Kommentar:Preis der Freiheit

Die Briten wollen nicht mehr Mitglied der EU sein, ihre Vorteile aber weiter genießen. So einfach geht das nicht. Die Freiheiten des Binnenmarktes gibt es nicht umsonst.

Von Björn Finke

Reden britische Minister über das Handelsabkommen mit der EU, vergessen sie nie, das Wort "special" unterzubringen, besonders. Großbritannien will für die Zeit nach dem Brexit keinen Handelsvertrag von der Stange, sondern eine maßgeschneiderte Lösung. Sie soll Unternehmen den gewohnt guten Zugang zum wichtigsten Exportmarkt, den EU-Staaten, erhalten. Zugleich soll das Abkommen für möglichst viel Freiheit von Brüsseler Vorgaben sorgen. Der Vertrag würde das Beste zweier Welten vereinen: die zahlreichen Vorteile einer EU-Mitgliedschaft ohne deren Nachteile.

Doch diese sehr spezielle Vorstellung ist zu schön, um wahr zu werden. An ihr festzuhalten, ist allerdings sehr bequem für Premierministerin Theresa May. Denn das erspart bislang eine unangenehme Debatte darüber, welche wirtschaftlichen Opfer das Land bringen will für den Traum von der Freiheit. Das hässliche Erwachen steht aber kurz bevor. Im neuen Jahr beginnen die Gespräche über das Handelsabkommen mit EU-Vertreter Michel Barnier. Und der Franzose wird sich nicht auf Traumtänzereien einlassen.

Bürokratische Hürden verursachen oft höhere Kosten als Zölle

Mit gut 50 Staaten hat die EU Freihandelsabkommen abgeschlossen, zuletzt mit Kanada und Japan. Die Vereinbarungen schaffen Zölle ab und vereinfachen so Exporte. In solchen Verträgen finden sich oft Klauseln zu Umwelt- und Sozialstandards oder zur Kontrolle von Subventionen. Aber im Großen und Ganzen behalten Staaten die Hoheit über ihre Wirtschaftspolitik, und sie unterliegen nicht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Das ist attraktiv für die freiheitsliebende Premierministerin May.

Für viele Unternehmen brächte der Rückfall auf so ein Abkommen trotzdem schwere Nachteile. Zwar würden dann keine Zölle auf Geschäfte über den Ärmelkanal eingeführt. Doch ein Freihandelsvertrag könnte nicht verhindern, dass sich bürokratische Hürden auftun - und die verursachen oft höhere Kosten als Zölle.

Bisher profitieren Banken und Firmen auf der Insel vom Binnenmarkt der EU. Britische Genehmigungen werden dank des gemeinsamen Marktes auf dem ganzen Kontinent anerkannt, eine Lizenz reicht für 28 Staaten. Norwegen ist nicht Mitglied der EU, aber des Binnenmarktes. Dafür muss das Land allerdings EU-Regeln und -Gerichtsurteile umsetzen und Einwanderung aus dem Block akzeptieren. London schließt deswegen eine Mitgliedschaft im Binnenmarkt nach dem Brexit aus: schlecht für die Unternehmen.

Die Regierung will auch die Zollunion der EU verlassen, damit das Königreich eigene Handelsverträge mit Wirtschaftsmächten wie den USA abschließen kann. Der Austritt aus der Zollunion bedeutet, dass wieder Grenzbeamte in Calais und Dover stichprobenartig Lastwagen kontrollieren müssen - und dies sogar dann, wenn britische Produkte zollfrei bleiben.

Der Ärger mit Genehmigungen und sonstiger Bürokratie schmälert Großbritanniens Reiz für jene Konzerne, die nicht nur auf der Insel Geschäfte tätigen wollen, sondern von dort aus in ganz Europa. Firmen werden das Land nicht komplett meiden. Doch werden sie weniger investieren, als es ansonsten der Fall wäre. Löhne werden weniger stark steigen.

Freiheit von Vorgaben des Binnenmarktes gibt es also nicht umsonst. Anstatt die Wähler und ihre Partei darauf vorzubereiten, redet Premier May lieber vage über ein neues, spezielles Partnerschaftsmodell. Großbritannien soll demnach eigene Regeln setzen können. Die EU soll diese als nicht gleich, aber gleichwertig zu Brüsseler Normen anerkennen. Dann könnten britische Firmen weiter ohne bürokratische Hürden Geschäfte auf dem Festland treiben. Und an der Grenze zwischen Irland und Nordirland müssten keine Lastwagen kontrolliert werden.

Klingt toll, doch Brüssel lehnt diesen Vorschlag ab - allein schon deshalb, weil ansonsten andere Staaten, etwa Kanada oder Japan, Nachbesserungen bei ihren Freihandelsverträgen fordern würden.

Folglich muss sich London entscheiden. Brexit-Enthusiasten im Kabinett wie Außenminister Boris Johnson streiten für maximale Freiheit von EU-Regeln. Die Wirtschaftsverbände hingegen - oft Vorkämpfer für Deregulierung - wollen gar nicht, dass die Regierung ihre Mitglieder von Brüsseler Vorgaben befreit. Den Unternehmen ist der einfache Zugang zum EU-Markt wichtiger. Vielen Brexit-Wählern wiederum geht es vor allem darum, dass das Königreich Einwanderung aus Europa begrenzen kann. Das ist innerhalb des Binnenmarktes nicht möglich.

Egal, auf welche Seite sich Premierministerin May am Ende schlägt: Sie wird mächtige Gruppen mächtig enttäuschen. Kein Wunder, dass sie die Debatte hinausgezögert hat. Das klappt nun nicht mehr.

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