Arbeitszeit:Anwesenheitswahn in der Arbeit - das muss aufhören

Väter zwischen Job und Familie

Noch immer gibt es in Deutschland eine Anwesenheitskultur - und der Achtstundentag bröckelt.

(Foto: Roland Holschneider/dpa)

Arbeitgeber bringen den Zehn-Stunden-Tag ins Gespräch. Eine neue Debatte über die Arbeitszeit ist zwar richtig - doch wir müssen über ganz andere Dinge reden.

Kommentar von Thomas Öchsner, Berlin

Der Achtstundentag gehört zu den Errungenschaften der Arbeiterbewegung. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts forderte der walisische Sozialreformer Robert Owen: "Acht Stunden arbeiten, acht Stunden schlafen und acht Stunden Freizeit". In Deutschland ist der Achtstundentag seit 1918 vorgeschrieben. In den Sechzigerjahren entwickelte sich daraus die Fünftagewoche. "Samstags gehört Vati mir", hieß damals der Slogan der Gewerkschaften.

Seitdem hat sich viel verändert. Acht Stunden am Tag arbeiten - das steht für viele Arbeitnehmer nur noch auf dem Papier. Sie schieben unbezahlte Überstunden, lesen zu Hause abends E-Mails, sind in einem Unternehmen tätig, in dem es viele verschiedene Arbeitszeitmodelle jenseits des Achtstundentags gibt. Oder sie tun so viel, wie sie wollen, etwa weil sie dafür über Tarif bezahlt werden, auf die große Karriere hoffen oder in einer jungen Internetfirma angestellt sind, in der starre Arbeitszeiten so fremd sind wie elektronische Schreibmaschinen.

Eine Debatte über den Anwesenheitswahn würde sich lohnen

Im deutschen Arbeitsleben gibt es also schon jede Menge Flexibilität. Sie ist ein Baustein für den Erfolg der deutschen Wirtschaft weltweit. Dies geht Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer allerdings nicht weit genug. Erneut hat er jetzt gefordert, den altehrwürdigen Achtstundentag abzuschaffen und die gesetzliche Tageshöchstarbeit auf eine Wochenarbeitszeit umzustellen. Der Achtstundentag passe nicht mehr zur Arbeitswelt, die immer digitaler wird. Es müsse möglich sein, "auch einmal über zehn Stunden hinaus zu arbeiten". Richtig daran ist: Es ist Zeit für eine neue Arbeitszeitdebatte. Die acht Stunden Arbeit am Tag sollten aber im Gesetz bleiben.

Schon jetzt ist der Achtstundentag nicht in Stein gemeißelt. Die Vorschrift lässt auch zu, dass die Betriebe die Arbeit an Werktagen auf bis zu zehn Stunden verlängern können, "wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden". Auch das Argument, Arbeitnehmer in Deutschland müssten am frühen Morgen mit asiatischen Partnern reden und abends die Gespräche mit amerikanischen Niederlassungen weiterführen, ist wenig schlagkräftig. In allen weltweit tätigen deutschen Unternehmen wird längst so gearbeitet - und das gut mit den bestehenden Gesetzen. Auch ist, ob in Krankenhäusern, Autofabriken oder Chemiewerken, der 24-Stunden-Tag in vielen Betrieben bereits Alltag, ohne dass eine Krankenschwester oder ein Monteur genauso lang schuften müssten.

Ein Recht auf Unerreichbarkeit - auch keine schlechte Idee

Andererseits spricht einiges dafür, dass viele Unternehmen noch flexibler werden müssen, um die digitale Revolution zu überleben. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles spricht von einem "neuen Flexibilitätskompromiss", der zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmer nötig sei. Dieser aber lässt sich am besten in den Betrieben selbst aushandeln, dafür gibt es genug positive Beispiele. Dies gilt auch für andere Forderungen der Arbeitgeber wie der Frage, wie viel Tage vorher Mitarbeiter erfahren müssen, wann sie kurzfristig einspringen müssen.

Der Gesetzgeber hingegen sollte nicht einer Entgrenzung der Arbeitszeiten Tür und Tor öffnen. Dies würde auf Kosten derjenigen Beschäftigten gehen, die sich schlecht wehren können, weil sie in Unternehmen ohne Tarifvertrag und womöglich sogar ohne Betriebsrat arbeiten. Und deren Zahl hat seit der Wiedervereinigung deutlich zugenommen. Überlange Arbeitszeiten sollten weiter die Ausnahme bleiben, weil sie krank machen und das Privatleben beeinträchtigen. Der allzeit bereite Beschäftigte darf nicht zum Ideal werden.

Früher haben die Gewerkschaften die Humanisierung der Arbeitswelt propagiert. Heute, in einer Zeit, in der der Nine-to-five-Job langsam ausstirbt, muss man über Zeitsouveränität reden. Die Betriebe brauchen mehr flexible Arbeitszeitarrangements innerhalb einer Kernzeit von etwa 30 bis 40 Stunden, damit die Arbeitnehmer Beruf und Familie besser miteinander vereinbaren können. Auch Männer sollten, wenn sie mögen, ihre Arbeitszeit vorübergehend reduzieren dürfen, und zwar jenseits von Teilzeitmodellen, die sich besonders für Frauen oft als Karrierekiller erwiesen haben. Gleichzeitig würde sich eine Debatte über den "Anwesenheitswahn" lohnen, der in manchen Unternehmen immer noch gang und gäbe ist, obwohl sich zu Hause viele Aufgaben genauso gut erledigen lassen.

Die Möglichkeit, von der Arbeit abschalten zu können, sollte dabei nie verloren gehen. Vielleicht wird es deshalb irgendwann einmal ein gesetzliches Recht auf Unerreichbarkeit geben.

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