Kommentar:Retter gesucht

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Die Welthandelsorganisation muss dringend reformiert werden. Wie so oft hängt viel an US-Präsident Trump. Doch anstatt nach einer Lösung zu suchen, blockiert der nur.

Von Björn Finke

Es könnte die Chance für einen Neuanfang sein - oder Anlass für eine Eskalation des Disputs mit den USA. Roberto Azevêdo, Generaldirektor der Welthandelsorganisation WTO, tritt Ende August vorzeitig ab. In den kommenden Wochen müssen sich die 164 Mitgliedstaaten auf einen Nachfolger einigen. EU-Handelskommissar Phil Hogan verkündete nun, er wolle gern als gemeinsamer europäischer Kandidat antreten. Doch es könnten noch andere Politiker vom Kontinent Interesse anmelden. Oder vielleicht erhält die Genfer Organisation erstmals einen Chef aus Afrika: Kenias frühere Außenministerin Amina Mohamed wird oft als mögliche Kandidatin genannt.

Und die WTO ist wichtiger denn je: Sie ist ein Forum, in dem sich Regierungen auf verbindliche Regeln für den Welthandel einigen. Das soll Exporte fördern und verhindern, dass schlicht das Recht des Stärkeren gilt, das Gesetz des Dschungels. Freihandel bringt Wohlstand und Jobs, aber diese Segnungen sind jetzt in Gefahr. US-Präsident Donald Trump bricht Handelsstreitigkeiten vom Zaun, und die Pandemie mit ihren Lieferengpässen verschafft all jenen Rückenwind, die schon immer gefordert haben, mehr zu Hause zu produzieren und weniger einzuführen. Da wird eine kraft- und wirkungsvolle WTO als Gegengewicht gebraucht. Leider ist die Organisation das im Moment nicht.

Aus EU-Sicht ist es sicher wünschenswert, würde demnächst wieder ein Europäer die Organisation führen. Und die Chance ist größer, wenn sich alle europäischen Staaten hinter einen Kandidaten scharen, sei es nun Hogan oder jemand anderes. Doch tatsächlich muss es fast schon als Erfolg gelten, wenn die Berufung eines neuen WTO-Chefs überhaupt gelingt - und dieser das Format hat, die Organisation aus der Krise zu steuern. Schließlich besteht das Risiko, dass Trump die Wahl eines Nachfolgers für Azevêdo blockiert.

Dieser Gedanke ist erschreckend naheliegend: Washington blockiert bereits seit Jahren die Ernennung von Richtern für das WTO-Berufungsgericht, die letzte Instanz bei Streitschlichtungsverfahren. Das Gremium ist deswegen seit vorigem Dezember nicht mehr arbeitsfähig. Das schwächt die WTO enorm, denn ist das Gericht lahmgelegt, bleiben Regelverstöße ungesühnt.

Der bisherige WTO-Chef Azevêdo nannte die Blockade als einen Grund für seinen vorzeitigen Abgang. Der Brasilianer ist nicht schuld an der Malaise, allerdings litt er unter dem Makel, nur ein Karrierediplomat zu sein und kein politisches Schwergewicht. Sein Nachfolger muss nun unbedingt ein respektierter und erfahrener Politiker sein - wie etwa Hogan oder Amina Mohamed. Das könnte es erleichtern, einen Kompromiss mit den USA zu finden.

Dieser Streit dreht sich um zwei Punkte: Erstens wirft die US-Regierung dem Berufungsgericht vor, Kompetenzen zu überschreiten. Zweitens klagt Washington allgemein, dass WTO-Regeln veraltet seien und den Aufstieg Chinas zur aggressiven Wirtschaftsmacht nicht abbildeten. So behandelt die WTO China weiterhin als Schwellenland; für Peking gelten laxere Vorgaben. Außerdem kann China mit seinen Staatskonzernen Vorschriften zu Subventionen umgehen. Trump argumentiert daher, dass die Genfer Organisation die USA benachteilige, zugunsten Chinas.

Die Kritik wird von anderen Industriestaaten geteilt. Es herrscht Konsens, dass die WTO reformbedürftig ist. Schon vor der Blockade durch die USA konnte die Organisation lange keine Erfolge mehr verzeichnen: Die sogenannte Doha-Runde, die weltweit Zölle senken sollte, versandete ohne Ergebnis. Es ist bereits sieben Jahre her, dass sich Regierungen zuletzt auf ein wichtiges WTO-Abkommen einigen konnten - einen Vertrag, der Bürokratie für Exporteure mindert.

Die Situation ähnelt der bei der Weltgesundheitsorganisation WHO: Washington kritisiert den Umgang mit China, viele Staaten können manche Vorwürfe nachvollziehen, doch anstatt gemeinsam nach Lösungen zu suchen, legt es Trump darauf an, die Organisationen zu schwächen.

Bereits Ende April - vor Azevêdos Rücktrittsankündigung - schrieb EU-Handelskommissar Hogan der amerikanischen Regierung, er wünsche sich, dass die EU und die USA gemeinsam die Initiative bei einer WTO-Reform übernähmen. Jetzt könnte Hogan Kandidat für den Chefposten bei der Organisation werden. Vielleicht begreift Washington den Wechsel als Chance, um Missstände bei der WTO zu beheben und die Organisation zu stärken - zum Wohle des Welthandels und zum Wohle der eigenen Wirtschaft. Oder aber Trump bleibt destruktiv. Europa kann nur abwarten. Und hoffen.

© SZ vom 03.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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