Kommentar:Reingefallen, Herr Gröhe!

Kommentar: Marc Beise erlebte bereits die Krise 2008 als SZ-Wirtschaftsredakteur. Es ist eine prägende Erinnerung. Illustration: Bernd Schifferdecker

Marc Beise erlebte bereits die Krise 2008 als SZ-Wirtschaftsredakteur. Es ist eine prägende Erinnerung. Illustration: Bernd Schifferdecker

Die Apotheker beharren auf ihren Privilegien, ihr Aufstand gegen günstigere Konkurrenten ist so maßlos wie durchsichtig. Nur nicht für den Gesundheitsminister.

Von Marc Beise

Ceta? Trump? Griechenland? Vergessen Sie's! Die größte Herausforderung dieser Tage ist der Überlebenskampf der deutschen Apotheker, anders kann man die wütenden Proteste der Funktionäre nicht verstehen, mit denen sie ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs attackieren. Die Richter haben es tatsächlich gewagt, das Grundprinzip des freien Warenverkehrs hochzuhalten, wie das ihr Job ist. Nur haben sie sich diesmal mit einer Branche angelegt, die überzeugt war, dass sie sakrosankt sei.

So wunderbar planwirtschaftlich ist das deutsche Gesundheitswesen organisiert, vom Einkaufspreis des (verschreibungspflichtigen) Medikaments bis zum Verkauf, dass es den Apothekern eine Freude ist. Man weiß, was man zahlt, was man bekommt und wie hoch der Profit ist; der Fachbegriff dafür heißt Preisbindung, die es nur in wenigen Branchen gibt. Wenn Internetapotheken aus dem Ausland günstigere Preise machen dürfen, bringt das einen Hauch von Wettbewerbs ins System - unerhört. Weil der EuGH grenzüberschreitend tätigen Versand-Apotheken das Recht auf Rabattierung zugestanden hat, heult die Branche nun lauter als jeder Wolf bei Vollmond.

Von einem "destruktiven Eingriff in die Rechtsordnung" ist die Rede, natürlich von einer "Geringschätzung pharmazeutischer Arbeit", einer "gewaltigen Provokation", die eine "europakritische Stimmung nährt" - sorry, aber ist es nicht eher ein europafreundliches Urteil? Macht nichts, nächstes Argument: Es könne doch wohl nicht sein, dass "ungezügelte Marktkräfte über den Verbraucherschutz im Gesundheitswesen triumphieren" - eigenartig nur, dass ausgerechnet Verbraucherschützer das Urteil ganz in Ordnung fanden. Selbst der Robin Hood der SPD, Gesundheitsprofessor Karl Lauterbach, hält sich mit Kritik auffallend zurück.

Der ganze Aufstand der Apotheker ist so maßlos wie durchsichtig, ein wütendes Beharren auf Privilegien, wie sie sonst kaum eine Branche hat im Land. Man hätte es nicht für möglich gehalten, dass jemand darauf ernsthaft hereinfallen könnte. Genau das aber ist jetzt passiert, und das Opfer ist kein Geringer als Hermann Gröhe, der Bundesgesundheitsminister, der es eigentlich wirklich besser wissen müsste. Er will nun gleich den ganzen Handel der Internet-Apotheken mit verschreibungspflichtigen Medikamente verbieten, potzblitz.

Zu Gröhes Ehrenrettung kann man vielleicht anfügen, dass sich in diesem Sinne auch schon Bayerns CSU geäußert hat, was den CDU-Minister in Berlin womöglich parteiintern unter Druck gesetzt hat. Bevor nun noch die FDP in Versuchung gerät, die seit Jahren den unmöglichen Spagat zwischen einer liberalen Programmatik und ihrem Apotheker-Klientel übt, rasch ein Blick auf die Fakten.

Wenn die Apotheker den Eindruck erwecken, ihr Geschäft werde jetzt von den anonymen Versandapotheken perforiert, hilft vielleicht der Hinweis, dass deren Marktanteil in Deutschland bei drei Prozent liegt. Auch wird niemand verpflichtet, günstiger im Netz einzukaufen, und viele Bürger werden es auch nicht tun - vorausgesetzt, sie erhalten im Laden einen guten Service: Hier könnte allerdings ein Teil des Problems liegen. Statt um die Gunst der Politiker sollten die Apotheker lieber um die ihrer Kunden kämpfen.

Auf Minister Gröhe sollten sie sich besser nicht verlassen. Ein Komplettverbot wäre ein eminenter Eingriff in den Wirtschaftskreislauf, der rechtlich und wirtschaftlich auf schwachen Füßen steht. Für eine Kehrtwende ist es nicht zu spät, noch liegt kein Gesetzentwurf vor; und jeder kann sich ja mal irren.

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