Kommentar:Sanfter Zwang

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Betriebsrenten sind eine gute Idee. Aber gerade die, die sie am nötigsten haben, sorgen am wenigsten vor. Und die Unternehmen sparen - höchste Zeit für Reformen.

Eigentlich steckt hinter der Betriebsrente eine gute Idee. Legen viele Mitarbeiter über ihren Arbeitgeber Geld zurück, kostet das normalerweise weniger, als privat für einen finanziell besser abgesicherten Ruhestand vorzusorgen. Für die Arbeitnehmer ist eine betriebliche Altersversorgung umkomplizierter. Sie müssen sich nicht lange damit herumquälen, welcher Vertrag und welcher Anbieter am besten für sie ist. Für die Unternehmen ist die Betriebsrente eine gute Möglichkeit, um Fachkräfte an sich zu binden. Diese gute Idee hat sich allerdings in Deutschland zu einem Modell mit einigen gravierenden Mängeln entwickelt. Die Bundesregierung müsste die Altersvorsorge über die Firma deshalb grundlegend reformieren.

Im Jahr 2030 werden Rentner nicht einmal die Hälfte von dem, was sie netto im Monat verdient haben, als gesetzliches Altersgeld bekommen. Diese Senkung des Rentenniveaus trifft vor allem Menschen, die Lücken im Berufsleben haben und lange arbeitslos waren. Es trifft die Millionen Geringverdiener und die, die als Selbständige mit Mini-Verdienst ihr Glück versuchten. Gerade die, die es besonders nötig hätten, sorgen aber oft nicht zusätzlich mithilfe ihres Arbeitgebers vor.

In den Betrieben gibt es bei der Altersversorgung eine Klassen-Gesellschaft

Bei der Betriebsrente gibt es eine Klassengesellschaft. 40 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten haben keine Ansprüche auf betriebliche Alterssicherung. In Klein- und Mittelbetrieben ist diese oft wenig verbreitet. Wer einen Teil seines Gehalts für eine spätere Betriebsrente ausgibt, wird vom Staat seit 2002 kräftig unterstützt. Aber nicht einmal jeder Zehnte mit einem Brutto-Stundenlohn von zehn Euro oder weniger nutzt diese steuer- und sozialabgabenfreie Entgeltumwandlung. Hinzu kommt ein weiteres Problem: Die Neigung der Unternehmen, aus der Firmenkasse Geld für die Altersversorgung ihrer Mitarbeiter zurückzulegen, ist in den vergangenen Jahren stark geschwunden.

Durch immer mehr Betriebe zieht sich bei der Rente vom Chef ein großer Graben: Je älter und je länger ein Arbeitnehmer angestellt ist, desto besser ist in der Regel seine betriebliche Altersvorsorge, weil die Unternehmen Betriebsrenten aus eigenen Mitteln für neu Eingestellte ganz abschaffen oder kürzen. Die niedrigen Zinsen verstärken diesen Sparkurs. Denn dann müssen die Unternehmen noch mehr Geld zurücklegen, um in Zukunft die Pensionen zahlen zu können.

Was also tun? Die niedrigen Zinsen lassen sich nicht einfach ändern. Die Bundesregierung kann aber neue Anreize schaffen und sanften Druck ausüben, um die Betriebsrente populärer zu machen.

Seit 2002 haben Beschäftigte ein Recht auf eine Betriebsrente, jedoch nur, wenn sie es wünschen. Nur dann muss das Unternehmen einen Teil des Gehalts in eine Pensionskasse oder etwa eine Direktversicherung für eine spätere Betriebsrente stecken. Aus dieser Holschuld des Arbeitnehmers muss eine Bringschuld des Arbeitgebers werden. Die Bundesregierung sollte jeden Betrieb verpflichten, ein attraktives Angebot für eine solche Altersversorgung zu machen. Diese wird automatisch Teil des Arbeitsvertrags, es sei denn, der Arbeitnehmer widerspricht ausdrücklich. Dieses Modell praktizieren andere Länder längst mit Erfolg. In Großbritannien ist der Anteil der Beschäftigten, die sich so eine Zusatzversorgung aufbauen, von 55 auf gut 90 Prozent gestiegen.

Der sanfte Zwang allein wird allerdings nicht reichen. Noch immer werden Betriebsrenten auf die staatliche Grundsicherung im Alter, also die Sozialhilfe für arme Rentner, angerechnet. Diesen Fehlanreiz sollte die Bundesregierung entweder streichen oder durch großzügige Freibeträge mildern. Auch die doppelte Krankenkassenpflicht auf Betriebsrenten muss weg. Sie führt zu krassen Einbußen bei der Auszahlung und benachteiligt Betriebsrentner gegenüber gesetzlich versicherten Ruheständlern mit einem Riester-Vertrag, die nur die Hälfte des Kassenbeitrags zahlen müssen.

Außerdem müsste es eine Pflicht für Unternehmen geben, die Sozialabgaben, die sie in der Einzahlungsphase für die spätere betriebliche Altersvorsorge sparen, zum Beitrag des Mitarbeiters hinzuzulegen. Das hat der Arbeitnehmerflügel der CDU gerade völlig zu Recht vorgeschlagen. Geschieht dies nicht, macht der Beschäftigte ein schlechtes Geschäft: Sein Arbeitgeber spart Lohnnebenkosten auf seine Kosten, und auf sein Konto bei der gesetzlichen Rentenversicherung fließt dafür weniger Geld.

Der großen Koalition fehlt jedoch der Mut zu solchen Reformen. Stattdessen doktert sie an Symptomen herum. Bleibt es dabei, wird die Altersarmut in Deutschland zukünftig deutlich zunehmen.

© SZ vom 17.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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