Landflucht:Rettet die Dörfer!

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Im oberfränkischen Hassenberg haben Supermarkt, Bäcker und Metzger im Ortskern längst geschlossen. (Foto: picture alliance / dpa)

In Deutschland bluten ganze Regionen aus. Alte Häuser verfallen, die Busse fahren bestenfalls vier Mal pro Tag und der nächste Arzt ist 20 Kilometer weit weg. Das kann so nicht weitergehen.

Kommentar von Susanne Höll

Ach, was soll man nur anstellen mit den Abermilliarden, die in die Staatskassen fließen? Die Politiker streiten, ob Steuern gesenkt, Sozialleistungen erhöht, Straßen gebaut oder Schulden getilgt werden sollen. Ein Vorschlag zur Güte: Bringt endlich Schwung in Dörfer und Kleinstädte. Denn die Lage in vielen ländlichen Regionen, im Westen wie im Osten übrigens, ist eine große nationale Schmach.

Die Rede ist nicht von den Siedlungen rund um prosperierende Metropolen, den sogenannten Speckgürteln. Dort lebt es sich ziemlich kommod, jedenfalls dann, wenn man ganz gut verdient. Es geht um, Pardon, jene Hungerriemen, jene Gegenden, die ihre florierenden Jahre hinter sich haben, weil Kohlegruben geschlossen sind, Lederfabriken auch und Tuchmanufakturen. Und um jene, die noch nie in den Genuss einigermaßen guter Zeiten gekommen sind.

Die bittere Bestandsaufnahme lautet: Diese Regionen bluten aus. Wer nach der Schule eine Ausbildungsstelle sucht, von einem Studienplatz ganz zu schweigen, wandert ab. Die Häuser der Eltern und Großeltern verfallen, die Busse fahren bestenfalls vier Mal pro Tag in den nächstgrößeren Ort, der Arzt ist 20 Kilometer weit weg, das nächste Krankenhaus auch. In einer solchen Gegend mag man nicht besonders gern leben.

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Die lamentable Lage kann man nicht allein den örtlichen Politikern zur Last legen. Die Bundesländer, die den verfassungsrechtlichen Auftrag haben, die Gemeinden finanziell anständig auszustatten, müssen in ihrer Mehrzahl in den Etats streichen, um die Schuldenbremse einzuhalten. Sie sparen anderslautender Bekundungen zum Trotz allzu gern auf Kosten der Dörfer und Städtchen.

Allein werden die Länder eine Kraftanstrengung zugunsten der ländlichen Regionen also nicht stemmen können. Der Bund muss sich engagieren, weitaus stärker als bislang. Keine Sorge, der deutsche Föderalismus wird dadurch nicht aus den Fugen gehoben. Im Gegenteil. Er wird auf die Füße gestellt. Schließlich ist die Herstellung gleichartiger Lebensverhältnisse eine Vorgabe im Grundgesetz und damit eindeutig eine gesamtstaatliche Pflicht.

Nun ist Landflucht kein neues Phänomen, der Wohlstand Deutschlands und anderer Länder beruht zu einem Gutteil auf dem Drang in die Städte. Warum soll man kleine Nester mit viel Aufwand am Leben halten, aus denen die tatkräftigen Leute fliehen und nur noch Alte verharren? Weil es politisch, ökologisch und ökonomisch vernünftig ist. Nicht jede Gemeinde kann eigenständig bleiben, Zusammenschlüsse und Kommunalreformen sind unausweichlich, wenn auch künftig Lampen brennen und die Straßen geteert sein sollen. Aber wer ganze Regionen verwahrlosen lässt, nährt Radikale jedweder Couleur und vergeht sich an Millionen Menschen. Denen, die gern in ihren Dörfern leben und denen, die gern hinzögen, vorausgesetzt, die Umstände wären akzeptabel.

Von der Stadt aufs Dorf? Genau. Das ist eine Alternative für Paare, die ihre Miete in den Zentren nur mit Mühe und zwei Einkommen leisten können und keinen Platz für ein Kinderzimmer haben. Oder jene Berufstätigen, die in München, Hamburg oder Frankfurt leben, aber als Rentner die hohen Preise mit Sicherheit nicht mehr zahlen können. Und vor allem die Polizisten, Krankenschwestern und Erzieher, die bislang im Umland wohnten, aber vertrieben werden von Besserverdienenden, die in den Metropolen keine passende Unterkunft mehr finden.

Die ländlichen Gegenden brauchen vor allem vier Dinge: Einen schnellen Ausbau der Breitbandnetze, einen besseren Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel bis hin zu staatlich finanzierten Sammeltaxis am frühen Morgen und am späten Abend. Wichtiger noch sind exzellente Kitas und Schulen, die Familien Lust aufs Land machen und für die Eltern die Last täglicher Pendelfahrten in Kauf nehmen.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Bei der Hilfe für die Landgemeinden geht es nicht um eine Verhübschung durch Pflanzenkübel oder gusseiserne Wasserspeier. Es geht, kurz gesagt, um den Erhalt von Kulturlandschaften. Und die Gemeinden selbst müssen einen Beitrag erbringen. Wer Neubaugebiete ausweist, während die Immobilien im Ortskern verkommen, soll keine Förderung erhalten. Wer die Öffnungszeiten von Krippen und Kindergärten nach Bedürfnissen auch von Schichtarbeitern ausrichtet, könnte dagegen belohnt werden. Das kann und soll ein Soli für die Dörfer leisten.

Es ist Zeit, dass man ihnen im Zweifel den Vorzug vor den Städten gibt, die bekanntlich mit lauter Stimme klagen. Das Geld ist schließlich da.

© SZ vom 29.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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