Kommentar:Schlechte Inszenierung

Etwas anderes als virtuelle Hauptversammlungen wird es wegen der Corona-Pandemie in diesem Jahr nicht geben, um die Menschen zu schützen. Das hat Vor- und Nachteile. Auf Dauer ist ein hybrides Aktionärstreffen der richtige Weg.

Von Elisabeth Dostert

Werner Baumann, der Chef des Agrochemie- und Pharmakonzerns Bayer, fackelte nicht lange. Kaum war das Gesetz zur Milderung der Covid-19-Pandemie Ende März veröffentlicht, verkündete der Konzern, seine Hauptversammlung wie geplant am 28. April zu veranstalten, aber eben nicht als Präsenzveranstaltung, sondern virtuell. Andere folgten. Die virtuelle Hauptversammlungssaison ist längst nicht vorbei, ein paar Lehren lassen sich schon ziehen.

Um Menschen vor der Ansteckung mit dem Virus Sars-CoV-2 zu schützen, sind virtuelle Hauptversammlungen eine gute Sache. Die soziale Distanz ist auf alle Fälle gewahrt. Gepaart mit der elektronischen Ausübung des Stimmrechts können Menschen teilnehmen, ohne ins Flugzeug, die Bahn oder ins Auto zu steigen und sich Risiken auszusetzen. Ganz nebenbei dürfte so auch die Umweltbelastung eines virtuellen Treffens geringer sein als die eines physischen. Mit dem richtigen technischen Equipment und Internetzugang können Aktionäre von überall in der Welt zuschauen und abstimmen. Geld sparen auch die Konzerne, sie müssen keine Kongress- oder Messehallen mieten. Das Buffet fällt sowieso aus.

In diesem Jahr, und vielleicht auch noch im nächsten, ist die virtuelle Hauptversammlung wohl die einzige Möglichkeit für Aktionäre und ihre Vertreter, Vorstand und Aufsichtsrat zeitnah zum abgelaufenen Geschäftsjahr Fragen zu stellen. Das Online-Format hat aber einige Mängel. Die Aktionäre dürfen fragen, ein Auskunftsrecht haben sie nicht. Viele Anteilseigner nutzen das Recht allerdings nicht, das war schon immer so und ist in diesem Jahr nicht anders. Die Mehrheit schweigt virtuell und physisch. Konzerne verlangen, dass die Fragen schon vor der Hauptversammlung eingeschickt werden. Der Vorstand kann sie dann thematisch bündeln. Diese Möglichkeit wurde viel genutzt. So wirkte der Livestream oft wie einstudiertes schlechtes Theater. Kritische Worte ohne Frage? Fehlanzeige. Reine Meinungsäußerungen? Unerwünscht. Nachfragen während der Veranstaltung nicht gestattet, obwohl sie technisch und gesetzlich möglich wären. Fragen zur Rede des Vorstands? Geht so. Die Deutsche Bank stellte sie vorher online, Bayer hinterher. Proteste von Umweltschützern? Wegen Kontaktsperren und Versammlungsverbot bislang fast nicht möglich. Der Protest fand überwiegend in sozialen Netzwerken statt. Nie waren sich Manager und Demonstranten so fern wie in diesem Jahr. Manchem Vorstand mag das ganz genehm sein.

Eine Mischung aus virtuellem Auftritt und echter Präsenz ist die Zukunft

Virtuell gibt es keine Debatte und keinen Dialog, an der vielleicht der ein oder andere Aktionär sein Abstimmungsverhalten orientiert. Es gibt keine Überraschungen, weil die Manager wie in Präsenzveranstaltungen eine spontan gestellte Frage nicht oder nur holprig beantworten können und Lücken zeigen. Im virtuellen Format hatten sie und ihre Zuarbeiter tagelang Zeit, die Antworten gerichtsfest zu formulieren. Die Regie führt das Unternehmen, es allein bestimmt, sein Bild in der Öffentlichkeit. Das darf nicht sein. Aktionäre müssen sich im Austausch mit anderen von ihrer Firma selbst ein Bild machen können.

Solange kein Impfstoff gegen Sars-CoV-2 zugelassen ist und sich genügend Menschen impfen lassen, bleiben Massenveranstaltungen ein Risiko. Auf Dauer ist die Kombination aus virtuellem Auftritt und Präsenzveranstaltung der richtige Weg. So können sich an der Debatte viel mehr Menschen beteiligen, weil sie nicht reisen müssen. Das eröffnet den Konzernen die Chance, neue Investoren zu gewinnen. Die hybride Hauptversammlung braucht aber sehr viel mehr Transparenz und Austausch als das virtuelle Format in der jetzigen Form. Aktionäre, die sich nur online beteiligen, müssen die gleichen Rechte haben wie die im Saal. Es muss möglich sein, auch während der Veranstaltung elektronisch Fragen zu stellen. Die Reden der Manager, aber auch die der Investoren und ihre Fragen sollten vor der Hauptversammlung online gestellt werden. Die Unternehmen müssen beweisen, dass sie moderne Veranstaltungsformate nicht dazu nutzen, um die Distanz zu den Aktionären noch zu vergrößern.

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