitrag für die Alterskasse von unter 20 Richtung 30 Prozent. Fast 30 Prozent des Lohns für die Senioren? Das ist gegenüber Jüngeren und Jungen unfair.

Es wird nur unwesentlich besser dadurch, dass der Arbeitgeber den halben Beitrag bezahlt. Das ist letztlich Geld, das der Arbeitnehmer sonst als Lohn erhalten könnte. Und zusätzlich werden Jobs gegenüber Robotern verteuert. Ähnlich halbrelevant ist die Überlegung der SPD, den Steuerzuschuss zu erhöhen. Das verteilt die Belastung stärker auf Firmen - doch die Beschäftigten zahlen auch hier. Und zwar für 48 Prozent Rentenniveau, das die Jüngeren von heute selbst kaum erhalten werden, weil es dann endgültig keiner mehr bezahlen kann. Dazu kommen ja noch höhere Gesundheitskosten durch die Alterung und die ungedeckten Beamtenpensionen.

Eine faire Reform sieht anders aus. Sie verteilt die Kosten besser zwischen den Generationen. Sie stoppt den Beitrag knapp über 20 Prozent. Sie kassiert teure Geschenke wie den Ruhestand mit 63 für die grundsätzlich gut versorgten Senioren von heute. Sie lässt Staatsdiener angemessen zu ihren Altersbezügen beitragen. Und sie lässt Bürger, die es können, etwas länger arbeiten.

Dies alles sollte die Expertenkommission durchrechnen, die Union und SPD planen. Dann lässt sich sagen, wo das Rentenniveau stabilisiert werden kann. Vielleicht nicht bei 48 Prozent, aber sicher in einer gewissen Nähe.

Was weniger dramatisch wäre, als manche Politiker suggerieren. Das Rentenniveau ist kein Allheilmittel gegen Altersarmut. Es gilt nur für Durchschnittsverdiener, die volle 45 Jahre Beiträge zahlten. Von Altersarmut sind andere bedroht: Geringverdiener, Frauen in der Teilzeitfalle, gesundheitlich Angegriffene. Um sie muss sich die Politik besonders kümmern, nicht um Durchschnittssenioren. Und SPD und Union haben da ja auch gute Ideen. Mehr Erwerbsminderungsrente etwa und ein Rückkehrrecht aus Teil- in Vollzeit, ja, auch das zählt dazu - gute Rentenpolitik beginnt nicht erst mit 65, sondern vorher.

Die Gefahr ist, dass ein sorgfältiges Konzept für eine Zukunft mit Hundertjährigen untergeht, weil die Parteien mit schnellen Geschenken die über 55-Jährigen ködern. Die stellen heute schon jeden zweiten Wähler.

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