Kommentar:Ruck rückwärts

Wie ernst die Lage ist, dürfte nun jedem klar sein. So, wie die Sozialsysteme gestrickt sind; so, wie das Steuerrecht angelegt ist; so, wie der Wohlstand erworben und verteilt wird - so ist dieser Wohlstand nicht mehr zu sichern, wenn er allen zugute kommen soll.

Wolfgang Roth

Über die Details des Reformwerks, an dem das Land nicht mehr vorbeikommt, mag und muss man heftig streiten. Positiv an der Debatte ist, dass weder Regierung noch Opposition das kurzfristig Machbare mit dem langfristig Notwendigen verwechseln.

Alle sprechen davon, das alles könne nur ein erster Schritt sein; die Arbeit am Steinbruch müsse nun kontinuierlich weitergehen. Im Blick ist die Zukunft.

Grandioses Bohei um Dosenpfand

In scharfem Kontrast dazu steht eine in die Vergangenheit gerichtete Sicht der Umweltpolitik. Sie ist gut festzumachen an zwei aktuellen Streitthemen: zum einen am Koalitionskonflikt in Nordrhein-Westfalen, zum anderen an dem grandiosen Bohei um das so genannte Dosenpfand.

Es ist ein legitimes Mittel staatlicher Ordnungspolitik, die Mehrwegquote auf dem Getränkemarkt mit Rücknahmepflichten und Pfandlösungen zu unterstützen, obwohl es einfachere Instrumente gäbe.

Dies ist allerdings ein derart randständiges, unbedeutendes Feld der Umweltpolitik, dass man sich schon fragen muss, warum sich die Politiker, vor allem die der Opposition im Bund, dem Thema mit solcher Besessenheit widmen - die in der Regierung wenden halt bisher mangels Unterstützung genau die Rechtslage an, die ihren Vorgängern sehr gefiel, als sie noch in der Regierung waren.

Mit ganzer Kraft in den Kleckerkram

Das Ganze hat viel damit zu tun, dass jeder im Volk eine Blechdose von einer Glasflasche unterscheiden kann, weshalb die Abgeordneten glauben, sich mit ganzer Kraft in derlei Kleckerkram stürzen zu müssen.

Ums Prinzip geht es allerdings, wenn in Düsseldorf der Ministerpräsident verkündet, nun müsse die Schaffung von Arbeitsplätzen Vorrang vor Umweltschutz haben. Sowas im Jahr 2003 vom höchsten Repräsentanten eines nicht ganz unbedeutenden Bundeslandes zu hören, tut schon weh.

Hat Peer Steinbrück niemanden, der ihm erzählt, dass der Markt für Umweltschutzgüter und -dienstleistungen zu den am stärksten wachsenden Wirtschaftssektoren dieses Jahrhunderts zählen wird?

Mehr Menschen in Lohn

Dass deutsche Unternehmen in diesem Bereich schon jetzt einen Welthandelsanteil von 17 Prozent haben, nur knapp von den großen USA übertroffen, Tendenz auch deshalb steigend, weil die Beitrittsländer zur EU im Umweltschutz erheblichen Nachholbedarf haben? Und dass Umweltschutz weit mehr Menschen in Lohn bringt als beispielsweise der Maschinen- und Fahrzeugbau?

Übrigens ist die Förderung der Solarenergie in Deutschland erstens und zweitens und drittens Technologieförderung, weil die Strom-Ausbeute aus dieser Quelle zwischen Flensburg und Garmisch noch lange marginal bleiben wird. Aber ist es falsch, Zukunftstechnik zu unterstützen, egal, wo sie in großem Umfang zur Anwendung kommt?

Windräder gegen Steinkohle auszuspielen, den Metrorapid gegen Naturschutzgebiete, ist in Düsseldorf anscheinend wieder en vogue - als hätte es nie eine Konferenz in Rio gegeben.

Gilt auch in Düsseldorf

Nur Ignoranten können leugnen, dass ökonomische und sozial gerechte Entwicklung untrennbar mit dem Umweltschutz verbunden ist - und notwendige Voraussetzung für inneren und äußeren Frieden, könnte man hinzufügen. Das gilt im Großen wie im Kleinen, also auch in Düsseldorf.

Windkraft wird mit zunehmendem Schwund fossiler Energie zwangsläufig immer wichtiger; Steinkohle wird trotzdem noch länger gebraucht, weil die nur mit ihr die Stromversorgung bei einem Ausstieg aus der Kernkraft aufrechtzuerhalten ist.

Das wirksamste Mittel zum Gegensteuern ist jedoch moderne Technik zum Einsparen von Energie. Ist Umweltschutz. Bringt Arbeitsplätze. Peer Steinbrück weiß das natürlich auch, aber seine Zuspitzungen haben die Qualität steinzeitlichen Keilhandwerks.

Verfehlte Siedlungs- und Verkehrspolitik

Für Mobilität und Wachstum stehen Flughafen, Metrorapid und gute Autobahnen. Dass ein erheblicher Teil der nachgefragten Mobilität eine Folge verfehlter Siedlungs- und Verkehrspolitik ist, spielt dabei keine Rolle.

Es ist die alte End-of-Pipe-Denke, die fröhliche Urständ feiert. Mehr Autos - breitere Straßen - bessere Vergaser. Mehr Flugverkehr - neue Startbahnen. Allerdings scheiterte der Transrapid bisher in Deutschland an schlichten Kosten-Nutzen-Rechnungen.

Reichlich irrational

Und die Bewohner der Regionen, die von Flugverkehr und Autobahnspangen umzingelt sind, entwickeln einen starken Drang, den Feierabend und das Wochenende in Nah-Erholungsgebieten zu verbringen. Es scheint sich dabei um ein Grundbedürfnis zu handeln, dem rationale Ökonomie Rechnung zu tragen hat. Insofern denkt, wer Naturschutz als drittrangig ansieht, reichlich irrational.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident ist kein Solitär, das macht die Sache so bedenklich. Leise sind in den großen Volksparteien die Stimmen derer geworden, denen Umweltpolitik mehr bedeutet als eine Liebhaberei in guten Zeiten.

Klaus Töpfer, der ehemalige Bundesminister der CDU, arbeitet nun weit weg, bei den Vereinten Nationen in Nairobi. Die Forderung, Arbeitsplätze müssten Vorrang vor Umweltschutz haben, wäre geeignet, ihn zum Weinen zu bringen.

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