Kommentar:Sei doch mal langweilig

China - Tesla S

Ein Tesla S steht bei der Auto China 2016 Motor-Show.

(Foto: Wu Hong/dpa)

Tesla-Chef Elon Musk begeistert seine Kunden. Das soll er gerne machen. Aber wenn es um seine Anleger geht, sieht die Sache anders aus.

Von Bastian Brinkmann

Das tote Reh war Elon Musk dann doch zu viel. Der Tesla-Gründer war bei einer bekannten Youtube-Show zu Gast, um lustige Internetbildchen zu bewerten. Die britische Königin steht auf einem schwarz-weiß gekachelten Boden wie eine Spielfigur auf einem Schachbrett: sehr lustig. Ein totes Reh liegt auf dem Grund eines Swimmingpools mit der Überschrift "Warum funktioniert mein Delfin nicht": gar nicht lustig, auch wenn Musk zuerst ein bisschen pubertär auflacht. Der Firmenchef im hochgekrempelten Hemd, impulsiv, schlagfertig: So lieben Musk-Fans ihren Elon.

Der US-Börsenaufsicht SEC ergeht es anders. Denn der Tesla-Chef veröffentlicht auf seinem Twitter-Kanal nicht nur mehr oder weniger lustige Internetbildchen, sondern auch Informationen, die den Aktienkurs des E-Auto-Herstellers beeinflussen. Die SEC hatte Musk auferlegt, kursrelevante Tweets von obersten Konzernjuristen genehmigen zu lassen. Weil er ohne diesen Check darüber getwittert habe, wie Teslas Stückzahlen sich entwickeln, hat er nach Ansicht der SEC gegen diese Auflage verstoßen. Die Behörde bringt den Fall nun vor Gericht. Tesla argumentiert, Musk habe nur Eckdaten wiederholt, die der Konzern schon vorher auf offiziellen Kanälen mitgeteilt habe. Wer bei diesem konkreten Tweet Recht hat, müssen nun die Richter entscheiden.

Musks Kommunikationsstil begeistert viele, weil er ganz anders klingt als andere Konzernchefs. "Meine Tweets sind buchstäblich das, was ich in diesem Moment denke, nicht sorgfältig gestalteter Konzernmist, der in Wahrheit nur banale Propaganda ist", hat er mal getwittert. Es geht in seinem Fall nicht darum, ob ein Konzernchef überhaupt twittern und sich nahbar geben darf. Das darf er natürlich, es kann ihm sogar helfen. Musk ist auf Twitter und über die Plattform hinaus eine gute Werbefigur für die Marke Tesla und den Elektrohype. Er hat Zehntausende Kunden dazu gebracht, per Vorkasse ein Auto zu kaufen und Monate darauf zu warten. Doch zu einer Aktiengesellschaft passt sein Kommunikationsstil nicht.

Denn an den Finanzmärkten muss ein Grundprinzip durchgesetzt werden, in den USA wie in Deutschland: Große Aktiengesellschaften müssen umfassend und regelmäßig Zeugnis ablegen, wie das Geschäft läuft. Denn die Anleger können nicht in die Fabriken schauen, fahren nicht bei den Vertretern mit, sehen nicht die Fortschritte der hauseigenen Forscher. Dieses Wissen liegt bei den Konzernen, sie müssen es aufbereiten und veröffentlichen.

Den Finanzbericht einer Firma zu lesen, macht keinen Spaß. Und das ist genau das Ziel

Ohne diese Informationen sind Finanzmärkte anfällig für Betrüger, die mit dem Geld der Anleger abhauen, nachdem sie ihnen das Blaue vom Himmel herunterlügen. Die ersten Gesetze, die das eindämmen sollten, hießen in den USA daher "blue sky laws", die Gründung der Aufsichtsbehörde SEC folgte in der großen Finanzkrise der 1930er Jahre. In Deutschland kümmert sich um die Börsenaufsicht die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, besser bekannt und besser auszusprechen unter ihrer Kurzbezeichnung Bafin. Die Finanzmärkte wurden richtigerweise im Laufe der Jahrzehnte immer strenger reguliert. Mittlerweile sind sie eine bürokratische Veranstaltung. Schon viele Monate vorher steht fest, wann ein Konzern seine Finanzdaten veröffentlichen wird. Der wertvollste Dax-Konzern SAP wird seine Jahreszahlen für 2019 übrigens am 28. Januar 2020 veröffentlichen, falls sich das schon mal jemand in den Kalender eintragen will. Überraschungen und Spaß bleiben dabei natürlich auf der Strecke. Das soll und muss so sein. Der Zweck der Finanzmärkte ist nicht Spaß, sondern aus Sicht von Privatanlegern der langfristige Vermögensaufbau. "Langfristig" und "langweilig" klingen nicht ohne Grund ähnlich.

Das bestehende System der Veröffentlichungspflichten ist nicht perfekt. Manchmal werden wichtige Informationen, beispielsweise über anstehende Strafzahlungen oder unverhältnismäßig steigende Vorstandsgehälter, in Fußnote 218 auf Seite 77 einer Veröffentlichung versteckt, wo sie erst Tage später oder gar nicht entdeckt werden. Manchmal kommunizieren Konzerne extra niedrige Erwartungen an sich selbst, um sie dann - wie toll sind wir denn! - mit Applaus aus den eigenen Reihen zu übertreffen. Manchmal lauern Risiken in Unternehmen, die aus den offiziellen Zahlen nicht ersichtlich sind. Und manchmal verstoßen Konzerne gegen die Regeln, absichtlich oder unabsichtlich.

Trotz aller Einschränkungen: Die Richter müssen und werden das Prinzip der Transparenz im Fall Tesla verteidigen - in einem hoffentlich langweiligen Urteil.

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