Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Bewusst essen können

Lesezeit: 3 min

Vorsicht, Acrylamid! Die Pommes-Industrie muss Verbraucher in die Lage versetzen, mündige Entscheidungen treffen zu können.

Von Kathrin Werner

Alle Arten der gesunden Ernährung gleichen einander. Jede ungesunde Ernährung ist auf ihre eigene Weise ungesund. Damit ist nicht nur gemeint, wer was wann isst: Jeden Abend Schokoeis vorm Fernseher, kalte Pizzareste zum Frühstück oder jeden Mittag Pommes. Was sich auch unterscheidet, sind die Gründe der schlechten Ernährung. Manche Familien haben keine Zeit, frisch und gesund zu kochen, da geht es mit Dosensuppe eben schneller. Manch einer kann sich frisches Gemüse kaum leisten. Manch eine hat einfach keine Lust auf Salat, weil Ungesundes ihr besser schmeckt. Und dann gibt es noch Menschen, die einfach nicht wissen, was gesund und was ungesund ist.

Letztere Ursache der ungesunden Ernährung ist in mancher Hinsicht die ärgerlichste, weil sie im Vergleich zu den anderen recht leicht zu verhindern wäre. Siehe Tiefkühlpommes. Dass es sich nicht gerade um Diätkost handelt, dürfte den meisten Menschen bekannt sein. Doch dann ist da noch die Sache mit dem Acrylamid. Je dunkler man die Pommes bäckt oder frittiert, desto höher ist der Anteil der Substanz, die das Krebsrisiko potenziell erhöht. Wer sich an die Zubereitungsanleitung der Hersteller hält und nicht täglich kiloweise Fritten verspeist, muss sich um Acrylamid zwar keine großen Sorgen machen. Doch führen die Back- oder Frittierzeiten und -temperaturen, die auf der Packung stehen, oft zu Pommes, die vielen Fans zu hell und zu labbrig sind. Also bäckt man länger als empfohlen - und bekommt dann Essen, das mehr Acrylamid enthält, als die zuständigen EU-Behörden empfehlen. Für die Hersteller ist das praktisch. Sie sind rechtlich auf der sicheren Seite, weil ihre Backanleitung zu EU-konformen Pommes führt. Die Verantwortung schieben sie auf den Verbraucher ab.

Allerdings kann man nur verantwortungsvolle Entscheidungen treffen, wenn man sich der Verantwortung überhaupt bewusst ist. Dazu braucht es mehr Informationen, welche Konsequenzen es hat, sich nicht an die Zubereitungsempfehlung zu halten. Die Hersteller könnten recht einfach auf der Verpackung warnen: "Achtung, zu dunkle Pommes enthalten zu viel Acrylamid, und das könnte Krebs verursachen. Lassen Sie Ihre Pommes nicht dunkler als gelb werden und halten Sie sich genau an die Zubereitungsanleitung." Aber dazu zwingt die Hersteller niemand. Und freiwillig tun sie es natürlich nicht, es würde ihr ohnehin ungesundes Produkt schließlich in die Giftstoffecke rücken. Bislang findet sich das Wort "Acrylamid" nicht auf den Verpackungen. Das sollte es aber.

Die Dosis macht das Gift

Man darf und sollte Menschen nicht zu gesunder Ernährung zwingen. Es geht sowieso nicht. Schließlich kann man Pommes selbst zubereiten: Kartoffeln schneiden, in Wasser baden, in den Backofen, fertig. Dann ist der Acrylamid-Gehalt vermutlich sogar höher, weil die Industrie sich Mühe geben muss, ihr Produkt möglichst acrylamidarm herzustellen. Doch diese Mühe genügt nicht. Wer ungesundes Essen verkauft, sollte härtere Auflagen zu Verbraucherinformation einhalten müssen. Der Gesetzgeber sollte sie dazu verpflichten, und jetzt ist ein guter Zeitpunkt, denn die Anti-Acrylamid-Maßnahmen der Industrie werden ohnehin gerade geprüft.

Die Pommes-Industrie erwähnt gern, dass auch in Keksen, Kaffee und Cornflakes Acrylamid sei. Allerdings kommen diese verzehrfertig in den Supermarkt, der Verbraucher kann nichts falsch machen. Außerdem verweist sie gern auf eine Informationskampagne, bei der sie vor vielen Jahren mit dem Verbraucherschutzministerium den Slogan "vergolden, nicht verkohlen" verbreitet habe. Doch der ist zum einen irreführend, schließlich können schon goldbraune Pommes zu viel Acrylamid enthalten, sie müssen nicht kohleschwarz sein. Zum anderen ist er längst nicht bei allen Menschen präsent.

Warnungen vor Inhaltsstoffen sind eine Gratwanderung. Unnötige Fakten können Einkäufer verunsichern und den Eindruck erwecken, alles erzeuge irgendwie Krebs. Doch Kunden müssen sich darauf verlassen können, dass gewarnt wird, wo es relevant ist. Und bei Acrylamid ist die Gefahr groß, wenn man zu lange bäckt oder frittiert. Es macht ihr Produkt zwar unattraktiver, doch die Industrie muss den Menschen vermitteln, dass sie ihren Geschmack ändern müssen und helle Pommes die besseren sind. Eine mündige Entscheidung kann dann auch sein, sich ab und zu eine Portion zu gönnen, die vielleicht etwas zu dunkel und knusprig ist. "Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift sei", lautet ein Lehrsatz des Paracelsus. Denn auf eine Weise gleichen sich doch fast alle Arten der ungesunden Ernährung: Man isst von einer Sache zu viel.

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