Kommentar:Reisekonzern im Risiko

Das neue Hilfspaket für die Tui wirkt vielversprechend. Vor allem aber der Staat begibt sich auf einen gefährlichen Weg.

Von Lea Hampel

Auf den ersten Blick sieht das neue Rettungsprogramm für den Reisekonzern Tui aus wie ein solider Kompromiss: Geld vom Staat, aber auch von privaten Investoren, neue Kredite von den Banken und etwas Mitsprache für die hinzugekommenen Geldgeber. Alle machen ein bisschen mit, alle stecken ein bisschen zurück - und letztendlich werden alle profitieren, wenn die Pandemie vorbei ist. Wirklich?

Die Euphorie des Konzerns, und übrigens auch des Bundeswirtschaftsministeriums, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass alle Beteiligten ein erhebliches Risiko eingehen - insbesondere der Staat. Auch wenn jetzt ein anderer Eindruck erweckt wird: Die Probleme von Tui reichen weiter als die durchaus fremdverschuldete Krise, und sie werden sich weder durch eine große Menge Geld noch durch einen Impfstoff sofort erledigen. Die Risiken, mit denen das Unternehmen und damit die Geldgeber weiterhin rechnen müssen, zeigen sich schon beim Blick zurück.

So gab es bereits im Jahr 2019 zwei Gewinnwarnungen, unter anderem sorgten der Ärger um den Brexit sowie die Boeing 737 Max für Unruhe. Zwar hatte der Konzern in den Monaten vor Ausbruch der Corona-Pandemie die besten Buchungszahlen seiner Geschichte, doch dazu dürfte auch die Pleite eines der größten Konkurrenten, Thomas Cook, beigetragen haben.

Viele Kunden sind auf ihren bisherigen Lieblingsanbieter schlecht zu sprechen

Das Krisenmanagement seit Beginn der Pandemie ist an vielen Fronten denkbar unglücklich: Der Konzern hat es sich durch schlechte Erreichbarkeit und Ärger um Provisionsrückzahlungen mit dem stationären Vertrieb verscherzt. Dort werden bisher 75 Prozent aller Reisen verkauft, und so mancher Geschäftspartner spielt mit dem Gedanken, sich von Tui als Hauptpartner zu trennen. Auch mit den Dienstleistern gab es Probleme. Anfang des Jahres klagten Hoteliers in Thailand über ausbleibende Zahlungen, kürzlich kamen Beschwerden aus der Türkei, aus Griechenland und Spanien.

Nicht zuletzt in Deutschland gibt es viele Kunden, die auf ihren bisherigen Lieblingsanbieter schlecht zu sprechen sind: Weil sie auf ihr Geld für ausgefallene Reisen warten, weil sie - wie diese Woche ein Gerichtsurteil bestätigte - in dem Glauben gelassen wurden, nur umbuchen oder einen Gutschein nehmen zu können, aber keine Erstattungen zu erhalten. Zukunftsfähige Geschäftsbeziehungen zu Kunden und Partnern sehen anders aus.

Auch die derzeitige betriebswirtschaftliche Planung von Tui wirft Fragen auf. Ein Beispiel: Zwar liegen die Buchungszahlen für 2021 nach Angaben des Unternehmens in der Nähe dessen, was vor der Pandemie für 2020 eingegangen war. Wie hoch daran aber der Anteil der Umbuchungen aufgrund ausgefallener Reisen ist, für die kein neues Geld fließen wird, wird diskret verschwiegen. Chef Fritz Joussen selbst bezeichnet 2021 als Übergangsjahr, in dem mit Beschränkungen zu rechnen ist. Selbst im vergleichsweise ereignisarmen Jahr 2018 lag der Konzerngewinn nur bei 819 Millionen Euro. Da bleibt unklar, wovon in wenigen Jahren mehrere Milliarden Kredite zurückgezahlt werden sollen - selbst wenn 2022 genauso viele Menschen mit Tui reisen würden wie vor der Pandemie.

Und nicht einmal diese Normalisierung ist sicher. Viele Fragen zur Zukunft des Reisens sind offen: Zwar hat die Hoffnung auf einen Impfstoff viele Touristiker optimistisch gestimmt und den Tui-Aktienkurs nach oben getrieben. Aber selbst wenn es gelingt, Risikogruppen in westlichen Ländern bis zum Sommer 2021 geimpft zu haben, gilt das nicht für alle reisefreudigen Deutschen. Auch ist völlig unklar, wann in den Zielländern ein für die Bevölkerung wie die Besucher sicherer Reiseverkehr möglich ist. Zumal die bloße Option auf Impfung nicht bedeutet, dass sich Menschen wieder trauen, in Bussen, Bahnen und Boeings beieinander zu sitzen.

Dass mancher Deutsche nun entdeckt hat, wie reizvoll Camping im Inland oder der Trip ins Nachbarland ist, verbessert die Aussichten nicht. Wie zukunftsfähig dieses Geschäftsmodell ist, das zudem auf schnellen Flugzeug-Eskapismus in den Süden und Kreuzfahrten setzt, ist in Zeiten der nahenden Klimakrise zumindest fraglich.

Am aussagekräftigsten ist deshalb an der mehrseitigen Mitteilung der Tui zum Hilfspaket vermutlich der letzte Satz: "Wir arbeiten weiterhin an unterschiedlichen Nachfrageszenarien für die kommenden Saisons." Bleibt für den Steuerzahler zu hoffen, dass sich die optimistischeren dieser Szenarien bewahrheiten.

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