Kommentar:Peking bläst und bläst

4,7 Billionen Yuan sollen in den kommenden drei Jahren ins chinesische Verkehrsnetz gesteckt werden. Noch mehr Flughäfen, Schnellzugstrecken und Autobahnen. Nie hat es ein größeres Konjunkturpaket gegeben. Ein hochriskantes Manöver.

Von Christoph Giesen

Die Panik der Kader in China lässt sich jetzt messen. Sie verdichtet sich in einer einzigen, gewaltigen Zahl: 4,7 Billionen Yuan. Umgerechnet 632 Milliarden Euro. Diese Summe will Chinas Führung in den kommenden drei Jahren in das Verkehrsnetz des Landes investieren, für noch mehr Hochgeschwindigkeitsstrecken, Flughäfen, Autobahnen. Zum Vergleich: Der deutsche Bundeshaushalt 2016 liegt bei 317 Milliarden Euro, also ziemlich genau der Hälfte des neuen chinesischen Konjunkturpakets.

4,7 Billionen Yuan - schwäbische Tunnelbohrer und bayerische Zughersteller mögen profitieren, Chinas Nöte werden sich hingegen potenzieren. Das Problem der Führung in Peking sind die eigenen Garantien. Mindestens um 6,5 Prozent soll die Wirtschaft jährlich wachsen - egal wie. Die Investitionsbillionen mögen kurzfristig helfen, dieses Ziel zu erreichen. In Wahrheit aber sind sie ein Eingeständnis des Scheiterns.

Nie wurde ein größeres Konjunkturprogramm beschlossen

Das vom Export getriebene Wachstumsmodell Chinas ist an seine Grenzen gestoßen. Bis zur weltweiten Finanzkrise 2008 funktionierte das Ganze leidlich. Der Export wurde Jahr um Jahr gesteigert, der Konsum nahm zu, und die Staatsausgaben waren zwar hoch, aber noch vertretbar. Dann aber kam die Bankenkrise, und Chinas Exporte brachen ein, weil die Nachfrage in Amerika und Europa zurückging.

Statt schon damals die Wirtschaft zu reformieren und stärker auf Dienstleistungen zu setzen, machte die Regierung vier Billionen Yuan für Staatsaufträge locker, das bislang größte Konjunkturpaket der Welt. Flughäfen wurden gebaut, die Städte verschönert, das Schnellbahnnetz entstand. Viele Kommunen aber sind seitdem verschuldet. Auf 250 Prozent des Bruttoinlandsprodukts taxieren manche Ökonomen die Schuldenquote, andere kalkulieren bereits mit 300 Prozent. Im Jahr 2008 hatte man noch bei 155 Prozent gelegen. Nun nimmt die Führung noch mehr Schulden auf: Kreuzgefährlich ist das.

Die neue Finanzspritze wirkt bei Weitem nicht mehr so effektiv wie noch 2008. Jeder geliehene Yuan brachte damals direkt einen Yuan an Wirtschaftswachstum ein. Heute müssen mindestens vier Yuan investiert werden, um das Bruttoinlandsprodukt um einen Yuan zu steigern. Der Grund: Das Geld fließt in die alte Industrie. In Stahl, in Aluminium, in Zement. Doch die Staatskonzerne haben gewaltige Überkapazitäten angehäuft.

Was eigentlich zu tun wäre, lässt sich im Kommuniqué des dritten Plenums des 18. Zentralkomitees sehr präzise nachlesen. Im November 2013 hatte die damals neue Führung um Parteichef Xi Jinping und Premier Li Keqiang 300 Reformvorhaben zusammengetragen. 22 000 chinesische Zeichen umfasst die chinesische Reformagenda. Die Wirtschaft sollte grüner und vor allem innovativer werden, die Macht der Staatskonzerne gebrochen und der Mittelstand mit ausreichenden Krediten versorgt werden. Doch was wurde bislang umgesetzt? Erschreckend wenig.

Vielleicht zehn bis 15 Prozent der Vorhaben, schätzen die westlichen Handelskammern in Peking, sind abgearbeitet. An die wirklich wichtigen Reformen hat sich das Duo Xi-Li nicht herangewagt. Noch immer legen die Staatsbanken die Zinsen fest und entscheiden, wer einen Kredit erhält. Zumeist geht das Geld an die Staatskonzerne, notfalls haftet ohnehin der Steuerzahler.

Der Mittelstand, das eigentliche Rückgrat der chinesischen Wirtschaft, bekommt kaum Kredite und muss sich bei obskuren Schattenbanken refinanzieren. Die Folge: Die Überkapazitäten wachsen weiter. Nun gibt es noch mehr Geld für eben jene Staatsbetriebe, und die Schuldenlast, sie wächst.

Noch lässt sich ein Platzen der Blase hinauszögern. Dem Staat gehören schließlich sowohl die Banken als auch die größten Kreditnehmer. De facto kontrolliert die Führung in Peking auch das Geld, das verliehen wird. Es sind die Einlagen der chinesischen Sparer, die aufgrund der strengen Devisengesetze gezwungen sind, ihr Geld in China zu lassen. Aber irgendwann geht selbst dem chinesischen Staat das Geld aus.

Zu einer zweiten weltweiten Bankenkrise wird es nicht kommen, schließlich sind Chinas Geldhäuser kaum mit westlichen Instituten verknüpft. Dennoch würde eine chinesische Schuldenkrise für Europa und vor allem Deutschland ernsthafte Folgen haben. Die Autohersteller, der Maschinenbau, die Chemieindustrie, sie alle sind abhängig von Exporten nach China. Eine harte Landung der chinesischen Wirtschaft träfe sie hart. Und genau das ist jetzt wahrscheinlicher geworden.

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